Günther Wieth sagt: „Diese Zunahme ist drastisch“. Der Leiter des Markdorfer Tafelladens spricht von seinen jüngsten Kundenzahlen. Standen in den Januarwochen an den Donnerstagen noch im Schnitt rund 70 Menschen an, um gespendete Lebensmittel in Empfang zu nehmen, so sind es mittlerweile 90. „Das muss man mit dem Faktor 3,5 multiplizieren“, erklärt Wieth, „weil die zum Tafelbesuch berechtigenden Ausweise von der Diakonie in der Regel für Familien ausgestellt werden.“

Insgesamt seien es rund 170 Haushalte in der Stadt, deren Einkommen kaum ausreicht, um den täglichen Bedarf zu decken und für die die Markdorfer Tafel in ihren Räumen am Stadtgraben vor allem Brot, Gemüse, aber auch Molkereiprodukte bereithält. Lebensmittel, die dann für ein symbolische Summe über die Theke gehen.
Steigende Lebensmittelpreise treffen die Armen
Gründe für den stark gestiegenen Zulauf in der Tafel sieht Wieth mehrere. Zunächst: „Jeder merkt es beim Einkauf, insbesondere beim Obst und Gemüse, Lebensmittel sind deutlich teurer geworden.“ Die Erzeuger verlangen höhere Preise. Hinzu kommen Wetterkapriolen, logistische Probleme, außerdem die emporschnellenden Energiekosten, auch für den Transport von Lebensmitteln.
Geflüchtete aus der Ukraine kommen nun hinzu
„Und dann kommen seit einigen Wochen auch noch die Menschen aus der Ukraine zu uns“, beobachtet der Tafel-Leiter. „Allein im März hat die Diakonie Tafelausweise für 15 ukrainische Flüchtlingsfamilien ausgestellt.“ Hinzu kamen im selben Zeitraum dann noch 20 weitere Tafelausweise für Migranten aus anderen Regionen sowie für Familien ohne Migrationshintergrund. Für Menschen, die aus anderen Gründen bedürftig sind, erklärt Wieth. „35 in nur wenigen Wochen, das ist schon heftig“, sagt der Tafelchef. Im Rathaus hätten sich unterdessen bereits 45 Flüchtlinge aus der Ukraine gemeldet, berichtet Wieth von seinen Gesprächen mit der Verwaltung. Also kann man mit weiterem Zulauf rechnen.

Renate Hold, Leiterin des Markdorfer Mehrgenerationenhauses (MGH), weiß hingegen: „Es lassen sich aber nicht alle Menschen, die aus der Ukraine kommen, bei uns auch registrieren.“ Viele fänden bei Freunden oder Verwandten Unterschlupf. „Sie suchen Arbeit und wollen gar keine Unterstützung in Anspruch nehmen“, berichtet Hold auch aus ihren Erfahrungen im Helferkreis Flucht und Asyl Oberteuringen, wo sie sich seit Langem ehrenamtlich engagiert.
Der Tafel gehen inzwischen die Spenden aus
Was Tafelleiter Wieth neben dem Ukrainekrieg und der Inflation sehr zu schaffen macht, das ist die Entwicklung auf dem Lebensmittelmarkt. Abgezeichnet habe es sich schon länger, doch werde es nun bedrohlich. „Uns gehen die Lebensmittel aus“, warnt Wieth. Eine Klage, die keineswegs nur in Markdorf laut wird. Landauf, landab registrieren fast alle Tafeln, dass ihnen immer weniger Obst, immer seltener Gemüse und nur sehr wenige Molkereiprodukte überlassen werden.

Von seinen ehrenamtlichen Fahrern hört Günther Wieth immer öfter: „Wir haben nichts bekommen.“ Von ihren Fahrten zu den Lebensmittelgeschäften kehren sie nicht selten mit recht recht spärlich gefüllten Körben zurück. „Wir haben da einen Rückgang von 50 Prozent im letzten halben Jahr“, berichtet der Tafelchef.
Helfer immer öfter mit leeren Händen
Woran es liegt, weiß Wieth jedoch nicht. „Vielleicht sind es die gestiegenen Lebensmittelpreise, die die Geschäfte knapper kalkulieren lassen.“ Und womöglich zeige auch allmählich Wirkung, „was wir seit langem predigen: dass bei uns viel zu viele Lebensmittel auf dem Müll landen“. Doch nun scheint sich der Einsatz gegen Überproduktion und Verschwendung ausgerechnet gegen die zu kehren, die in Form der Spenden bisher einen Vorteil davon hatten und sie auch dringend benötigen.

„Es tut schon weh, wenn erst die Hälfte unser Kunden durch ist, wir ihnen aber nichts mehr geben können“, sagt Wieth über seine jüngsten Erfahrungen im Laden. Die Enttäuschung sei dann groß. Schwierig sei diese Situation auch für die ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Tafel. Vorbei die Zeiten, in denen sie mit vollen Händen geben konnten. Und eine Besserung zeichnet sich nicht ab. Im Gegenteil rechnet Günther Wieth damit, dass die Zahl der Bedürftigen noch weiter ansteigen wird: „Wir werden künftig mehr auf Geldspenden angewiesen sein“, sagt Günther Wieth. Eine gewisse Bereitschaft dazu könne er sehr wohl bereits erkennen.
Auf das Prinzip Gleichbehandlung legt Wieth großen Wert
Eines betont der Tafelleiter aber: „Wir behandeln alle gleich.“ Gleich, ob ein Empfänger Einheimischer ist oder ob er aus Syrien, dem Sudan oder der Ukraine gekommen ist. „Alle bekommen das gleiche, alle müssen donnerstags genauso anstehen wie alle anderen, da wird keiner bevorzugt“, betont Wieth: „Bei uns herrscht das Prinzip Gleichbehandlung.“