Wenn ein Menschenleben in Gefahr ist, muss es schnell gehen. Denn bei lebensgefährlichen Verletzungen zählt jede Minute für die Heilungschancen eines Patienten. Und damit die Versorgung schnell klappt, gibt es Traumazentren. Eines dieser Traumazentren ist am Singener Krankenhaus angesiedelt, genauer gesagt an der Klinik für Unfall- und Handchirurgie. Und die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) hat das Traumazentrum kürzlich neu zertifiziert. Für Patienten bedeutet das vor allem einen Zeitgewinn.
Neurochirurgie ist entscheidend für Traumazentrum
Die Vorteile eines regionalen Traumazentrums schildern Ralph Orthmann, Oberarzt der Anästhesie, der auch Notarzteinsätze fährt, Philipp Rieker, Oberarzt der Unfallchirurgie, und Volker Steinecke, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme (ZNA) am Singener Krankenhaus. Ins öffentliche Bewusstsein rückte die Einrichtung im Zuge der Entwicklungen rund um die Singener Neurochirurgie. Die Disziplin sei sehr wichtig für die Einrichtung, sagt Steinecke: „Ohne sie kann man kein regionales Traumazentrum haben.“
Auch das dürfte ein Grund dafür gewesen sein, dass das Krankenhaus eigene Neurochirurgen angestellt hat, nachdem die frühere Kooperation mit zwei niedergelassenen Neurochirurgen mit einigem Getöse endete – zunächst die mit Bahram Hashemi und später auch die mit Aram Bani. Ob es in Singen aber je eine eigene Hauptabteilung für Neurochirurgie gibt, darüber streiten Krankenhaus und Land vor Gericht, wie frühere SÜDKURIER-Recherchen ergaben.

Die Abläufe seien eingeübt und es gibt feste Kommunikationswege zwischen festen Ansprechpartnern, erklärt Orthmann: „Der Notarzt draußen und der Arzt im Krankenhaus sprechen direkt miteinander.“ Zum Zeitgewinn gehöre auch, dass man sehr häufig eine sehr kurze Spanne zwischen dem Notruf und der Anlieferung eines Patienten in der Klinik einhalten könne. Bei 86 Prozent der Patienten schaffe man das in 60 Minuten, inklusive der Behandlung eines Patienten durch den Notarzt vor Ort. „Eine sehr kurze Zeit“, sagt Orthmann. Als Vergleichswert führt er den Landesdurchschnitt von 44 Prozent an.
Für alle Rettungsdienste, die Patienten ins Singener Krankenhaus einliefern, gebe es dieselbe Telefonnummer, bei der immer dieselben Punkte standardmäßig abgefragt würden, erklärt ZNA-Leiter Steinecke. Das gilt auch bei externen Rettungsdiensten wie der Luftrettung: „Das passende Personal ist dann schon im Schockraum.“
Vertreter von vielen Disziplinen arbeiten zusammen
Der Schockraum, das ist ein Behandlungsraum in der Zentralen Notaufnahme, der wie eine Intensivstation ausgestattet ist, sagt Steinecke – inklusive Ultraschallgerät und einem kurzen Weg zu anderen Bildgebungen wie Röntgen. Zwei davon gebe es am Singener Krankenhaus, in beiden könne man gleichzeitig behandeln. Dafür sei einiges an Personal nötig: „Bis zu 16 Menschen arbeiten gleichzeitig in einem Schockraum“, sagt Steinecke. Dazu gehören praktisch immer Anästhesisten, sagt der Unfallchirurg Philipp Rieker. Und praktisch immer gehören auch Unfallchirurgen dazu, sagt Anästhesist Ralph Orthmann.
Hinzu kommen je nach der ersten Diagnose Notfallmediziner, Radiologen, Viszeralchirurgen, die sich um Bauchverletzungen kümmern, oder Neurochirurgen, die Schädel- und Wirbelsäulenverletzungen operieren. Nicht zu vergessen sind bei der Behandlung von Schwerstverletzten die Pflegekräfte. In der Regel seien zwei Pflegekräfte aus der ZNA und zwei aus der Anästhesie beteiligt, sagt Steinecke: „Wir haben viel Manpower in kurzer Zeit am Start.“ Der Unfallchirurg koordiniere die Versorgung im Schockraum.
Diese Art der Versorgung bedeutet aber auch, dass man das nötige Personal rund um die Uhr zur Verfügung oder in Bereitschaft haben muss – und das an 365 Tagen im Jahr.
Warten, bis der dringende Notfall versorgt ist
Dass so viel Personal auf einmal zusammengezogen werden kann, um einen schwerstverletzten Menschen zu versorgen, hat aber auch Auswirkungen auf die Notaufnahme. Denn andere Patienten mit weniger dringenden Anliegen müssen dann warten, erklärt Philipp Rieker. Kliniksprecher Nils Torke ergänzt: „Vorne im Warteraum sieht man nicht, was im Schockraum passiert.“
Etwa 200 Schockraumabläufe gebe es am Singener Krankenhaus pro Jahr, erklärt Notarzt Orthmann, etwa 120 Patienten mit schwersten Verletzungen oder Polytrauma habe man im Jahr 2023 behandelt. Bei manchen Patienten sehe man eben erst im Schockraum, ob sie tatsächlich schwerste Verletzungen haben, sagt Rieker. Das seien relativ hohe Fallzahlen für ein regionales Traumazentrum, sagt Orthmann.
Wie sich Menschen so schwer verletzen
Die Ursachen für derart schwere Verletzungen seien unterschiedlich, so Orthmann. Darunter seien zum Beispiel Fahrer von elektrisch unterstützten Fahrrädern oder Rollern: „Besonders wenn sie keinen Helm tragen, sieht man schlimme Verletzungen.“ Auch die beiden Autobahnen in der Gegend spüre man, ergänzt Volker Steinecke, auch wenn die Zahl der Schwerstverletzten bei Autounfällen zurückgehe – übrigens ein bundesweiter Trend.
Und Unfallchirurg Rieker weist darauf hin, dass es in der ländlichen Gegend um Singen herum viel Landwirtschaft gibt – mit einem gewissen Risiko für Verletzungen. Auch Menschen mit Arbeitsunfällen kämen immer wieder ins Traumazentrum.
Ganz spurlos gehen die schweren Verletzungen auch an den Profis im weißen Kittel nicht vorbei. Während der Versorgung seien alle Beteiligten natürlich professionell, sagen die drei Ärzte. Nachher sehe es aber oft anders aus, gibt Steinecke zu, etwa wenn ein Kind an Verletzungen stirbt. Grundsätzlich hätten Patienten, die nach schlimmen Verletzungen in einem Traumazentrum behandelt werden, aber beste Chancen, urteilt ZNA-Chef Steinecke.