Markdorf – Ein Unwetter, das über Markdorf niedergegangen ist, hat vor allem in der Innenstadt und im Bereich der Talstraße gewaltige Schäden angerichtet. "Seit Menschengedenken hatte es kein solches schweres Naturereignis mehr gegeben", berichtete der frühere Stadtarchivar Manfred Ill am 21. Juli 2005, dem Tag, an dem sich die Flutkatastrophe zum 50. Mal jährte im SÜDKURIER. Ein anderer Markdorfer, der an jenem denkwürdigen Tag mit seinem Fotoapparat in der Stadt unterwegs war, ist Ernst Bauer. Für die Serie "Gedächtnis der Region" hat er dieser Zeitung seine Fotos zur Verfügung gestellt. Sie zeigen mächtige Kieshaufen auf dem damaligen Latscheplatz vor der "Krone", riesige Wassermassen im Bereich der Tal- und der heutigen Ittendorfer Straße sowie eine Bussenstraße, die der Bezeichnung Straße nicht mehr gerecht wird. Sie gleicht eher einem Bachbett.

Bereits am Mittwoch, 20. Juli 1955 habe im Linzgau, vor allem zwischen Meersburg und Markdorf, ein Gewitter getobt, schreibt Ill. In Bermatingen hätten die Wassermassen eine Brücke zum Einsturz gebracht. Die Flut habe dabei zwei Männer mitgerissen, von denen einer verletzt wurde.

Auch daran erinnert sich Ernst Bauer, heute 81 Jahre alt. Er hat als Maurer gearbeitet und war beim Wiederaufbau der Brücke beteiligt. Laut Manfred Ill verstärkte sich das Gewitter aufs Neue. Am 21. sei es zu einem weiteren verheerenden Unwetter gekommen, beleitet von stundenlangen und sintflutartigen Regenfällen bis in die Nacht hinein. "Von den Hängen des Gehrenbergs strömten die Wassermassen schnell ab und überfluteten den Bildbach und den kleinen damals noch offenen Döllenbach. Die Wassermassen strömten in die Stadt hinein und hatten eine solche Gewalt, dass die Bussenstraße auf mehreren hundert Metern Länge für Tage noch völlig unpassierbar war.

Was mit der damaligen Kanalisation zusammenhing. Denn die war laut Ill "damals nur auf wenige Häuser ausgelegt und konnte die Wassermengen in der Bussenstraße so wenig fassen wie der Bildbach, der vom Altschloss her neben der Talstraße verlief". Am meisten hätten die unteren Häuser an der Bussenstraße gelitten. Sie verlief damals noch zwischen dem Gasthaus "Krone" und dem Haushaltswarengeschäft Guldin und stellte eine Engstelle dar. Denn die Stadtgrabenstraße gab es damals noch nicht. Wie unsere "Gedächtnis der Region"-Leser wissen, verlief der Ochsenbach noch offen in die Stadt. Als die Stadtgrabenstraße Mitte der 60-er Jahre gebaut wurde, verlegte man dort Rohre mit einem Durchmesser von 1,8 Metern unter die neue Straße. Der Autor selber ist dort als Elf- oder Zwölfjähriger mit dem Fahrrad durchgefahren.

Manfred Ills Bericht zufolge schossen die Wassermassen von der steilen wie ein Hohlweg eingeschnittene Bussenstraße mit solcher Gewalt herunter, dass die Straße mehr als einen Meter tief aufgerissen und zerstört wurde.

Wörtlich heißt es: "Die Kanalrohre lagen blank da, die seitlichen Befestigungen an der Straße waren unterspült und rutschten teilweise ab. Der Keller und das Erdgeschoss der ,Krone' standen völlig unter Wasser und das Geröll hatte sich vor dem Haus in Fensterhöhe aufgehäuft."

Die halbe Bussenstraße fand sich auf dem Latscheplatz, der damals noch Untertorplatz hieß, wieder. Laut Ill bedeckten viele Tonnen Erde und Steine die Fläche. Ebenso schwer sei das Haushaltswarengeschäft Guldin von den Wasser- und Geröllmassen betroffen gewesen. Mit Baggern und Planierraupen habe man am Tag danach mit den Aufräumarbeiten begonnen. Zum Glück habe kein Bewohner einen unmittelbaren Schaden erlitten, von den materiellen Schäden abgesehen.

Die Talstraße war in der ganzen Länge überschwemmt, und zwar bis zur Ittendorfer Straße, die ebenfalls einem Gewässer glich. Der Bildbach erhielt danach ein neues tieferes Bett östlich des heutigen Bauhofes. Und die Kanalisation legte man Ill zufolge mit entsprechend größeren Querschnitten aus, nicht zuletzt wegen des Wachstums der Wohngebiete an der Talstraße und im Gewann "Döllen". Zusätzlich seien Regenrückhaltebecken gebaut worden. Sie wirken bei starken Regenfällen regulierend auf die abfließenden Wassermassen.

Damals und heute

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Ernst Bauer hatte eine Kamera

Fotografie war ein Hobby, das die Menschen in den 50-er Jahren eher selten pflegten. Ernst Bauer hatte damals schon eine Agfa-Kamera. Und er hat sie nach der Flut am 21. Juli 1955 eingesetzt und die Folgen dokumentiert.

Ernst Bauer ist 1935 bei Karlsruhe geboren, kam später mit seinen Eltern nach Markdorf, wo der Vater in der Villa Lessing in Fitzenweiler als Hausmeister gearbeitet hat. Die Agfa begleitete den 20-Jährigen bei etlichen Unternehmungen. „Schon die Mutter hat fotografiert“, erzählt der heute 81-Jährige und zeigt Fotos aus jener Zeit, die ihn und Verwandte vor dem Scharfrichterhaus am Gehrenberg zeigen, das für zehn Jahre die Heimat der Familie war.

Ernst Bauer blickt auf ein abwechslungsreiches Berufsleben zurück. Bei der Markdorfer Firma Zimmermann, dort, wo heute die Sparkasse steht, lernte er Maurer, arbeitete anschließend in Bermatingen bei der Baufirma Obser. Am 21. Juli hat Bauer abends um acht einen lauten Krach gehört und aus dem Fenster geschaut. "Das Wasser kam den Berg herabgeschossen, am Scharfrichter-Haus vorbei", weiß er noch wie heute. Unterhalb, im Anwesen Weber, seien die Fluten durch den Keller geflossen. Anderntags hat er die Schäden fotografiert. Für die Leute in der Stadt sei das eine Sensation gewesen.

In Bermatingen war Ernst Bauer nach der Flut mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. „Die Ziegelei Ott stand komplett unter Wasser“, erinnert er sich. Von Autenweiler seien die Fluten den Berg herabgeschossen. Zuviel Wasser für den Bach. Eine der weggerissenen Brücken wurde später mit Bauers Zutun betoniert. "Der Arbeitskollege Adolf Klein wurde dabei weggeschwemmt", weiss der rüstige Rentner. Er habe sich in Höhe des Rathauses festhalten wollen und sich dabei einen Arm ausgekugelt.

Ernst Bauer hat bis zum 63. Lebensjahr gearbeitet, unter anderem in Bremen, in der Schweiz, bei Maybach und zuletzt bei Albert Weber. Sein Hobby: die 500 BMW Baujahr 1985. (thu)