Simon hat Geburtstag. Er ist jetzt acht. Und er wünscht sich einen Hund. Wie er feiert und wie er zu seinem vierbeinigen Begleiter kommt, das liest Hannelore Schooren aus einem Buch vor. „Wo ist die Hundeleine?“ Safa zeigt auf Simons frisch ausgepacktes Geburtstagsgeschenk. Hund und Leine, Körbchen und Geburtstag, das kennen Safa, Omar, Irma, Subhanulla schon, die Kinder neben Lesepatin Hannelore Schooren, schon. Was Welpen sind, wissen die vier aber noch nicht.
Welpen gehören zum erweiterten Wortschatz, dem die Kinder kaum im Unterricht ihrer Vorbereitungsklasse und wohl noch viel seltener daheim in ihren Familien begegnen. Wo nicht Deutsch, sondern arabisch oder afghanisch gesprochen wird. Dass die vier Schüler heute das Wort „Welpen“ lernen ist Zufall. Kein Zufall hingegen ist, dass die Wahrscheinlichkeit solchen und ähnlichen neuen, seltenen Begriffen zu begegnen, deutlich gewachsen ist, seitdem Hannelore Schooren als Lesepatin in die Klasse kommt.
Ehrenamtliche helfen gerne in der Klasse
So wie Marlies Riederle und Alexandra Heinichen, zwei weiteren Ehrenamtlichen in der Leimbacher Grundschule. „Wir freuen uns“, erklärt Franziska Schlee, kommissarische Schulleiterin der Grundschule in Leimbach, „dass wir von außen soviel Unterstützung gefunden haben – von Menschen, die unsere Kinder in der Vorbereitungsklasse, aber auch deren Familien helfen wollen.“
„Mich entlastet das sehr“, erklärt Christina Schenk. Sie unterrichtet in der Vorbereitungsklasse. Dank der Lesepaten kann sie ihre neunköpfige Klasse in noch kleinere Lerngruppen unterteilen. Was schon deshalb überaus sinnvoll ist, weil sich die Schüler anders als in Regelklassen, nicht auf einem relativ einheitlichen Lernniveau befinden. „Manche können schon ganz gut Deutsch“, erklärt Franziska Schlee, „andere beherrschen erst ein paar Wörter.“ Solch erhebliche Unterschiede machen das Unterrichten jedoch schwierig. „Ohne viel individuelle Unterstützung kommt man kaum weiter“, so Schlee.

Der individuelle Förderbedarf sei indes nicht bloß inhaltlicher Natur. „Wir sind auch im sozialen Bereich stark gefordert“, erklärt Schulleiterin Schlee. Der Umgang der Vorbereitungsklassen-Schüler sei vielfach rauer als in den normalen Klassen. Die besonderen Lebensbedingungen der Kinder in den Sammelunterkünften, vor allem aber die Fluchterfahrung spielen da eine große Rolle.
„Wir bieten hier allen einen geschützten Raum“, erklärt Franziska Schlee. „In vielen Fälle braucht es sehr viel Zeit“, sagt die Schulleiterin. Zeit, bis die seelischen Verletzungen vernarbt sind. Zeit, in denen die Kinder einzeln im Unterricht betreut werden. Franziska Schlee erzählt von dem Mädchen, das sich anfangs scheu verhalten habe. Das jeden Blickkontakt mied – und das inzwischen viel offener geworden ist, sich am Unterricht beteiligt, mit immer besseren Leistungen.
Rezept ist individuelles Fördern
Individuelles Fördern, intensives Eingehen sind das Rezept in der Leimbacher VKL-Klasse. Gleitende Übergänge in die Regelgruppen gehören ebenfalls dazu. Die Kinder wechseln nicht sofort und endgültig zum normalen Unterricht, sondern probeweise – dies auch in enger Absprache mit den Eltern –, bis sich ihre Auffassungsgabe als angemessen, ihr Lernverhalten als stabil erweist. Beides werde laut Schulleiterin Schlee durch die große Motivation der Schüler befördert. „Viele saugen den Unterrichtsstoff auf wie kleine Schwämme.“ Die Kinder freuen sich geradezu, lernen zu dürfen, betrachten die Schule keineswegs als Selbstverständlichkeit.

Alexandra Heinichen aus Immenstaad ist eine von den drei Lesepatinnen, die sich zur ehrenamtlichen Mitarbeit in der Vorbereitungsklasse bereit erklärt hat. „Aus meiner Sicht ist die einzige Chance für diese Kinder, hier bei uns in Deutschland Fuß zu fassen, wenn sie die Sprache können – und schulischen Erfolg haben.“ Als Mutter zweier schulpflichtiger Kinder habe sie mitbekommen, wie schwierig es ist, solchen Schulerfolg im Rahmen des Normalunterrichts zu vermitteln.
„Integration ist gut, reicht aber oft nicht aus“, findet Alexandra Heinichen. Es bedürfe schon intensiveren Kümmerns. Das begegne in den Vorbereitungsklassen. Aber auch dort brauche es noch weiterer Unterstützung, ist die Lesepatin überzeugt. „Wir entlasten die VKL-Lehrerin“, sagt sie, „um so mehr Zeit hat sie für Kinder, bei denen es noch nicht so rund läuft.“ Und Alexandra Heinichen spricht noch einen weiteren Punkt an. Sie beobachte, „dass die Arbeitssituation insofern noch komplexer wird, weil ja nicht nur die Kinder hier in der Schule lernen.“ Sie gäben auch vieles daheim weiter, überbrächten es ihren Müttern und Vätern.
Ehrenamt mit hohem Spaßfaktor
Hannelore Schooren wohnt in der Nachbarschaft der Grundschule. „Ich bin Rentnerin, ich habe Zeit“, erklärt sie, „und ich möchte was Sinnvolles tun.“ Inzwischen habe sie erfahren, dass ihre Arbeit in der VKL-Klasse nicht nur sinnvoll ist, sondern ihr noch großen Spaß macht. „Weil die Kinder so positiv reagieren.“ Was Hannelore Schooren unter „positiven Reaktionen“ versteht, begreift schnell, wer sie in der kleinen Bibliothek der Schule inmitten einer Schülergruppe beobachtet. Zwischen den Kindern liest sie vor, fragt nach, erklärt. Ihre jungen Zuhörer antworten, stellen ebenfalls Fragen, erklären – und sie rücken ganz nah an Vorleserin heran, suchen deren Nähe.
„Ehrenamt mit hohem Spaßfaktor“ nennt das Marlies Riederle, die dritte Lesepatin. Sie staune stets aufs Neue über die rasanten Lernfortschritte der VKL-Kinder. Die freilich seien wichtig, so Alexandra Heinichen: damit die anschließende Integration in der Regelklasse klappt. „Hier wird ein ganz wichtiger Grundstein für den Besuch in den weiterführenden Schulen gelegt.“
Vorbereitungsklassen
In den so genanntem Vorbereitungsklassen (VKL) werden Kinder und Jugendliche unterrichtet, die noch nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. In den VKLs wird jahrgangsgemischt unterrichtet. In der Regel bleiben die Schüler, bis sie die Grundlagen in Deutsch gelernt haben, mindestens aber sechs Monate lang in der VKL. Anschließend gehen sie stundenweise in die Regelklassen – etwa zum Sportunterricht, bis sie dann in eine Regelklasse versetzt werden. Dort werden ihre sprachlich bedingten Lernschwierigkeiten berücksichtigt.