Als Willi Braun beim Technischen Hilfswerk in Radolfzell anfing, gehörte noch ein Fahrrad zur Ausrüstung. In den Jahrzehnten seitdem hat er viel erlebt – auch gemeinsam mit Christoph Bilger. Die beiden waren Ortsbeauftragter und stellvertretender Ortsbeauftragter in Radolfzell. Schon 1967 trat Braun der Gruppe bei, 2004 folgte Bilger, der damals in der Jugendgruppe startete. In diesem Jahr haben beide Männer ihre Ämter nach vielen Jahren an ihre Nachfolger Christian Daniel und Robert Nickel abgegeben.

Zu diesem Anlass blicken sie zurück auf die Entwicklungen des Radolfzeller THW und die spektakulärsten Einsätze, die ihnen in Erinnerung geblieben sind. Darunter etwa ein Nato-Gipfel, eine besondere Ehre von der Bundeswehr und so manche Katastrophe in der Region.

Standort am See

Denn seit den 1960er-Jahren haben sich Ausstattung als auch Standort verändert. Denn als Willi Braun Teil der Hilfsorganisation wurde, die in verschiedenen Extremsituationen in ganz Deutschland und auch mal im Ausland eingesetzt wird, war diese noch nicht mitten in der Stadt zu finden. Stattdessen habe sie über eine Hütte außerhalb der Stadt beim Herzen verfügt. „Das war ursprünglich einmal eine Hütte von Schiesser“, erzählt Christoph Bilger. Dort sei auch heute noch ein Lager, zudem sei dort ehemals noch die Fährengruppe untergebracht worden.

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Allerdings wurde der Hauptstandort des Radolfzeller THW 1986 in die Franz-Anton-Mesmer-Straße verlegt, auf das ehemalige Gelände der Straßenmeisterei. Der Vorteil dort: Weil die Straßenmeisterei auch schon große Fahrzeuge besessen hatte, seien die Garagen entsprechend hoch gewesen, um auch vom THW genutzt werden zu können. „Aus heutiger Sicht muss man sagen, das war das beste, was man hätte machen können“, sagt Bilger. Auch weil das Gelände an der Franz-Anton-Mesmer-Straße so groß sei, dass das THW kürzlich ohne Probleme sein neues Gebäude errichten konnte. 

Mit dem Rucksack zum Einsatz

Doch nicht nur der Standort des THW änderte sich. Auch die technischen Möglichkeiten der Organisation sind längst nicht mehr die gleichen wie noch bei Willi Brauns Eintritt in die Ortsgruppe. „Da war die Ausstattung minimal“, erinnert er sich. Man habe ein Einsatzfahrzeug und ein Fahrrad gehabt. Heute sind es vier Großfahrzeuge, zwei Mannschaftstransportwagen „und einiges an Anhängern“, so Bilger. Bis 2016 besaß das Radolfzeller THW zudem eine Pontonfähre, die auch als schwimmender Steg eingesetzt werden konnte.

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Bei Einsätzen seien die Mitglieder früher mit Ausrüstung in Rucksäcken ausgerückt. „Das war eine rudimentäre Sache und sie waren bockelschwer, die Rucksäcke“, sagt Willi Braun. Auch seien die Einsatzkräfte nicht über Funkmelder, sondern per Telefonanruf im eigenen Zuhause alarmiert worden.

Fähre wird zum ersten deutschen Flugzeugträger

Besondere Einsätze sind den beiden Männern so einige in Erinnerung geblieben – und auch eine ganz besondere Übung 1986 bei Dingelsdorf mit Soldaten der ersten Fliegerabteilung aus Lauptheim. „Da haben wir den Kommandanten auf der Fähre landen lassen“ – und zwar mit dem größten Hubschrauber, den es damals bei der Bundeswehr gegeben habe. Der Fähre sei daraufhin auch eine große Ehre zuteil geworden: Sie sei zum „ersten deutschen Flugzeugträger Bodensee“ erklärt worden. Von der Bundeswehr habe es dazu sogar eine Urkunde gegeben.

Die THW-Fähre im Jahr 1993.
Die THW-Fähre im Jahr 1993. | Bild: Klaus Kuhn/SK-Archiv

Der erste richtige große Einsatz der Fähre folgte dann schon 1987: Vor der Insel Reichenau sei durch Hochwasser eine große Menge Treibholz angeschwemmt worden. „Da lag so viel Holz im Wasser, wie sie im ganzen Jahr eingeschlagen hätten“, schildert Willi Braun – also so viel, wie sonst im Gemeindewald gefällt worden wäre. Das THW Radolfzell habe das Treibholz schließlich nach und nach aus dem See gefischt und mit der Fähre an Land gebracht.

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Ein weiteres Mal hatte es das THW im Jahr 1999 mit Hochwasser zu tun. Im Sommer sorgten damals heftige Regenfälle und Schneeschmelze dafür, dass ganze Straßen in Radolfzell unter Wasser standen. Vier Wochen lang sei das THW im Einsatz gewesen, etwa um die Radolfzeller Kläranlage zu schützen und Sandsäcke auszugeben. Durch den langen Dauereinsatz habe man Technik wie Pumpen nebenbei auch immer wieder warten müssen.

Flugzeugabsturz und Sandsack-Spende

Aber auch noch an andere Einsätze erinnern sich Willi Braun und Christoph Bilger. Etwa an den Flugzeugabsturz 2002 bei Überlingen, damals habe das THW bei der Bergung von Trümmerteilen geholfen. Im gleichen Jahr habe man beim Elbehochwasser geholfen, Willi Braun habe damals Sandsäcke nach Stendal in Sachsen-Anhalt gebracht, die von der Schweiz gespendet wurden – und dabei so manches Abenteuer erlebt.

Zum einen habe er eineinhalb Stunden am Zoll in Ramsen mit den Zöllnern diskutieren müssen, da die Abmachung mit der Schweiz nur mündlich erfolgt sei und man ihn nicht habe durchlassen wollen. „Ich durfte aber schlussendlich passieren.“ Auf dem Weg nach Stendal habe sein Anhänger dann nachts auch noch eine Panne gehabt und über das THW Bad Homburg musste kurzfristig Ersatz organisiert worden.

Nato-Gipfel und Altstadtbrand

Eine weitere Besonderheit sei der Nato-Gipfel 2009 in Baden-Baden gewesen. Dort habe das THW unter anderem die Kommunikation per Funk sicherstellen und eine Brücke freiräumen müssen. „Da durfte nicht mal ein Nagel liegen“, erinnert sich Willi Braun. Von den politischen Gästen selbst habe er aber kaum etwas mitbekommen: „Obama haben wir natürlich nirgendwo gesehen.“

Die THW-Fahrzeuge im Jahr 1995 vor dem Gebäude der Radolfzeller Ortsgruppe
Die THW-Fahrzeuge im Jahr 1995 vor dem Gebäude der Radolfzeller Ortsgruppe | Bild: SK-Archiv

Aber auch an Einsätze beim Hochwasser im Ahrtal 2021 und beim Altstadtbrand in Konstanz 2010 erinnern sich Willi Braun und Christoph Bilger noch gut. „Bärenkalt war es da“, schildert Braun zu den Wintertagen in Konstanz. Man sei gemeinsam mit anderen Ortsgruppen vor Ort gewesen, unter anderem musste der Einsatz ausgeleuchtet und es mussten Häuser mit Stahlseilen verspannt werden, um sie zu sichern. „Das war eine wahnsinnige Materialschlacht“, sagt Bilger. „An Weihnachten hat man noch Material aus dem Sägewerk geholt.“

Die Unterstützung hat zugenommen

Nachhaltige Folgen hatte der erste Einsatz im Rahmen der Flüchtlingshilfe 2015. In Erding habe man beim Aufbau einer Erstaufnahmeeinrichtung geholfen. Er habe tolle Menschen kennengelernt, erzählt Christoph Bilger. Und nicht nur das: Nach 2015 habe die Regierung gemerkt, wie vielseitig das THW einsetzbar sei – und habe die finanzielle Unterstützung erhöht. Früher hätten dem THW in Radolfzell etwa 5000 bis 7000 Euro pro Jahr zur Verfügung gestanden, mittlerweile seien es um die 20.000 Euro. „Die Politik hat da wirklich reagiert“, lobt Christoph Bilger.