Wenn Caroline Wiesent den Tisch deckt, denkt sie manchmal daran, dass da noch zwei weitere Teller stehen könnten. Tatsächlich muss die 39-Jährige aber nichts weiter auflegen. Denn sie hat ihr erstes und viertes Kind während der Schwangerschaft verloren. Heute sagt sie: „Ich denke jeden Tag an diese Kinder, aber es ist nicht mehr so schmerzhaft.“

Inzwischen leitet sie mit ihrem Mann Niclas Wiesent eine Selbsthilfegruppe in Konstanz für Eltern, die ihr Kind kurz vor, bei oder nach der Geburt verloren haben. In Zusammenarbeit mit dem Hospiz und Pro Familia gehört sie am Samstag, 22. Oktober, zu den Mitgestalterinnen eines Tages für Betroffene.

Wo stehen Eltern mit ihrer Trauer, die ihr Kind kurz vor oder nach der Geburt verloren haben? Beim Elterntag fragen dies (von links) ...
Wo stehen Eltern mit ihrer Trauer, die ihr Kind kurz vor oder nach der Geburt verloren haben? Beim Elterntag fragen dies (von links) Christina Labsch-Nix (Hospizverein), Caroline Wiesent (Selbsthilfegruppe) und Ann-Kathrin-Pütz (Pro Familia). | Bild: Rindt Claudia

Im sechsten Monat verlor sie das Kind

Caroline Wiesent war völlig unvorbereitet in die düsteren Stunden geraten. „Ich hatte keinen Plan, dass so etwas passieren kann.“ Wie viele Frauen, die ihr erstes Kind erwarten, freute sie sich. Doch in der 24. Schwangerschaftswoche (sechster Monat) war alles vorbei. Die ersten drei Monate einer Schwangerschaft gelten oft als kritisch. 160 Kinder sterben durchschnittlich pro Jahr im Hegau-Bodensee-Klinikum Singen vor oder kurz nach der Geburt. 

Der Junge namens Willi wog knapp über 500 Gramm. Er hatte keine Chance zum Überleben. Caroline Wiesent war geschockt und traurig. Dazu kam die Enttäuschung, dass es kaum Austausch über die Ereignisse gab. „Ich habe das Kind verloren. Ich habe keinen Kinderwagen. Ich habe so wenig.“ Ein paar Worte könnten in dieser Lage wertvoll sein.

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Wie gehen sollen Familie, Freunde und Bekannte mit so einer Situation umgehen? Ist es besser, dass Thema gar nicht erst anzusprechen, um so keine Wunden aufzureißen? Christina Labsch-Nix vom Hospizverein weiß, dass viele Betroffene den Wunsch haben, in ihrer Trauer gesehen zu werden. Sie schlägt vor, sich vorsichtig heranzutasten, etwa mit der Frage: „Wie geht es dir? Woran denkst Du?“ Sie rät, ehrlich zu sein. Auch ein „es tut mir so Leid, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sei besser als zu schweigen.

Der Tod eines Baby ansprechen oder nicht?

Ann Kathrin-Pütz von Pro Familia sagt ähnliches: „Man kann auch sagen, dass man unsicher ist, wie man damit umgehen soll.“ Wer eigene Erfahrungen mit einem Kind hat, das kurz vor oder nach der Geburt gestorben ist, könne diese ansprechen. Nur auf Ratschläge, wie etwa, das Kind war doch noch so klein, das wird schon wieder, solle man unbedingt verzichten. Caroline Wiesent betont, wie wichtig es sei, dass andere den ersten Schritt machen. Sie weiß: „Trauer ist anstrengend, sie kostet Kraft.“ Ein Trauernder werde deshalb selten selbst aktiv.

Sie berichtet weiter: Um wenigstens irgendetwas vom Kind zu haben, gewinne Banales an Bedeutung, wie ein Kugelschreiber des behandelnden Arztes. Andere Eltern lassen sich mit ihren Sternenkindern fotografieren. Die Trauer sei auch nicht kleiner, nur weil das Geschöpf noch klein war. „Anna war einen Zentimeter groß, aber es war mein Kind“, sagt sie über ihre zweites Sternenkind.

Im Haus des Hospizvereins in der Talgartenstraße 2 in Konstanz treffen sich die trauernden Eltern.
Im Haus des Hospizvereins in der Talgartenstraße 2 in Konstanz treffen sich die trauernden Eltern. | Bild: Rindt Claudia

Caroline Wiesent weiß, dass Eltern oft vor einer bitteren Entscheidung stehen. Das ungeborene Kind ist schon gestorben oder gilt als nicht lebensfähig. Mutter und Vater sollen festlegen, was weiter geschehen soll. Die natürliche Geburt, die Einleitung der Geburt, der Abbruch der Schwangerschaft. „Das ist eine extreme emotionale Situation.“

Manchmal reagiere der Körper von sich aus, so wie bei ihr, und leite die Geburt ein. Caroline Wiesent denkt, dass es oft besser ist, das Kind natürlich zur Welt zu bringen, aber es hänge vom Einzelfall ab, ob dies überhaupt möglich ist. Manchmal sei die Belastung der Mutter zu groß und sogar deren Leben in Gefahr. Pro Familia kann in solchen Fällen Orientierung geben.

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Nächste Selbsthilfegruppe gibt es in Freiburg

Caroline Wiesent und ihre Partner haben lange gebraucht, bis sie mit dem Schmerz des Verlusts umgehen konnten. Sie mussten beide noch nach Freiburg fahren, weil es nur dort die nächste Selbsthilfegruppe gab. Das wollten sie Betroffenen im Raum Konstanz ersparen, und gründeten hier vor knapp vier Jahren eine Selbsthilfegruppe. Für Eltern, die nach dem Verlust eines Kindes, wieder ein Baby erwarten, gibt es eine eigene Gruppe mit einer Hebamme. Die Themen seien zu unterschiedlich, sagt Caroline Wiesent. Beim Tag für Eltern soll es auch um die Frage gehen, wie Paare künftig mit ihrer Sexualität umgehen.

Caroline Wiesent berichtet von vielen Diskussionen, ob das Paar eine erneute Schwangerschaft aushält. Aus eigener Erfahrung wisse sie: „Ich kann ganz viel Mut machen. Aber die Folgeschwangerschaft ist nicht schön.“ Da sei immer die Angst und die Frage, ob man etwas falsch gemacht habe. „Man hätte so gern eine Erklärung.“

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Als sie über die 24. Woche hinaus war, habe sich zunächst eine gewisse Erleichterung eingestellt, aber es sei ein ungutes Gefühl geblieben. Heute hat Caroline Wiesent drei Kinder. Diese wüssten, dass sie zwei Sternenkinder haben, und dass sich die Eltern manchmal auch für diese Zeit nehmen. „Wir machen kein Geheimnis darum.“ So habe die ganze Familie schon mit Wunderkerzen, Ballons oder Seifenblasen am Grab gestanden. Für Caroline Wiesent ist das eine Form, der Erinnerung Ausdruck zu geben.

„Alles ist richtig, was den Eltern hilft, so zu leben, dass es nicht mehr weh tut.“ Manche haben Gräber, andere nicht. Manche haben den Sternenkindern Namen gegeben, andere nicht. Der eine legt nur einen Stein in den Garten, dem anderen genügt das nicht.