Er war einer jener Tüftler, die typisch für das Ländle sind und verantwortlich für den großen Erfolg, den mittelständische Unternehmen in Baden-Württemberg haben. Hans Bommer gründete seine Firma „puren“ am 12. Februar 1968 als Zwei-Mann-Firma und machte sie zu einem der führenden Unternehmen Europas auf dem Sektor der Polyurethan-Hartschaum-Herstellung – wie unter anderem bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes oder der Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg an ihn betont wurde. Polyurethan (PU) ist ein Material, das heute als Konstruktions- und Funktionswerkstoff, vor allem aber als energiesparender Dämmstoff all präsent ist. Am 8. August, kurz vor seinem 87. Geburtstag, den er hätte am 23. August feiern können, starb der Überlinger Erfinder, Diplom-Kaufmann Hans Bommer.
Alteingessene Unternehmerfamilie
Hans Bommer und seine beiden noch lebenden Brüder Helmut und Rolf bilden die dritte Generation der seit 115 Jahren erfolgreichen Überlinger Unternehmerfamilie, die der Fuhrunternehmer Johann Bommer (1874 bis 1947) im Jahre 1910 als Kohlehandlung gegründet hatte. Zug um Zug kamen weitere Geschäftsbereiche dazu, nach dem zweiten Weltkrieg wurde in der Grube gegenüber des Nußdorfer Bahnhofs in drei Schichten Bimsstein für den Wiederaufbau produziert – hier steht heute das Bommer-Einkaufszentrum. Ende der 1950er Jahre stieg Bommer in den Heizölhandel und den Heizungsbau ein.

Auf den neuen, ihm noch unbekannten Werkstoff Polyurethan stieß der Firmenchef in zweiter Generation, Franz Bommer (1909 bis 1989), im Jahre 1967 zufällig, am Ochsen-Stammtisch. Ein Reisender erzählte von einem Material, das er in den USA kennengelernt habe. Man könne es auf Eis legen – und wenn man sich daraufsetze, fühle es sich an, als sitze man auf einem Ofen. Sein Vater habe sich selbst zu alt gefühlt, um sich intensiver darum zu kümmern und beauftragte ihn, zu recherchieren, erzählte Hans Bommer anlässlich eines Firmenjubiläums.

Hans Bommer hatte schon mit der Dissertation begonnen
Als ihn sein Vater auf die Recherche nach diesem neuen Stoff schickte, war Hans Bommer gerade 29 geworden. Er hatte nach der Mittleren Reife eine kaufmännische Lehre absolviert und danach beim Klöckner-Konzern volontiert. Parallel zum Aufbau einer Abteilung dort legte er in Karlsruhe am Humboldt-Gymnasium das Abitur ab und studierte anschließend in Mannheim Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Abschluss als Diplom-Kaufmann begann er am Lehrstuhl für Industriebetriebswirtschaft bereits mit einer Dissertation, als das Thema Polyurethan dazwischen kam.
An der Uni gab es keine Literatur zu dem Thema, erzählte Hans Bommer rückblickend. Schließlich landete er beim Bayer-Konzern. „Kommen Sie zu uns nach Leverkusen“, habe der damalige Leiter der Anwendungstechnik am Telefon gesagt. Die Technologie stecke noch in den Kinderschuhen. „Und der Markt ist null“, sagte man Hans Bommer, öffnete ihm aber die hauseigene Bibliothek. Unausgereift Technik? Wenn man die Probleme bei der Herstellung löse, hörte der junge Bommer vom Vater, habe man ein Alleinstellungsmerkmal im Markt.
Noch im ersten Jahr waren die Versuche erfolgreich
Also gründete Hans Bommer die Firma Puren, für den Namen verkürzte er das Wort Polyurethan. Eine kleine Werkstatt wurde eingerichtet: Die Chemikalien in zwei Kolben, die in einem Mischkopf zusammen liefen. Tag und Nacht. Der erste PU-Block, der in einer fahrbaren Kiste entstand, hatte ein auf zwei Meter. Immer wieder traten Risse auf. Hans Bommer ließ nicht locker schließlich wusste er, wie man PU ohne Risse oder Brandlöcher herstellt. Noch 1968 produzierte er die ersten brauchbaren Platten.
Hans Bommer ging auf Tour. Doch die Welt kannte damals nur Kork oder auch Styropor als Isoliermaterial. „Kein Bedarf“, bekam er von den Baufirmen zu hören. „Da habe ich gelernt, dass man als Unternehmer nicht so schnell aufgeben darf“, sagte Bommer Jahre später, „wir hatten Durchhaltevermögen“. Über Architekten kam Puren langsam ins Geschäft. Handwerker, die die ersten Hartschaumplatten verarbeiteten, wurden zu den besten Multiplikatoren. 1972 wurde das Werk im Überlinger Industriegebiet gebaut, die Produktion von großformatigen Blöcken mit fünf Meter Länge gelang.
Puren geht nach China und in den Iran
In den folgenden Jahrzehnten schrieb Hans Bommer mit seinen Unternehmen eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Fünf Niederlassungen und Tochterunternehmen gab es zum Bommer-Jubiläumsjahr 2010 in Deutschland. Schon 1995 hatte die Fertigung von Blöcken in China begonnen, wo ein Werk in Jinan und ein Joint Venture in Shanghai entstanden. Ein weiteres Werk in Teheran/Iran sollte dort den Bau von Kühlfahrzeugen voran bringen. Im Juni 2020 gründete die Puren GmbH mit der puren s.r.o. eine Vertriebs- und Handelsgesellschaft Tochterunternehmen in Jihlava in der Tschechischen Republik. Aktuell hat die Unternehmensgruppe mehr als 300 Mitarbeitende, rund 130 davon in Überlingen.

Seit 1985 wird der Hartschaum bei den Fahrzeugen der Deutschen Post verwendet. Bei einem Firmenbesuch des Ravensburger CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Schockenhoff (1957 bis 2014) im Jahre 2005 rechnete Hans Bommer dem Politiker vor: Die Post schaffte für ihre DHL fast 17.000 Kastenwagen an, deren Aufbau statt aus Blech aus „puren“-Schaum mit Polyester-Ummantelung ist. Dadurch werden die Laster 500 Kilogramm leichter und verbrauchen einen halben Liter Sprit weniger auf 100 Kilometer. Eine Puren-Jahresproduktion spare 19 Milliarden Kilowattstunden Energie eins, was 1,9 Milliarden Litern Öl entspreche. „Rund ein Drittel mehr als
ein Block des Kernkraftwerkes Biblis in der gleichen Zeit liefert – das leistet ein Mittelständler, von dem Sie nichts wissen.“
Olympiaturm in Barcelona mit Puren-Produkten
Purenschaum kommt im deutschen Hochgeschwindigkeitszug ICE4 ebenso zum Einsatz wie im französischen TGV. Puren-Produkte stecken im Ball der Fußball-WM 2002 und sind im Dach der Bergstation auf der Zugspitze verbaut. Und bis heute zieht der „Torre de comunicacions de Montjuïc“, der futuristische Fernsehturm auf dem Olympiagelände von Barcelona in seinen Bann. Der 136 Meter hohe Turm wurde im Jahr 1991 anlässlich der Olympischen Spiele 1992 mit Hilfe von puren-Hartschaum-Produkten realisiert.

Der Firmenschwerpunkt liegt längst nicht mehr nur auf der Herstellung hocheffizienter Dämmstoffe und andere Materialien für den Bau-Sektor. Für das Pur-Sonic-Soundsystem, eine Gemeinschaftsentwicklung mit Siemens, wurde Puren 2004 mit dem Innovationspreis des Landes Baden-Württemberg bedacht. Die Hightech-Flächenlautsprecher der Überlinger Puren-Tochter „purSonic“ sind unsichtbar in Decken, Wänden und Böden integrierbar. Und Purenit in Obermachrtal entwickelt und produziert eine feuchtigkeitsbeständige Alternative zu Holzwerkstoffen. Recycling-Werkstoff aus PU-Material, für das die Firma 1997 aus der Hand der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel den „Upcycling-Preis“ erhielt. Teil der Puren-Gruppe sind auch die Überlinger Firma „Bomat Heiztechnik“ und „Aprithan Schaumstoffe“ in Abstgmünd.

Hans Bommer engagierte sich in wichtigen Verbänden, allein 40 Jahre im Industrieverband Polyurethan-Hartschaum (IVPU) in Stuttgart, dessen Vorsitzender er lange Zeit war. Und er war unter anderem Mitglied im Fachausschuss Hartschaum des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Für seine unternehmerischen Aktivitäten wurde Hans Bommer vielfach ausgezeichnet. Darunter finden sich der European Recycling Award oder der Rudolf-Eberle-Innovationspreis. Der IVPU machte ihn zum Ehrenvorstand und 2007 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Im Jahr 2012 überreichte Minister Nils Schmid die Wirtschaftsmedaillen des Landes und stellte als Verleihungsgründe Bommers „Mut und unternehmerische Weitsicht“ und vor allem seine „ständige Innovationsbereitschaft“ heraus.

Hans Bommer regelt Nachfolge rechtzeitig
Hans Bommer, der seinem Unternehmen bis 2024 als Beirat verbunden blieb, war eine Unternehmerpersönlichkeit von großem Format. Dafür spricht auch seine Bereitschaft, rechtzeitig die Weichen in die Zukunft zu stellen. Schon im Jahr 2012 im Alter von 73, übergab er die Unternehmensleitung nach 44 Jahren an den damals 40jährigen Andreas Huther, der bereits vier Jahre zuvor zum kaufmännischen Geschäftsführer bestellt worden war.