Im Besprechungszimmer des Mehrgenerationenhauses (MGH) sitzt eine Frau, die mitten im Leben stand und fast alles verlor. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihr. Und das ohne Vorwarnung. Nach den schwierigsten Monaten ihres Lebens hat sie die Abwärtsspirale gestoppt und blickt wieder positiv in die Zukunft. „Ohne meine Kinder hätte ich das nicht geschafft“, sagt die vierfache Mutter im Rückblick.
Bewegende Leidensgeschichte
Auch mithilfe der Aktion „Familien in Not“ des MGH hat die Alleinerziehende wieder zurück in die Spur gefunden. Wie es überhaupt so weit kommen konnte, hat die tapfere Frau dem SÜDKURIER erzählt.
Mit ihren vier Kindern im Alter von drei, zwölf, 15 und 17 lebte sie in Friedrichshafen schon jahrelang in einer Mietwohnung. Die Miete zahlte sie immer pünktlich. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, was sich in den folgenden Monaten abspielen sollte.
Zu Beginn stand der Eigentümerwechsel des Mietshauses. „Der neue Eigentümer hat uns systematisch gemobbt“, berichtet die Frau. Im ersten Schritt ist ihr ein neuer Mietvertrag vorgelegt worden, durch den die Miete von 850 Euro auf 1000 Euro anstieg. „Er sagte mir, wenn ich das nicht unterschreibe, schmeißt er uns direkt raus.“ Sie schüttelt den Kopf, während sie davon erzählt, „ich wusste nicht, was ich machen sollte, aber wir wollten dort bleiben, also unterschrieb ich.“
Mobbing durch Vermieter
Dies war bloß der Anfang. Danach sei die Familie weiter terrorisiert worden. Die Wohnungstür sei aufgebrochen und einer der beiden Hasen im Keller getötet worden, nennt sie weitere Beispiele. Die Frau redet sich in Rage. Immer schneller und immer emotionaler. Sie weiß gar nicht wohin mit ihren Blicken, die von einer Ecke in die andere flitzen, wenn sie die Szenen erneut vor ihrem geistigen Auge ablaufen lässt.
„Er hat uns ständig angeschrien, dass wir aus der Wohnung raus sollen.“ Zuvor erhielt die Familie bereits eine Kündigung. Eigenbedarf wurde angemeldet. Schließlich bestätigte das Gericht nach Fristablauf die Räumungsklage. Zum 30. Juni musste die Familie ihre Wohnung verlassen. Die parallel laufende Suche nach langfristigen Alternativen verlief erfolglos.
„Wir haben einfach nichts bekommen“, sagt sie und beißt sich auf die Lippe. Um nicht auf der Straße zu sitzen, zog die fünfköpfige Familie in eine Ferienwohnung, damit zumindest ein Puffer von vier Wochen geschaffen war. Es folgte das, was die Frau immer wieder als „Odyssee“ bezeichnet.
Von einer Ferienwohnung in die nächste. In drei Monaten bewohnten sie drei verschiedene Unterkünfte. Das Dilemma: Ohne festen Wohnsitz bekommt die Frau beim Sozialamt „keinen Stempel“. Und ohne Stempel erhält sie neben dem Arbeitslosengeld II keinen Zuschuss zu den Mietkosten. Der Teufelskreis nahm seinen Lauf. Das Geld ging aus.
Im Oktober hat die Abwärtsspirale die Familie tief in sich hineingezogen und ganz unten wieder ausgespuckt. Eine zunächst zugesicherte Wohnung bekam die Familie letztlich nicht. Die Schufa-Auskunft machte einen Strich durch die Rechnung. "Ich hätte mit einem langfristen Mietvertrag genug Geld gehabt", beteuert sie. Doch dem Vermieter war die Sache zu heikel. Mit fatalen Folgen.
In einem rasanten Tempo hat die Familie alles verloren und fand sich nun in der Obdachlosenunterkunft wieder. Mittendrin die dreijährige Tochter. Ihre Mutter ringt um Worte: „Man kann sich nicht vorstellen, wie schlimm das ist.“ Sie beschreibt die unzureichende Hygiene, rund um die Uhr aggressive Schreie von anderen Bewohnern, dazu noch viele alkoholisierte Menschen im direkten Umfeld. Auch Drogen seien vor den Augen der Kinder ausgetauscht worden.
In Markdorf auf die Beine gekommen
„Ich habe meiner Tochter tief in die Augen geschaut und ihr gesagt, ich hole uns hier wieder raus.“ Als sie diesen Satz wiederholt, bricht es aus hier heraus. Sie kann die Tränen nicht mehr halten. Während des Weinkrampfs spricht sie zunächst weiter, verstehen kann man sie aber nicht mehr. Schließlich streikt ihre Stimme komplett. "Ohne meine Kinder wäre ich jetzt nicht mehr hier", sagt sie, "sie sind mein Antrieb, überhaupt noch weiterzukämpfen." Durch einen Zufall kam der Kontakt mit dem MGH zustande, wodurch die Familie in eine Ferienwohnung im Markdorfer Umfeld vermittelt wurde.
Im Anschluss hat die Frau einen Minijob im Dienstleistungsbereich aufgenommen. Einer Stelle mit mehr Wochenstunden steht es aktuell lediglich im Wege, dass die Dreijährige noch keinen Kindergartenplatz bekommen hat. Das nächste Mal rollen der Alleinerziehenden die Tränen über die Wange, als sie von dem Moment erzählt, als die Vermieterin der Ferienwohnung ihr sagte, dass die Familie bis März bleiben könne.
234 Euro monatlich für Lagerung
"Weihnachten möchte man natürlich im richtigen Zuhause feiern, aber wir machen es uns gemütlich", sagt sie trotzig. Das Ende aller Probleme ist es noch nicht. Die Wohnung in Friedrichshafen war komplett eingerichtet. Sie mietete sich mangels Platz einen Container an. Kostenpunkt: 234 Euro monatlich. Das Geschäftsmodell sieht es vor, dass das Inventar bei ausbleibender Zahlung verkauft wird. "Ich musste doch irgendwo hin mit den Möbeln."
Zudem lagern dort sämtliche Zeugnisse. "Ich kann nicht beweisen, welche Ausbildung ich gemacht und wo ich bereits gearbeitet habe." Nun sucht sie nach einer Garage, wo sie Sachen günstiger zwischenlagern kann. Sie legt die Rechnung vor. Einen Großteil haben ihre Eltern beglichen, soweit sie konnten. Als MGH-Leiterin Renate Hold verspricht, aus dem Topf "Familien in Not" könne der Rest beglichen werden, stockt ihr der Atem. Dann fließen erneut die Tränen. Das erste Mal seit langer Zeit vor Freude.
Aktion "Familien in Not"
Das Mehrgenerationenhaus und der SÜDKURIER rufen in der Adventszeit gemeinsam zur Aktion "Familien in Not" auf. Die Verantwortlichen freuen sich über kleine und große Geldspenden und versichern, dass die Spende ohne einen Cent Abzug bei den Betroffenen ankommt. Bis Weihnachten wird der SÜDKURIER regelmäßig über die Aktion berichten.
Wer spenden möchte:
Familienforum Markdorf e.V.
Stichwort: Familien in Not
IBAN: DE83 6905 0001 0001 8709 30
Sparkasse Bodensee