1972 war für Kluftern ein besonderes Jahr. Bis dahin war die heute zweitgrößte Ortschaft Friedrichshafens eine selbstständige Gemeinde. Am 5. April setzten Friedrichshafens Oberbürgermeister Max Grünbeck und Kurt Brotzer, Bürgermeister von Kluftern, ihre Unterschrift unter die 21 Seiten umfassende Vereinbarung zur Eingliederung des badischen Klufterns.

Bürgermeister/Ortsvorsteher Kurt Brotzer (links) und Oberbürgermeister Max Grünbeck unterzeichnen am 5. April 1972 im Friedrichshafener ...
Bürgermeister/Ortsvorsteher Kurt Brotzer (links) und Oberbürgermeister Max Grünbeck unterzeichnen am 5. April 1972 im Friedrichshafener Rathaus den Eingliederungsvertrag von Kluftern. | Bild: C. Fetzer (Südkurier)

Anschluss nicht ohne Diskussionen und finanzielles Kalkül

Es versteht sich von selbst, dass der Anschluss des badischen Örtchens Kluftern an die württembergische Nachbarstadt nicht ohne Diskussionen, zahlreiche Überlegungen und finanzielles Kalkül ablief. Eingeleitet worden war die große Gebietsreform von der Landesregierung Baden-Württemberg bereits 1966. „Sie machte Druck auf die Gemeinden und lockte mit finanziellen Anreizen. Ziel war, die Zahl der Gemeinden auf ein Drittel zu reduzieren“, berichtet Bernd Caesar, Vorsitzender des Vereins Arbeitskreis Heimatgeschichte Kluftern.

Kluftern aus der Luft: Diese Postkarte stammt aus dem Jahr 1974,
Kluftern aus der Luft: Diese Postkarte stammt aus dem Jahr 1974, | Bild: Luftaufnahme Studio Meersburg, Reproduktion Boes&Thären, Rielasingen

Caesar hat sich intensiv mit der Zeit rund um die Gebietsreform beschäftigt und schon vor Jahren mit Zeitzeugen gesprochen. So erinnert sich der damalige Klufterner Gemeinderat Edwin Ammann: „Etwa ein Jahr vor der Eingemeindung ist in Markdorf in der Stadthalle eine Versammlung abgehalten worden. Landrat Schieß hat die Gemeinderäte und Bürgermeister eingeladen, zu einer Aussprache über die Gemeindereform. Ich kann Ihnen sagen, seine Vorstellungen sind mit Turbulenz aufgenommen worden. Und wir haben dann gesagt, a‘ wa‘, das ist Zukunftsmusik, das ist Geschwätz, wir haben das eigentlich gar nicht so richtig ernst genommen ...“

Bürgermeister Brotzer holte Angebote ein

Die Landesregierung habe mit finanziellen Hochzeitsgeschenken gewunken und zugleich mit dem Ende der Sonderzuweisungen und der Zwangseingemeindung gedroht, berichtet Bernd Caesar. Bürgermeister Brotzer hatte dafür plädiert, die Sache von sich aus zu betreiben und sich Angebote der Städte Markdorf und Friedrichshafen geben zu lassen. Bei einer Bürgerabstimmung erhielt Brotzer grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen mit beiden Städten. Wenige Tage später, am 24. September 1971, vertrat der Gemeinderat jedoch einstimmig die Meinung, dass Kluftern so lange wie möglich seine Selbstständigkeit behalten soll. Falls dies eines Tages nicht mehr möglich sei, strebe man eine Zusammenarbeit mit Markdorf an.

Ein Jahr nach der Eingemeindung nach Friedrichshafen: das neue Klufterner Feuerwehrgerätehaus im Jahr 1973.
Ein Jahr nach der Eingemeindung nach Friedrichshafen: das neue Klufterner Feuerwehrgerätehaus im Jahr 1973. | Bild: Foto Strauch, Markdorf

Dabei hatten die Klufterner einen Wunschzettel, auf dem an erster Stelle eine Mehrzweckhalle stand, gefolgt von einem Feuerwehrgerätehaus, Kindergärten und einem Schwimmbad. „Der Proberaum für den Musikverein war der ehemalige Schulraum im Rathaus. Die Feuerwehr hatte ihre Geräte notdürftig im Keller des Rathauses untergebracht. Der Gymnastikraum im Keller des alten Schulhauses war der einzige größere Raum. Er bot jedoch nicht ausreichend Platz für die rasant wachsende Klufterner Einwohnerzahl“, berichtet Bernd Caesar.

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Notiert hat Caesar die Erinnerungen Bürgermeister Brotzers an die Verhandlungstage: „Bürgermeister Thiede meinte, alle diese Einrichtungen, die ihr wollt, die haben wir in Markdorf, also bitte kommt nach Markdorf, und da habt ihr alles. Das war für die Klufterner höchst unbefriedigend“, wird Brotzer zitiert. Zwei Tage später habe Friedrichshafens Oberbürgermeister Max Grünbeck allen Forderungen zugestimmt. Wie in einer Märchenstunde hätten sich die damaligen Klufterner Gemeinderäte gefühlt.

Ein Jahr nach der Eingemeindung: Friedrichshafens Oberbürgermeister Max Grünbeck (rechts) gratuliert Klufterns Ortsvorsteher Kurt ...
Ein Jahr nach der Eingemeindung: Friedrichshafens Oberbürgermeister Max Grünbeck (rechts) gratuliert Klufterns Ortsvorsteher Kurt Brotzer zur neuen Mehrzweckhalle. | Bild: Fundus Kurt Brotzer

Gefühlsmäßig seien die Klufterner jedoch hin- und her gerissen gewesen. Edwin Ammann schildert die Gefühlslage der Alt-Klufterner: „Man ist als Kluftinger da so mehr beheimatet gewesen in Markdorf, Schulzentrum, Abwasserverband, Rotes Kreuz, Sozialstation, Raiffeisen-Genossenschaft und Polizei, alles war mit Markdorf verknüpft. Ein Großteil der Kluftinger Bürger an und für sich hat sich nach Markdorf orientiert, der Hafen war für uns ein wenig zu groß.“ Der 27. Februar 1972 war dann der Tag der Entscheidung. In einer Bürgerbefragung stimmten 85,2 Prozent für die Eingemeindung nach Friedrichshafen und der Klufterner Gemeinderat bestätigte das Ergebnis einstimmig.

Bürgerhaus statt Schwimmbad

Der Bau der Mehrzweckhalle und des Feuerwehrhauses begannen bereits 1972 und ein Jahr später feierte Kluftern die Einweihung mit einem zwei Tage dauernden großen Fest. Aber nicht alles, was im Vertrag stand, konnte auch umgesetzt werden. So war der Kindergarten in Efrizweiler 16 Jahre später als geplant erst im Jahr 1993 fertig. Zehn Jahre nach der Eingemeindung beschlossen die Klufterner, den vereinbarten Bau eines Hallenbads gegen den Bau eines Bürgerhauses zu tauschen. „Das war eine gute Entscheidung, denn ein Bürgerhaus bringt der Dorfgemeinschaft sehr viel“, sagt Bernd Caesar.

Vor 50 Jahren kam Kluftern zu Friedrichshafen: Das Rathaus ist für die Bürger und Einwohner der Häfler Ortschaft eine wichtige Anlaufstelle.
Vor 50 Jahren kam Kluftern zu Friedrichshafen: Das Rathaus ist für die Bürger und Einwohner der Häfler Ortschaft eine wichtige Anlaufstelle. | Bild: Stadt Friedrichshafen
„Die Stadt hat sich immer fair gegenüber den Ortschaften verhalten. Trotzdem dürften die Ortschaften nicht nachlassen beim Kampf um ihre Eigenständigkeit.“
Leo Benz, einst Klufterns Ortsvorsteher

Die kulturelle Eigenständigkeit und die Verwaltung vor Ort mit einem Ortschaftsrat habe seither nichts von ihrer großen Bedeutung eingebüßt. Bernd Caesar, seit vielen Jahren im Ortschaftsrat Kluftern, würde ein Zitat von Leo Benz, Klufterner Ortsvorsteher a. D. und ehemaliger Friedrichshafener Stadtrat, unterschreiben: „Die Stadt hat sich immer fair gegenüber den Ortschaften verhalten. Trotzdem dürften die Ortschaften nicht nachlassen beim Kampf um ihre Eigenständigkeit.“

Zeichen des Umbruchs in den Jahren um 1972

  • Zuzug vieler Neubürger ins Dorf und rasanter Anstieg der Einwohnerzahl. Im Jahre 1945 waren 912 Einwohner registriert, 1972 im Jahr der Eingemeindung waren es circa 2200 und heute sind es knapp 3700.
  • Statt ländlicher Idylle mit Bauernhöfen schossen Mehrfamilienhäuser und Wohnblocks wie Pilze aus der Erde. Die Grundstückpreise gerieten in Bewegung. Neuerungen wie der Kindergarten und das Bildungszentrum veränderten das Familienleben und die Ausbildung.
  • Bau von Kanalisation und Kläranlagen sowie die Einführung einer Müllabfuhr.
  • Dem Wunsch nach mehr Mobilität und der wachsenden Zahl von Autos entsprechend, wurden Straßen gebaut und eine Linienbusverbindung eingerichtet.