Frau Biehler, wer ist Tillie und was ist ihre Aufgabe?

Martina Biehler: Tillie ist Krankenhausclownin und dafür zuständig, das ganzheitliche Konzept der Kinder- und Jugendklinik am Hegau-Bodensee-Klinikum (HBK) in Singen zu unterstützen. Dieses Konzept verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz zur Heilung und beruht auf den Erkenntnissen des US-amerikanischen Arztes Patch Adams, der den Einsatz von Humor als Heilmittel verfolgte.

Lachen ist nachweislich heilsam, denn beim Lachen schütten wir Glückshormone aus, der Atem, die Lunge und das Herz-Kreislaufsystem werden gestärkt und wir bauen Ängste ab. Und letzteres ist besonders wichtig, denn ein Krankenhausaufenthalt bedeutet eine fremde und sterile Umgebung, Ungewissheit, Unsicherheit und Sorgen. Tillie bildet die Brücke zwischen dem Klinikpersonal, den Eltern und den Patienten.

Wie sind Sie Clownin geworden? Ist das eine theaterpädagogische Ausbildung?

Biehler: Ich bin ausgebildete Erzieherin und Heilpädagogin und hatte vor vielen Jahren in Langenargen einen Zeitungsbericht über Klinikclowns der „Wunschinsel“ gelesen, einem Verein, der Wünsche todkranker Kinder erfüllt. Ich habe unter der Anleitung von Elke Riedmann eine spezielle Ausbildung zur Krankenhausclownin absolviert und ehrenamtlich mit den Clowns der Wunschinsel zwei Jahre im Klinikum Singen gearbeitet und Erfahrungen gesammelt.

Wie kamen Sie an das HBK?

Biehler: Ich hatte vor 25 Jahren das Glück, dass der damalige Chefarzt, Dr. Oßwald, erkannt hat, dass zu einer ganzheitlichen Heilung auch außermedizinische Angebote geschaffen werden müssen. Mit meiner Clownkollegin Doris Reddmann haben wir dem Klinikum ein organisatorisch stabiles Konzept erstellt, das auf gute Resonanz stieß, und wir wurden daraufhin festangestellt.

Wie hat das Klinikpersonal damals auf das Novum reagiert?

Biehler: Am Anfang konnten viele schlecht damit umgehen, teils spürten wir ein Konkurrenzdenken, gerade von den Schwestern, die dachten: Wir kommen mit der Spritze und die Clowns mit guter Laune. Das Denken hat sich aber schnell verändert und heute ist es so, dass ich teilweise angefragt werde, dabei zu sein, wenn eine schwierige Untersuchung ansteht. Da hat sich über die Jahre viel getan.

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Ich vermute, Sie arbeiten mittlerweile eng mit den Ärzten und der Pflege zusammen?

Biehler: In der Tat. Ich bekomme von den Schwestern Informationen, die in einigen Fällen – gerade bei Missbrauch – wichtig für mich sind. Generell ist es leichter, wenn ich zuvor nicht zu viele Informationen über die Patienten habe, denn dann bin ich unvoreingenommen und viel freier in meinem Spiel.

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Woher nehmen Sie Ihre Ideen für die Improvisationen?

Biehler: Manche Clownin nimmt einen Arztkoffer oder eine Tasche mit, ich ziehe meinen Clownwagen als Backup. Darin habe ich Accessoires, um beispielsweise Kitzelbakterien zu fangen oder einen Gesundheitskuchen zu backen. Wobei ich den doppelten Boden mittlerweile gar nicht mehr brauche.

Tillie ist keine reale Person, sondern eine sympathische Fantasiefigur. Gelingt es damit leichter, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen? Wie nehmen Sie Kontakt zu den Kindern auf?

Biehler: Ja, es ist definitiv leichter, in Kontakt zu kommen. Das Krankenhauszimmer ist ein intimer Raum, daher klopft Tillie immer erst höflich an, steckt ihre rote Nase ins Zimmer und fragt: „Darf ich hereinkommen? Oh, ich stehe ja schon drin.“ Damit ist dann der Erstkontakt schon da. Dann nehme ich Stimmung wahr: Ist das Kind bettlägerig? Wie ist der körperliche Zustand? Erst dann nähere ich mich langsam und gehe in die Improvisation.

Wie kann diese aussehen?

Biehler: Ich stelle mich vor, frage nach dem Namen – wenn das Kind den nicht gleich nennen möchte, rate ich spielerisch. Wenn ich lustige Hausschuhe sehe, frage ich, ob wir einen Schuhtausch machen wollen, weil meine ja viel zu groß seien. In der Improvisation passiert extrem viel, wir sind im Hier und Jetzt und die Ideen entwickeln sich im und durch das Spiel.

Gibt es auch Kinder, die Ihren Besuch ablehnen?

Biehler: In den ganzen 25 Jahren, in denen ich das schon mache, gab es konkret zwei Fälle, jedoch nicht die Kinder haben mich abgelehnt, sondern die Eltern. Das habe ich respektiert und mich gleich zurückgezogen. Es passierte auch mal, dass Eltern mich ablehnten, ihr Kind, das im Bett lag, jedoch schon lachte und den Eltern damit die Entscheidung abnahm.

Wie reagieren ältere Kinder, die sich vielleicht in ihrer Angst den Clown wünschen, aber vielleicht schon pubertieren, denen das peinlich ist?

Biehler: Dann schaltet Tillie auf eine coole Art um, und meistens gelingt der Kontakt dann sehr gut.

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Sie besuchen oft schwerkranke Kinder. Wie bewältigen Sie Ihre Emotionen?

Biehler: Sobald ich mich schminke, umziehe und dann die rote Nase aufsetze, werde ich zu Tillie. Ich bin dann in meiner Rolle und die rote Nase ist wie ein Schutz in beide Richtungen.

Dennoch gibt es sicher Begegnungen, die Ihnen nachgehen, oder?

Biehler: Ja, einiges kann man nicht abstreifen, manches bleibt in Erinnerung – Positives wie traurig Bewegendes. Dann tut mir der Austausch mit den Ärzten und den Schwestern gut oder mit Conny Frei, unserer Erzieherin, die auch psychologisch gut aufgestellt ist. Zudem habe ich jederzeit die Möglichkeit, die Klinikseelsorge zu kontaktieren.

Wie unterscheidet sich denn ein Bühnenclown von einem Krankenhausclown?

Biehler: Eine klassische Clownausbildung ist eher im Schauspielbereich und beinhaltet Jonglage und Akrobatik. Als Krankenhausclown erlernt man zwar auch, mit der Mimik und Gestik zu spielen und zu improvisieren, vielleicht ist die Arbeit aber feiner, sensibler, empathischer, und die rote Nase hilft, Situationen aufzubrechen und Brücken zu bauen.

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Wie wird Ihre Arbeit finanziert?

Biehler:Maßgeblich wird mein Honorar über den Förderverein des Klinikums, über Spenden finanziert. Ohne die Spenden, das muss ich ganz klar sagen, wäre die Finanzierung für das Klinikum allein nicht möglich.

Wie hat Ihre Arbeit die Sicht auf das Leben beeinflusst?

Biehler: Ich bin durch meine Arbeit spontaner geworden und flexibler, was mir auch in meinem Hauptberuf als Heilpädagogin hilft. Und durch die Begegnungen mit kranken Kindern werden die eigenen Schicksalsschläge ein bisschen kleiner.