Bis vor wenigen Jahren hatten vermutlich nicht viele Menschen von der Neurochirurgie am Hegau-Bodensee-Klinikum Singen gehört, wenn sie nicht gerade schwer an der Wirbelsäule verletzt waren oder einen Tumor entfernen lassen mussten. Doch dann trennte sich der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) von den beiden niedergelassenen Neurochirurgen Bahram Hashemi (Juli 2021) und Aram Bani (März 2023), samt aufsehenerregenden Gerichtsverhandlungen. In diesem Zusammenhang ging es auch um die Frage, wie die neurochirurgische Versorgung in der Region weiterhin gewährleistet werden kann. Darauf gibt der GLKN nun eine Antwort: Die Neurochirurgie am Singener Krankenhaus wird zur eigenständigen Klinik weiterentwickelt.

„Wir investieren in Strukturen, die die regionale Versorgung sichern und wirtschaftlich tragfähig sind – heute und mit Blick auf die kommenden Jahre“, betont GLKN-Geschäftsführer Bernd Sieber in einer Mitteilung. „Die Klinik für Neurochirurgie sichert die Behandlung von anspruchsvollen und lebensbedrohlichen Notfällen und versorgt Patienten bei akuten, komplexen Erkrankungen.“ In der Vergangenheit hatten Hashemi und Bani das per Kooperationsvertrag für Patienten weit über die Region hinaus übernommen.

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Nach holprigen Jahren rund um die Neurochirurgie

Allerdings wurde die Zusammenarbeit mit beiden Ärzten aus verschiedenen Gründen beendet: Bei Hashemi standen schwere, aber haltlose Vorwürfe dahinter, die dieser gegen mit dem Krankenhaus verbundene Ärzte erhoben haben soll. Bei Bani führten Differenzen über die Ausgestaltung der Zusammenarbeit zum Bruch. Und ein Urteil des Bundessozialgerichts machte die bisherige Form der Kooperation mit einem niedergelassenen Arzt unzulässig.

Mit dem Aufbau der Klinik verfolgt der GLKN auch ein strategisches Ziel: die Anerkennung als Hauptabteilung mit voller Abrechnungs- und Versorgungsstruktur. Dies sei Voraussetzung für die langfristige Integration in die Leistungsgruppenstruktur der Krankenhausreform. Hierzu ist derzeit ein Verfahren beim Verwaltungsgericht Freiburg anhängig.

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Das Spektrum an Eingriffen, die in der Klinik vorgenommen werden, reicht von der Tumorchirurgie über funktionelle Neurochirurgie bis zur Notfallversorgung bei schweren Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen, informiert das GLKN. Die neue neurochirurgische Klinik wird von Sven Gläsker geleitet. Er ist seit Mai 2023 am Hegau-Bodensee-Klinikum tätig.

Neurochirurgie ist rund um die Uhr besetzt

Als Teil des regionalen Traumazentrums am HBK ist die Abteilung Neurochirurgie fester Bestandteil der 24/7-Versorgung. Das bedeutet: Das Team steht rund um die Uhr zur Verfügung, auch nachts und am Wochenende. Das Team der Neurochirurgie wurde im Laufe der vergangenen zwei Jahre gezielt um Ärzte erweitert, um die regionale Versorgung zu unterstützen.

Seit dem Beginn des Ausbaus der Sektion vor einigen Jahren seien über 1000 Eingriffe vorgenommen worden – darunter mikrochirurgische Tumorentfernungen, Wirbelsäulenoperationen und funktionelle Eingriffe wie die Implantation von Nervenstimulatoren. Eine besondere Rolle spiele dabei die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit mit Anästhesie, Radiologie, Onkologie, Neurologie, Pädiatrie, Pflege und Sozialdienst.

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Die neue Klinikstruktur bündelt laut GLKN Expertise und reduziert durch integrierte Abläufe sowohl Risiken als auch Folgebehandlungen. Gleichzeitig werde die Voraussetzung geschaffen für Lehre, Forschung und nachhaltige Personalentwicklung. „In der modernen Neurochirurgie ist Teamarbeit entscheidend“, sagt Gläsker. „Unsere Patientinnen und Patienten profitieren davon, dass alle relevanten Disziplinen eng miteinander verzahnt sind – medizinisch wie menschlich.“

Ambulante Beratung im MVZ Engen

Die Klinik für Neurochirurgie bietet auch eine ambulante neurochirurgische Sprechstunde im MVZ Engen an. Dies ist seit April 2024 durch einen neurochirurgischen Kassensitz des GLKN im MVZ Engen möglich. „Über diesen fachärztlichen Sitz kann das neurochirurgische Fachgebiet wohnortnah auch ambulant angeboten werden“, schreibt Nils Torke, Pressesprecher beim GLKN, auf Nachfrage des SÜDKURIER. Die engere Verzahnung verschiedener Leistungsbereiche — ambulant, stationär, diagnostisch und operativ — soll laut Torke die Neurochirurgie im GLKN künftig weiterentwickeln.

Hauptabteilung bringt Patienten Vorteile

Mit der Anerkennung der Neurochirurgie als Hauptabteilung wäre sichergestellt, dass planbare Hirntumor-Operationen unabhängig von der Art der Krankenversicherung und der Dringlichkeit der Behandlung vorgenommen werden können. Aktuell entscheiden laut GLKN-Mitteilung die Krankenkassen bei planbaren Hirntumoroperationen für gesetzlich Versicherte von Fall zu Fall, in Notfällen dürfe die Klinik für Neurochirurgie hingegen bereits jetzt das komplette Spektrum der Neurochirurgie leisten.

Allerdings gilt: Patienten, die zum Facharzt wollen, brauchen eine Überweisung vom Hausarzt.

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Was passiert, wenn die bisherige Struktur bleibt

Wie Nils Torke auf Nachfrage informiert, bliebe die aktuell bestehende Leistungsfähigkeit auch ohne die formale Ausweisung als Hauptabteilung in vollem Umfang erhalten. Die Aufnahme als Hauptabteilung in den Krankenhausplan des Landes würde jedoch dazu beitragen, dass die Leistungen perspektivisch weiter ausgebaut werden könnten. „Sollte dieser Schritt nicht erfolgen, wäre der Fortbestand der derzeitigen Versorgung dennoch nicht gefährdet“, schreibt der Pressesprecher.

Der GLKN setze sich mit dem Verfahren dafür ein, dass neurochirurgische Leistungen dauerhaft gesichert werde: „Wir sehen den regionalen Bedarf einer umfassenden wohnortnahen neurochirurgischen Versorgung und stellen sie sicher“, so Bernd Sieber in der Mitteilung.