Der Theologe Jakob Gretser (1562 bis 1625) gilt gemeinhin als der größte Sohn der Stadt: Geboren in Markdorf, wirkte der Jesuit in Ingolstadt und in der Schweiz, verfasste unzählige Dramen und Schriften und galt schon zu Lebzeiten als einer der gelehrtesten Köpfe seiner Zeit. Zugleich aber war er auch Hassprediger und fanatischer Hexenverfolger. Nach ihm sind in Markdorf die Grundschule und eine Straße benannt. All dies hat der Markdorfer Gymnasiallehrer im Ruhestand und Kunstvereinsvorsitzende Bernhard Oßwald anlässlich Gretsers 400. Todestages in einem Gastbeitrag im SÜDKURIER thematisiert.
Am Ende seines Beitrages hatte Oßwald, der in Philosophie promoviert hat, die Frage gestellt: „Bleibt in der Abwägung so viel Größe übrig, dass wir ihn in Markdorf als Namengeber behalten können?“ „Darüber“, befand Oßwald, „sollte geredet werden“. Mehrere Leserbriefe dazu hat die Redaktion inzwischen veröffentlicht. Doch wie hält man es im Rathaus und in der Kommunalpolitik mit Oßwalds Wunsch? Wie sehen die politischen Verantwortlichen in der Stadt die Rolle Gretsers als Namenspatron? Sollten Schule und Straße den umstrittenen Namen behalten oder besser umbenannt werden?
Vorneweg: Die Stadträte aller Fraktionen haben sich intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt, das lässt sich aus den Antworten an die Redaktion herauslesen. Doch die Standpunkte aus der Kommunalpolitik unterscheiden sich durchaus.
CDU: „Ein schwieriger Namensgeber für die Grundschule“
Die CDU-Fraktion, schreibt Chefin Kerstin Mock, habe selbst das Gespräch mit Oßwald gesucht und die Informationen aus dessen Artikel nochmals reflektiert. Die CDU hielte es für sinnvoll, wenn sich die Verwaltung des Themas annähme.
Eine Umbenennung von Schule und Straße müsse man „nicht übers Knie brechen“, aber sich „in Ruhe“ mit den Rechercheergebnissen auseinanderzusetzen, sei angebracht. Denn: „Ein Pädagoge und Theologe, der die Würde des Menschen in Form von Protestanten und Frauen in keinster Weise respektierte, ist tatsächlich ein schwieriger Namensgeber für eine Grundschule.“ Bei historischen Persönlichkeiten sei dies aber immer wieder der Fall, sodass die Namensgebung von Straßen und Gebäuden zukünftig „wohl überlegt“ sein müsse.
Freie Wähler: Für fundierte Aussage fehlen noch Informationen
Bei den Freien Wählern sieht man noch Bedarf an weiteren Informationen und auch an einer Einarbeitung in die Person Gretsers und seine Zeit. Dazu bedürfe es mehr als nur diesen einen Artikel und daher könne man eine „entsprechend fundierte“ Aussage auch noch nicht tätigen, schreibt Fraktionschef Dietmar Bitzenhofer.
Bisher jedenfalls sei Gretser „der Sohn und Gelehrte Markdorfs“ gewesen und „auch so hochgehoben“ worden. „Entscheidungen brauchen Basics und diese liegen uns nicht in ausreichendem Umfang vor“, so Bitzenhofer. Sollte es zur Umbenennung von Schule und Straße einen Antrag geben, werde man „sicherlich“ Stellung beziehen.

Umweltgruppe: Kommission könnte Gretsers Wirken aufarbeiten
„Wir sind der Meinung, dass vor einer Entscheidung, ob die Straße und die Schule umbenannt werden sollten, eine gründliche und fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema stattfinden muss“, schreibt auch UWG-Fraktionschef Joachim Mutschler. Damit der „Abwägungsprozess nicht gefühlsbestimmt“, sondern „sachlich fundiert“ sei, brauche man eine breitere Informationsbasis.
Die UWG könne sich dazu die Einberufung einer Kommission aus Stadträten, „Amtsträgern“ in der Verwaltung sowie Eltern und Lehrkräften der Grundschule vorstellen. Die Kommission müsse dann mit fundiertem historischem Wissen über Gretser und sein Wirken versorgt werden.
SPD: Kein Unterschied zu Martin Luther
„Klar ist, die Verfolgung, Folterung und Tötung von Frauen und Männer als ‚Hexen‘ waren Verbrechen an diesen Menschen“, antwortet Uwe Achilles für die SPD. Doch auch der „große Reformator“ Martin Luther sei überzeugt gewesen, dass es Hexen gebe und habe deren Tötung gefordert. Vermutlich werde man deswegen aber nicht alle nach ihm benannten Schulen, Straßen und Plätze umbenennen.
Für die SPD reiche es daher aus, „auf die Widersprüche im Leben von Jakob Gretser in geeigneter Art hinzuweisen beziehungsweise hierzu zu unterrichten“. Sollte eine Umbenennung der Schule tatsächlich zu einem Thema werden, wäre „eine wissenschaftliche Ausarbeitung im Zeitkontext der Frühen Neuzeit erforderlich“. Allerdings, so Achilles, gäbe es zurzeit wichtigere Themen in der Stadt.

Grüne: Offen für Umbenennungen
Grüne-Stadträtin Sabine Gebhardt hingegen ist der Ansicht, „dass wir in der Stadt über eine Namensänderung für Schule und Straße nachdenken und sprechen sollten“. Gebhardt hat selbst recherchiert: In seiner Ingolstädter Zeit seien auch sechs Waisenkinder gefoltert und verhört worden, schreibt sie. Was dies mit den Kindern gemacht habe, möge man sich gar nicht vorstellen.
Dieses Handeln sei im Widerspruch zu den Idealen, die man im Bildungsbereich und vor allem an einer Grundschule vermitteln wolle. Dazu zählten Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit und Toleranz. Eine Entscheidung sollte in einem „offenen, demokratischen Prozess“ getroffen werden, mit allen Beteiligten, darunter neben den Eltern auch den Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen.
FDP: Dann müsste man auch die Gebrüder Grimm verbieten
Klare Worte, jedoch in die andere Richtung, gibt es von FDP-Rat Rolf Haas: „Die FDP ist gegen eine Umbenennung“, schreibt er. Ihm fehle „eine wissenschaftliche Sicht auf die Dinge“. Gretser sei „ein großer Geist seiner Zeit“ gewesen. „Im Falle einer Umbenennung müsste man dann nicht auch die Werke der Gebrüder Grimm verbieten?“, fragt Haas.
Abgesehen davon habe die Stadtpolitik wichtigere Aufgaben, „wie die Ertüchtigung der Wirtschaft und des Markdorfer Einzelhandels“. Eine Umbenennung koste „nur viel Geld und Zeit“.
Georg Riedmann: Debatte darüber ist gut und wichtig
Grundsätzlich halte er die „Reflexion“ über solche Themen für wichtig, sagt Bürgermeister Georg Riedmann: „Aber es ist auch angemessen, sich mit allen Facetten dieses auch bedeutenden Menschen auseinanderzusetzen.“ Wichtig sei für ihn, dass sich die Schule des Namens und des Namensgebers bewusst mache und sich mit ihm auseinandersetze. „Die Diskussion ist gut und wichtig und sie kann gerade auch an einer Bildungseinrichtung gemacht werden.“
Man müsse auch sehen, dass Gretser selbst im Laufe seines Lebens „keine Läuterung durchgemacht“ habe. Anders etwa als der Kinderbuchautor Ottfried Preußler, dessen Namenspatronat jüngst von einem bayerischen Gymnasium abgelegt wurde.
Rektor Andreas Geiger: Aktuell kein Anlass für eine Debatte um Namensänderung
Schulrektor Andreas Geiger wägt das Thema sehr sorgfältig ab. Die Person Gretser werde an der Schule im Sachunterricht der vierten Klasse behandelt. Dabei, so Geiger, würden auch „die aus heutiger Sicht brutalen, frauen- und menschenfeindlichen Hexenthemen in kindgerechter Weise angesprochen“. Zudem gebe es auch den Hexenturm in der Altstadt. Das Thema sei also „temporär“ grundsätzlich im Schulunterricht präsent. Wenn man über das Thema Namensgebung diskutiere, müsse man aber auch allgemein über große Namen wie Martin Luther und auch über die damals „brutale Zeit“ diskutieren. Die Kinder, so Geiger, würden das Mittelalter mit Rittern oder mittelalterlichen Märkten in Verbindung bringen, nicht aber mit Gewalt und Brutalität. Sollte sich eine ernsthafte Debatte über den Schulnamen ergeben, liege eine Entscheidung darüber bei der Schulkonferenz und nicht beim Schulleiter, betont der Rektor. Aus seiner Sicht gebe es aber aktuell keinen Anlass, der über nicht schon lange Bekanntes hinausginge, eine Diskussion über eine Änderung des Schulnamens zu führen, schreibt Geiger.