Morgen vor 500 Jahren hat der Augustiner-Mönch Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen – soweit die Überlieferung. Sein Ziel war damals wohl eine theologische Diskussion. Bewirkt hat er aber jenen Vorgang, der als Reformation gefasst wird, die Erneuerung der Kirche, die die bis dahin einheitliche katholische Kirche in verschiedene Konfessionen aufspaltete. Dies ist es aber nicht, was 2017 im Mittelpunkt steht, wenn bundesweit der Reformationstag gefeiert wird. Weniger das Trennende zwischen den großen christlichen Kirchen steht im Vordergrund als mehr jene Impulse Luthers, die das Bewusstsein für Freiheit, für Selbstständigkeit, für die Verantwortung der Gläubigen in der Gesellschaft stärken.
Christus, Gnade, Glaube und Schrift stellt Martin Billeisen, Mitglied im Redaktionsteam des evangelischen Gemeindebriefes Brückle, heraus – in seinem Luther und der Reformation gewidmeten Beitrag "War die Reformation eine Revolution?". Politisch eher nicht, lautet Billeisens Fazit, aber medial. Dank Luthers Bibelübersetzung in die Volkssprache Deutsch und dank des Buchdrucks erfuhr die Bibel weite Verbreitung. Das bezeugte auch die Bibel-Ausstellung im Haus im Weinberg. Eine von zahlreichen Veranstaltungen in Markdorf zum Luther-Jahr. Vorträge, Konzerte, Musical-Aufführungen fanden statt. In der Stadt hängen Schülerarbeiten zu Luthers Nachwirken. Und der SÜDKURIER holte sechs Stimmen zum Reformationsjubiläum ein.
Über Frauenrechte, Impulse und Ökumene
Kristina Wagner, evangelische Pfarrerin: "Da ich mich schon vorher intensiv mit Luther beschäftigt habe, hat sich mein Bild von ihm nicht grundlegend verändert. Aber es ging ja in diesem Jahr nicht nur um Luther. Neu und spannend war für mich die Beschäftigung mit den Frauen in der Reformationszeit. Katharina von Bora, Argula von Grumbach und andere Frauen haben auf eindrückliche Weise selbstbewusst und klug an der Reformation mitgewirkt und zum Teil sogar schon ökumenische Impulse gesetzt. Dass die beiden großen Kirchen das Jubiläum 2017 nun in weiten Teilen gemeinsam begangen haben, ist wirklich bemerkenswert und ein wichtiger Schritt für die Ökumene. In Markdorf haben wir vieles bewusst ökumenisch gestaltet. Das Interesse von Seiten unserer katholischen Schwestergemeinden war hoch. Das hat mich besonders gefreut."
Johannes Treffert, katholischer Vikar: "Für mich war das Luther-Jahr die Möglichkeit, intensiver auf die Ökumene zu blicken. Mein Lutherbild hat sich wenig verändert, war er mir doch schon immer sympathisch. Sein eigentliches Anliegen ist die Erneuerung der Kirche gewesen. Das ist eine zeitlose und immer notwendige Aufgabe. Denn die Kirchen sind immer hineingestellt in kulturelle und gesellschaftliche Zusammenhänge und sie werden geprägt durch Menschen, die Fehler machen können. Deshalb ist die Grundhaltung einer ständigen Reformation etwas Positives.
Statt dem Blick auf Vergangenes müssen die Kirchen nun den Blick auf relevante Fragen der Menschen heute richten und hier Ökumene leben und zeigen, indem gemeinsam Antworten gefunden werden, die den Menschen Orientierung geben in ihrer konkreten Lebenssituation."
Ulrich Hund, Leiter katholische Seelsorgeeinheit: "Durch das Jubiläumsjahr haben mich Biografie, Theologie, Spiritualität von Martin Luther stärker interessiert. Ich finde für die Ökumene insgesamt wichtig, dass das diesjährige Jubiläum so ökumenisch wie nie begangen worden ist. Und dieses Miteinander im Durchgehen durch das Gedenkjahr war für mich auch in Markdorf sehr spürbar und hat mich auch gefreut, in welchem Geist, in welcher Kooperation, in welchen Veranstaltungen dies überlegt und durchgeführt worden ist. Das wird weiterwirken hier vor Ort. Gesamtgesellschaftlich wird ein gemeinsames Auftreten der Kirchen ohnehin notwendig sein. Das hat durch das Reformationsgedenkjahr wichtige Impulse gewonnen: sich freuen an angestoßenem Neuen, gegenseitig sich um Vergebung bitten, sich auf das Gemeinsame besinnen."
Hanna Kröger-Möller, Mitarbeiterin Bildungswerk Erzdiözese: "Luther war ein Suchender und hat keine perfekten Lösungen geboten. Er war ein Mann in einer patriarchalen Gesellschaft. Frauen waren auch für ihn nicht wirklich ebenbürtig. An vielen Stellen haben sich eher Fragen aufgetan als Antworten. Das wird auch weiterhin Thema der Erwachsenenbildung sein. Davon ausgehend, dass Luther zunächst Reformen anstoßen wollte und keine neue Konfession, müssen wir Christen immer wieder schauen, was gerade nicht so gut läuft in der jeweiligen Kirche und auf Reformen dringen. Immerhin hat es in den reformatorischen Zentren große Bestrebungen gegeben, allen Menschen das Lesen beizubringen, sozusagen ein kleiner Beginn einer Volksschule. Diese Teilhabe an Bildung ist heute noch Auftrag unserer Gesellschaft. Dafür sollten sich auch die Kirchen mit Nachdruck einsetzen."
Stefania Menga, Gemeindereferentin der katholischen Kirche: "Für mich wurde nochmals deutlich, dass Luther keine Trennung, sondern seine Kirche zur damaligen Zeit 'aufrütteln' wollte. Diesbezüglich haben mich das Befestigen der Thesen und auch die Stärke der Frauen beziehungsweise von Katharina von Bora fasziniert. Mit der Marktlücke (Gesprächsangebot der Kirchen auf dem Wochenmarkt) haben wir die Möglichkeit gegeben, Markdorfer Thesen zu befestigen. Es war berührend, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die ihre Sicht von Kirche heute ins Wort und aufs Papier bringen konnten.
Wie sieht meine Kirche aus? Wie kann ich meinen Glauben leben? Ich bin dankbar und froh, dass wir viele gemeinsame Aktionen in ökumenischer Verbundenheit begehen konnten, können und hoffentlich in Zukunft weiter gehen können – in einer christlichen Freude und dem Vertrauen."
Tibor Nagy, evangelischer Pfarrer: "Persönlich war es in diesem Jahr eine große Freude, mal wieder einen Blick in Luthers Schriften zu werfen. Mich hat es wieder einmal begeistert, wie Luthers reformatorische Theologie exemplarisch in seiner Lebensgeschichte deutlich wird. In Markdorf hatten wir ein überaus vielseitiges, ausgewogenes, auch kritisches Jahres-Programm. Meine zwei persönlichen Highlights: Das grandiose Musical von Anuschka Schoepe. Der zweite, sehr ökumenische Höhepunkt – als Musikfreunde, und beide Kirchenchöre den Schlusschor zu Bachs Kantate "Ein feste Burg ist unser Gott" anstimmten und wir danach statt Applaus das Vaterunser beteten. Ich glaube, dass das der Protestantismus wieder neu gelernt hat, gerade auch die theologischen Grundlagen der Reformation als selbstverständlich zu nehmen: Nämlich das Jesus Christus im Zentrum des Lebens steht."