Herr Kirchner, man kennt Sie in Markdorf vom Edeka, jetzt kennt man Sie auch vom Musical zum Stadtfest. Wie lange schlummert dieses Gesangstalent schon in Ihnen?

Seit ich denken kann habe ich immer gesungen. Angefangen hatte ich im Kinderchor und wurde bald auch engagiert, um auf Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen zu singen. Ich hatte als Kind eine Stimme wie Heintje und wurde damals bei Festen einfach auf den Tisch gestellt, und dann hat man gesagt: "Guntram, und jetzt sing!". Meine Mutter wollte das nie, aber ich wollte das. Aus dem Grund, weil's immer ein bisschen Geld dafür gab. Man hat mir hin und wieder mal fünf oder zehn Schilling zugeschoben, da konnte ich mir als Kind alles kaufen, was ich wollte. Und da ich ein wahnsinniger Tierfreund bin und hinterm Haus eine große Volière hatte, habe ich alles in dieses Hobby gesteckt und mir immer wieder ein neues Paar Prachtfinken gekauft. Ich hab auch mal einen Gesangswettbewerb in Vorarlberg gewonnen, das war mit 17 Jahren. Und irgendwann bin ich von Rudi Carell engagiert worden und durfte in seiner Show "Lass dich überraschen" auftreten.

Wie kam die Verbindung zu Rudi Carell zustande?

Durch den Gesangswettbewerb, den ich gewonnen habe, ist der ORF auf mich aufmerksam geworden. Und da das eine Eurovisions-Sendung zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz war, wurde ich vom ORF gefragt, ob ich nicht als österreichischer Kandidat dort mitmachen möchte. Da gab es in jeder Sendung drei Gesangstalente, die jemanden imitiert haben. Und ich habe mich für Boy George entschieden. Damals war ich 20 Jahre alt. Danach war ich noch eine Zeit lang bei Rudi Carell engagiert. Er hatte damals einen Werbevertrag mit dem Otto-Versand und hat Modeschauen moderiert. So durfte ich einmal nach Wien und nach Köln kommen und während dieser Modeschauenauftreten.

Hatten Sie zu der Zeit schon ein ganzes Repertoire, auf das Sie zurückgreifen konnten?

Dank des Gesangswettbewerbs hatte ich die Möglichkeit, mit einem Produzenten 15 Titel im Studio aufzunehmen. Obendrein durfte ich mit dem Musiker Phil Carmen, der in Stein am Rhein wohnte, drei Titel in seinem Studio aufnehmen, die er produziert hat. Aber es ist leider nie zu einem Plattenvertrag gekommen.

Konnten Sie gut vom Singen leben?

Ja, das konnte ich eine ganze Zeit lang. So wurde ich vom Phantasia-Land zum Beispiel einmal für eine Saison engagiert und konnte dort im Western-Saloon drei Auftritte am Tag über den ganzen Sommer machen. Die Gagen waren damals im Monat über 15 000 Mark. Das war unglaublich viel Geld für mich in dieser Zeit. Somit konnte ich mich immer wieder überbrücken für eine gewisse Zeit. Dann hatte ich mal wieder für zwei, drei Monate keine gut bezahlten Auftritte. Und dann wieder mehrere hintereinander. Ein paar Jahre lang hatte ich gut davon gelebt. Einmal durfte ich als Vorprogramm von Robin Beck im Züricher Hallenstadion auftreten. Die Amerikanerin wurde in den achtziger Jahren mit dem Coca-Cola-Song "First Time" bekannt. Dann kam der Break. Ich hatte einen sehr schweren Autounfall und war lange im Krankenhaus und im Koma. Ich hab fast eineinhalb Jahre gebraucht, um mich von diesem Unfall zu erholen. Danach war nichts mehr so wie vorher. Ich hab wirklich den Faden zum Gesang verloren. Und das mit dem Singen hat sich mit der Zeit im Sand verlaufen. Bis ich jetzt vor eineinhalb Jahren nach Markdorf gekommen bin.

Wie haben Sie hier die Kurve zum Singen wieder gekriegt?

Ich habe von meinem Lebenspartner zum Geburtstag zehn Gesangsstunden bei Margit Koch-Schmid an der Musikschule bekommen. So spannt sich also der Bogen zu meiner Rolle im Musical. Diese Gesangsstunden waren für mich tatsächlich ein Anstoß, denn ich selbst hatte keinerlei Ambitionen mehr, meine Gesangslaufbahn wieder aufzunehmen. Das mit dem Singen war für mich vollkommen in den Hintergrund getreten, es hat mir auch nichts mehr bedeutet. Dazu muss ich noch sagen, ich habe immer wahnsinnig unter Nervosität gelitten. Schon einen Tag, bevor ich einen Auftritt hatte, war mir schlecht. Ich habe eigentlich nie mehr daran gedacht, dass ich nochmals in der Öffentlichkeit singen werde.

Nun tun Sie's doch. Und wie man in der Stadthalle sah, mit großem Erfolg. Ist das auch ein persönlicher Erfolg?

Ja, denn der Gesangsunterricht macht mir sehr viel Spaß und Freude. Das hat aber zuerst mal nichts mit einem öffentlichen Auftritt zu tun. Und klar war ich früher besser als heute. Vieles verlernt man dann doch oder es blieb im Laufe der 15 Jahre auf der Strecke.

Wie kamen Sie zu der Rolle als Blechmann in "Der Zauberer von Oss"? Eine Rolle, die man gut und gerne als eine Paraderolle für Sie bezeichnen könnte.

Als mich Margit Koch-Schmid fragte, ob ich mir das vorstellen könnte, habe ich ohne zu überlegen gleich zugesagt. Aber es war alles noch so weit bis dorthin. Es schien auch keine allzu große Rolle zu sein. Ich wusste, dass diese Figur erst im Verlauf des Spiels auftaucht und ich auch nicht immer auf der Bühne sein werde. Es war dann aber doch eine recht große Rolle. Und ich war vor den Auftritten auch wahnsinnig nervös. Aber nicht wegen des Singens, weil ich weiß, dass ich das kann, sondern wegen dem Schauspielern. Und wegen des Texts. Das hat mich viel nervöser gemacht als das Singen an sich.

Sie sagten vor der ersten Aufführung, dass Sie das nie wieder machen wollten. Und nach der letzten Aufführung waren Sie vom Gegenteil überzeugt. Welcher Impuls entscheidet dabei?

Das Gefühl, dass am Ende alles gut gelaufen ist, gibt mir tatsächlich persönlich was. Aber ich bin eben kein Mensch, der gerne im Vordergrund steht. Und diese vielen Komplimente, die im Nachhinein kamen, das ist mir alles viel zu viel. So viel Aufmerksamkeit mag ich nicht. Deswegen ist für mich das Singen gar nicht so wahnsinnig wichtig. Ich darf auch dadurch nicht in psychischen Stress geraten. Obwohl die Nervosität immer da sein wird. Für andere Schauspieler und Sänger mag Nervosität ein Flash sein, für mich ist das ein absolut unangenehmes Gefühl. Ich muss also abwägen, ob das gute Gefühl am Ende das schlechte vom Anfang überwiegt.

Wo sehen Sie sich in Zukunft? Zurück beim Singen oder in Ihrem erlernten Beruf als Hotelfachmann oder ganz woanders?

Das kann ich jetzt nicht sagen. Ich lass gerade alles auf mich zukommen. Derzeit arbeite ich im Edeka an der Kasse, was mir sehr viel Freude macht. Das wollte ich eigentlich immer schon mal machen, an der Kasse arbeiten. Und ich bin eigentlich froh, dass es so einen Break in meinem Leben gegeben hat. Ich habe mich so gut in Markdorf eingelebt und habe nie das Gefühl, ich möchte wieder weg hier. Ich mag die Markdorfer wahnsinnig gerne, das sind ganz nette Leute. Immer freundlich, aber nie aufgesetzt freundlich, sondern die sind wirklich – zumindest die, die ich kenne – von Herzen freundlich. Aber ich habe das Gefühl, ich kenne schon fast ganz Markdorf.

Fragen: Helga Stützenberger