Plötzlich ist alles anders. Bei Saskia Dickhut und ihrem Mann war dies im Sommer 2021 der Fall. Die Markdorferin brachte ihren Sohn in der 16. Schwangerschaftswoche still zur Welt. Ein Schock für die Familie, die sich neben Trauer und Schmerz mit vielen rechtlichen Fragen auseinandersetzten musste. „Das hat uns völlig unvorbereitet getroffen. Gedanklich richtest du gerade noch das Kinderzimmer ein und plötzlich musst du eine Bestattung planen“, erinnert sich Saskia Dickhut an diese schwere Zeit zurück.
In dieser Ausnahmesituation müssen wichtige Entscheidungen getroffen werden. „Dabei ist es wichtig, Abschied zu nehmen, denn diese Momente sind kurz und kostbar und kommen nie mehr zurück“, sagt Saskia Dickhut. Unterstützung bekommt sie von ihrer Freundin Angela Sombrowski, die als Hebamme arbeitet. „Wir waren alle mit der Situation überfordert und obwohl ich damals schon seit zehn Jahren in den Beruf tätig war, war ich mit dem, wie alles abgelaufen ist, sehr unzufrieden“, berichtet Sombrowski, die der Schicksalsschlag von Saskia Dickhut emotional sehr mitnimmt.

Monatlicher Gesprächskreis im Mehrgenerationenhaus Markdorf
Beide Frauen vermissen im Bodenseekreis eine Anlaufstelle, an die sich Eltern, die ihr Kind verloren haben, wenden können – wo sie Hilfe und Beratung bekommen. „Für mich stand Monate später fest, dass ich irgendetwas unternehmen möchte, dass ich unterstützen möchte“, so Dickhut. Sie gründet gemeinsam mit Angela Sombrowski den Verein Sternenkinder Bodensee, der Eltern ab der Diagnose und darüber hinausbegleitet. Als Sternenkind werden sind Kinder bezeichnet, die bereits vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Im Mehrgenerationenhaus in Markdorf findet einmal im Monat ein Gesprächskreis statt, in dem sich Betroffene austauschen können.
Mütter haben nach der Diagnose Zeit
Den Vereinsgründerinnen ist vor allem wichtig zu betonen, dass Mütter nach der Diagnose beim Frauenarzt Zeit haben, solange keine medizinischen Gründe dagegensprechen. „So muss man nicht direkt am selben Tag ins Krankenhaus“, berichtet Saskia Dickhut, die über die verschiedenen Optionen aufklären möchte. „Alles geht viel zu schnell. Es kommt nicht im Kopf und Herz an, was passiert ist“, sagt Dickhut, die Mutter einer vierjährigen Tochter ist. Auch einem Geschwisterkind die Situation zu erklären, sei nicht einfach, aber wichtig. Hier plädiert sie für die Wahrheit, damit das Kind weiß, warum Mama und Papa traurig sind.

Begleitung vor und nach der Geburt
Der gemeinnützige Verein basiert auf drei Säulen. Zunächst geht es um die akute Begleitung. Saskia Dickhut ist über die Telefonnummer 0151 23154058 täglich von 9 bis 21 Uhr erreichbar. „Die Frauen fühlen sich leer, wollen den Zustand nicht wahrhaben und möchten, dass es so schnell wie möglich vorbei ist“, so Dickhut, die empfiehlt, sich ausreichend Bedenkzeit zu nehmen, wie es weitergehen soll. Im Krankenhaus sollte man sich einen geschützten Raum schaffen, um ein Familienzimmer bitten und engste Familienmitglieder und Vertraute einbeziehen, wenn sie es wünschen. Auch Fragen zur Bestattung müssen nicht unmittelbar entschieden werden.
Erinnerungen in Fotos festhalten
Die zweite Säule betrifft die Betreuung nach der Geburt. Die dreifache Mutter Angela Sombrowski, die unter anderem im Klinikum in Bregenz arbeitet, berichtet aus ihren Erfahrungen, dass es eine schöne Erinnerung ist, wenn Fotos gemacht werden. Ehrenamtliche Sternenkinderfotografen fertigen professionelle Bilder an. Hand- und Fußabdrücke, eine Locke oder ein Tuch, können so zu kostbaren Schätzen werden.
Viele Frauen, die eine Fehl- oder Totgeburt erlitten haben, kümmern sich laut Sombrowski anschließend zu wenig um sich selbst. „Viele denken nicht daran, einen Rückbildungskurs zu machen“, sagt die Hebamme. Sie bietet im Mehrgenerationenhaus einen Kurs mit Rückbildungsgymnastik für verwaiste Mamas an. Des Weiteren begleitet sie Frauen bei Folgeschwangerschaften, die für die meisten eine große Herausforderung darstellen und auch mit der Angst verbunden ist, erneut ein Kind zu verlieren. „Viele fragen mich, was sie anders machen können. Dabei haben sie nichts falsch gemacht“, sagt Angela Sombrowski.

Fehlgeburten dürfen kein Tabu-Thema sein
Dickhut und Sombrowski möchten als dritte Säule den Verlust eines Kindes vor oder bei der Geburt aus der Tabu-Zone holen. „Es wird viel zu wenig darüber gesprochen“, kritisieren sie. Dabei erleidet laut Angela Sombrowski jede sechste Frau mindestens eine Fehlgeburt, davon jede Fünfte nach der 12. Schwangerschaftswoche. „Es ist egal, zu welchem Zeitpunkt man das Kind gehen lassen muss. Eine Frau ist eine Mama, sobald sie einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hält“, sagt Saskia Dickhut.
Kampagne „Unsichtbare Mama“ startet am 15. April
Der Verein, der bekannter werden möchte, startet am 15. April eine Kampagne „Unsichtbare Mama“ und sucht Frauen, die das Thema enttabuisieren und sich fotografieren lassen. „Es ist wichtig, darüber zu sprechen. Eine Fehlgeburt verschweigen zu müssen, aufgrund gesellschaftlicher Vorstellungen, ist schlimm“, so Saskia Dickhut, die sich damals gerne mit anderen unsichtbaren Mamas ausgetauscht hätte.
Wie wertvoll dieser Austausch sein kann, erleben Saskia Dickhut und Angela Sombrowski im Gesprächskreis. „Alle Gefühle sind erlaubt. Es darf gemeinsam gelacht und zusammen geweint werden.“ Denn Trauer sei Liebe und kenne keine Größe.