Ein Schühchen kaum größer als ein Finger. Eine Einschlagdecke kaum größer als eine Hand. Ein kleines Stück Stoff. Mehr nicht. Doch: „Es bedeutet so viel“, sagt Alexandra Krüger.

Sie ist eine von 2000 Mitgliedern des Vereins „Sternenzauber und Frühchenwunder“ – ehrenamtlich nähen sie Kleidung für Kinder, die zu früh auf die Welt gekommen sind oder tot geboren wurden.

Schließlich: „Gibt es für die Kleinen praktisch nichts zu kaufen.“ Nichts, was in den Babyläden hängt – wo das Sortiment in der Regel mit Größe 44 beginnt – würde einem Frühchen oder einem Sternenkind passen. „So entlasten wir die Eltern“, sagt Krüger.

So könne ein Sternenkind würdevoll beerdigt werden. Und so müssten sich Frühchen-Eltern in den Stunden des Bangens und Hoffens nicht auch noch um passende Kleidung kümmern.

Während Krüger ganz vorsichtig Päckchen mit zugeschnittenen Mützchen, Stramplern, Hosen und Deckchen auspackt, beginnt sie zu erzählen. Von ihrer Freundin Katja, die sie vor drei Jahren zu einem Nähtreffen des Vereins mitnahm. Von dem Engagement, der vielen Mütter.

Die Einschlagdecke, die Krüger hält, ist kaum größer als ihre Hand. Sie ist für Sternenkinder, die darin würdevoll beerdigt werden sollen.
Die Einschlagdecke, die Krüger hält, ist kaum größer als ihre Hand. Sie ist für Sternenkinder, die darin würdevoll beerdigt werden sollen. | Bild: Daniela Biehl

Und davon, wie es sich anfühlt, ein Kind zu verlieren. Alexandra Krüger hat es selbst erlebt. „Ich habe mein Kind in der achten Schwangerschaftswoche verloren.“ Ganz am Anfang noch. Und doch sei es für sie noch immer unbegreiflich. „Es hat schon gelebt.“ Und es ist gegangen, bevor sie es richtig kennenlernen durfte.

Damit auch die Kleinsten schön eingebettet verabschiedet werden

Wenn das eigene Leben ins Wanken gerät, können Kleider und Decken zwar nichts Ungeschehen machen, aber sie können Trost spenden „Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass man jemandem hilft, Abschied zu nehmen. Und dass die Kinder schön eingebettet verabschiedet werden“, sagt Krüger.

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Von dem Teil ihres Engagements erzählt sie gerne. Weil darin ein Funken Hoffnung steckt. Über den anderen Teil, über die Endgültigkeit und Härte, die hinter solchen Schicksalsschlägen steckt, spricht sie ungern. „Da kommt die Gänsehaut wieder hoch“, sagt sie. Die Gedanken an ihr eigenes, gestorbenes Kind.

Ein Auftrag, der sie nicht mehr losließ

Krüger weiß noch, wie im Herbst letzten Jahres die Facebook-App auf ihrem Handy aufleuchtete. In einer Gruppe auf dem sozialen Netzwerk tauschen sich die Mitglieder des Vereins regelmäßig aus. Und eine Hilferuf-Nachricht des Klinikums in Sigmaringen, von der sie in der Gruppe las, sollte sie nicht mehr losgelassen.

Zur Beerdigung eines Sternenkindes wurde eine Einschlagdecke gesucht – und Alexandra Krüger machte sich gleich daran, etwas Schönes zu nähen. „Ein Stück Sternenstoff hatte ich noch zuhause. Und für den Rest bin ich in ein Stoff-Geschäft gefahren.“ Denn: Das Sternenkind sollte wohlig geborgen liegen, fand Krüger, und kaufte kuscheligen Plüsch für die Innenseite der Einschlagdecke.

Auch solche Körbchen näht der Verein.
Auch solche Körbchen näht der Verein. | Bild: Sternenzauber und Frühchenwunder

Dann ging alles sehr schnell. Die Hilferuf-Nachricht hatte sie nachmittags gelesen, die Decke abends genäht und am nächsten Morgen war sie mit dem Auto nach Sigmaringen gefahren, um sie zu übergeben.

„Solche Hilferuf-Aufträge sind aber selten“, sagt Krüger. Meist schicken die Ehramtlichen die Mützen, Strampler oder Decken zu einem der fünf privaten Sternen- und zwei Frühchenlager, von wo aus sie an rund 400 Krankenhäuser, Hebammen, Hospize und Bestatter in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg weiterverschickt werden.

Das Nähen als Gemeinschaftsprojekt

Krüger packt die zugeschnittenen Stoffe vorsichtig ins Päckchen zurück. Durch einen leicht heruntergelassenen Rollladen fällt die Sonne herein und taucht ihr Wohnzimmer in warmes Licht. Eine Kerze zündet sie sich trotzdem an. Damit es gemütlicher wird.

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Krüger sitzt am Esstisch, hat ihre beiden Töchter im Blick, wie sie um die Ecke spielen, und sagt: „Letzten Herbst war das sehr emotional für mich.“

Seit dem Hilferuf aus dem Klinikum in Sigmaringen, näht sie nicht mehr für den Verein. „Ich schneide nur noch zu.“ Das Nähen, sagt sie, schafft sie momentan nicht. „Da kommen zu viele Gefühle hoch.“

An ihrem Esstisch, gemütlich mit Kerzenlicht, schneidet Alexandra Krüger oft abends Decken, Strampler und Mützen für die Allerkleinsten zu.
An ihrem Esstisch, gemütlich mit Kerzenlicht, schneidet Alexandra Krüger oft abends Decken, Strampler und Mützen für die Allerkleinsten zu. | Bild: Daniela Biehl

Bei „Sternenzauber und Frühchenwunder“ würden ohnehin nicht alle nähen. „Bei uns ist das ein großes Gemeinschaftsprojekt. Die einen schneiden zu – schneiden aus Stoffresten und Kleidungsstücken Mützen, Pullover oder Strampler. Andere vernähen sie. Und wieder andere basteln Erinnerungskarten. Oder kleine Präsente, etwa für Geschwisterkinder von Frühchen“, sagt Krüger.

„Es gibt immer mehr Väter, die uns schreiben“

Den Stoff bekommen die Ehrenamtlichen meist gespendet. Erst kürzlich hat jemand dem Verein ein Brautkleid überlassen, damit daraus Einschlagdecken für Sternenkinder genäht werden. „Für manche ist es der gute Zweck, der zählt“, sagt Krüger.

Und manche spendeten ihre Kleider, weil es ihnen helfe, den Verlust eines Kindes zu verarbeiten. „Weil sie dann sehen, was aus so einem Stück Stoff gemacht werden kann.“ Dass daraus dutzende, winzige Strampler entstehen. Die dutzende, winzige Frühchen tragen.

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Krüger hält solche Momente gern fest. „Ich mache Fotos von den fertigen Kleidungsstücken und schicke sie den Spendern zurück.“

Auch von den Empfängern, den Eltern der Frühchen und Sternenkinder, erhält der Verein regelmäßig Fotos, Briefe und Mails. „Es gibt auch immer mehr Väter, die uns schreiben“, sagt Krüger.

Alexandra Krüger in ihrer Wohnung in Tuningen. In ihrer rechten Hand hält sie eine Einschlagdecke für Sternenkinder.
Alexandra Krüger in ihrer Wohnung in Tuningen. In ihrer rechten Hand hält sie eine Einschlagdecke für Sternenkinder. | Bild: Daniela Biehl

Eine schöne Entwicklung, wie sie findet. Schließlich sei das Schicksal der Sternenkinder auch heute noch ein Tabu. Denn: Im Bewusstsein der Gesellschaft existierten sie nicht.

„Viele haben gar keinen Bezug zu dem Thema“, sagt Krüger. „Und oft heißt es: ‚es hat ja noch nicht gelebt‘, wenn ein Kind tot geboren wird. Oder ‚nimm es doch nicht so schlimm‘. Das Leid der Eltern bleibt dann aber unsichtbar.“