Einerseits einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit, andererseits ein grausamer Eiferer, der Frauen und Kinder foltern ließ: Kann solch ein Mensch Namensgeber für eine Grundschule sein? Für ein Haus, in dem Kindern christliche und demokratische Werte wie Hilfsbereitschaft, Solidarität mit Schwächeren, Toleranz gegenüber Andersdenkenden vermittelt werden?
Eine Schule ist ein sensibler Ort
Bei rechtem Licht betrachtet: Nein, kann er nicht. Heute nicht mehr. Denn die Zeiten unreflektierter Heldenverehrungen sind vorbei. Zumindest die Jakob-Gretser-Grundschule müsste daher einen neuen Namen bekommen. Für die gleichnamige Straße muss das erst mal nicht notwendigerweise gelten. Darüber ließe sich eher streiten. Eine Straße ist längst nicht so ein sensibler Ort wie eine Schule.
Ja, es stimmt: Seit rund 400 Jahren gilt Gretser gemeinhin als die größte Persönlichkeit, die die Stadt Markdorf hervorgebracht hat. Ein führender Denker der frühen Neuzeit, ein bereits zu seinen Lebzeiten in ganz Europa hochgeachteter Gelehrter. In Markdorf war man immer stolz auf seinen berühmten Sohn. So jemanden verstößt man doch nicht. Oder etwa doch?
Das ist nicht die Frage. Dass man eine Schule umbenennen sollte, weil ihr Namensgeber nach heutigen ethischen und moralischen Maßstäben diesem Anspruch nicht mehr genügt, bedeutet nicht, dass man im selben Zuge die Erinnerung an den umstrittenen, aber auch bedeutenden Gelehrten auslöschen sollte. Im Gegenteil: Gerade hier ist Erinnerungsarbeit sehr wichtig.
Öffentliche Aufklärung wäre wünschenswert
Was folgt daraus? In Markdorf sollte kritisch und differenziert über Gretser aufgeklärt werden, gerne an prominenter Stelle, im Rathaus zum Beispiel oder in der Mittleren Kaplanei. So, wie es auch an anderen Orten mit berühmten, aber umstrittenen Personen geschieht. Eine geschichtsblinde Heldenverehrung, wie es sie in Markdorf um Gretser bis in die 70er-Jahre noch gegeben hat, hilft niemandem – im Übrigen auch nicht dem Andenken an die historische Person selbst.
Deswegen: Öffentliche und reflektierende Aufklärung ja, Deckmantel des Schweigens nein. Den Namen der Schule zu belassen und die Diskussion für beendet zu erklären, hieße aber gerade, einen solchen Deckmantel des Schweigens auszubreiten – wider besseren Wissens. Deshalb, und auch wenn es tatsächlich wichtigere Angelegenheiten in der Stadt gibt: Ein neuer Name für die Schule wäre angebracht.
Bernhard Oßwalds Anstoß sollte man nutzen
Den Weg dorthin kann man ohne Eile und ohne Not beschreiten. Die Zeit drängt nicht. Aber der Anstoß, den Bernhard Oßwald gegeben hat und der ein Bewusstwerden des Themas und die nun begonnene Debatte ermöglicht hat, der sollte nun auch genutzt werden: Für eine offene Diskussion in der Stadt mit anschließender fundierter Entscheidung in den zuständigen Gremien.