Überlingen Paminas Verzweiflung wächst spürbar. Sie steht ihrem geliebten Tamino gegenüber und der spricht nicht mit ihr. In der Oper „Die Zauberflöte“ müssen die beiden Liebenden, gespielt und gesungen von Isabell Marquardt und Gerd Jaburek, diverse Prüfungen bestehen. Pamina wird entführt, Tamino will sie retten, muss aber unter anderem ein striktes Redeverbot einhalten.

Die Szene steht heute auf dem Probenplan für die diesjährige Aufführung der Oper am See. Regisseur Ruben Michael gibt Anweisungen, die Requisiten im Musikraum der Waldorfschule sind spärlich und die Temperaturen trotz der frühen Abendstunden noch recht hoch. Daher liefert das Outfit der beiden Protagonisten – beide haben sich für kurze Hosen entschieden – einen modernen Kontrast zum Stoff der Mozart-Oper aus dem 18. Jahrhundert. Doch das sind Äußerlichkeiten, die den Profis nicht einmal auffallen. Alle sind hochkonzentriert und arbeiten intensiv an ihren Rollen. Der kurze Einblick macht Lust darauf, das ganze Ensemble in Kostüm und Maske, begleitet vom Orchester, auf der Bühne zu erleben.

Die Zauberflöte gehört zu den bekanntesten und am häufigsten aufgeführten Opern mit vielen populären Arien. Warum steht dieses große Werk in diesem Jahr auf dem Spielplan der Oper am See? „Das ist ein Herzensprojekt von vielen von uns“, sagt Isabell Marquardt. Sie hat vor 15 Jahren die damals noch kleine Oper am See mit einem neu gegründeten Chor aus der Taufe gehoben. „Ganz klein“, erinnert sie sich. Nach dem Beginn im Museumsgarten tingelten sie durch diverse Räume, mussten Ersatz für das Kapuziner finden, das auch nach der Renovierung mit seinem begrenzten Sitzplatzangebot für sie nicht mehr nutzbar sein wird, und kamen schließlich im Konzertsaal der Waldorfschule an. „Der Raum mit seiner professionellen Technik ist für uns perfekt“, so die künstlerische Leiterin und Solistin.

„Die Zauberflöte ist eine gute Chor-Oper, das ist für uns wichtig“, betont Isabell Marquardt und macht deutlich, dass dies in mehrfacher Hinsicht gemeint ist. Der Chor, bestehend aus Laien aus der Region, „trägt die Oper“. Das gelte in musikalischer wie in organisatorischer Sicht. Die Chormitglieder kümmern sich um die Kostüme, sorgen für Verpflegung und die Unterbringung der auswärtigen Profi-Musiker, die für drei Wochen nach Überlingen kommen, um hier zwei Aufführungen zu bestreiten. „Wir haben in diesem Jahr ein sehr internationales Ensemble“, so Isabell Marquardt. Neben Solisten aus Deutschland wirken Sängerinnen und Sänger aus Österreich, Frankreich und Australien mit. Die Mitglieder des kleinen Orchesters stammen unter anderem aus Belgien und Frankreich.

Hinter den zwei Aufführungen im Sommer steckt bei allen Beteiligten ein enormes Engagement. Und ein finanzielles Risiko, das der Vorstand des Vereins persönlich trage, so Marquardt. „Wir können den Künstlern keine Fest-Gage garantieren“, sagt sie bedauernd. Mitglieder, Freunde und Bekannte stellen in der Hochsaison ihre Ferienwohnungen zur Verfügung, wo die auswärtigen Künstler unterkommen können. Rücklagen könnten sie keine bilden und stünden daher finanziell unter einem „enormen Druck“, ergänzt sie. Seit Jahren bemühten sie sich um eine finanzielle Förderung der Stadt, die beispielsweise das Sommer- und Wintertheater unterstützt, und hoffen, dass „da bald Bewegung reinkommt“.

Auch in ihrem 15. Jahr will die Oper am See den Zuschauern Musikgenuss auf hohem Niveau und eine ideenreiche Inszenierung bieten. Erstmals wird es eine 360-Grad-Vorstellung geben. Das heißt, die Bühne ist nach allen Seiten offen und die Zuschauer sitzen beinahe mitten im Geschehen. „Es ist fantastisch, das zu erleben, sehr spannend und ein ganz anderes akustisches Erlebnis“, verspricht Isabell Marquardt. Ihre Rolle, die Pamina, benötige eine spezielle Energie, da sie trotz der Leiden die Starke sein und schließlich der Liebe vertrauen müsse. Als besonderen dramaturgischen Kniff bezeichnet Marquardt die Idee, sowohl die drei Königinnen als auch die Papagena von drei Sängerinnen gemeinsam auf der Bühne verkörpern zu lassen.

Isabell Marquardt beschreibt die Produktionen der Oper am See als eine große Gemeinschaftsleistung: „Das ist ein so tolles Ensemble, das Dabeisein ist für alle eine Herzensangelegenheit, hier kommt keiner wegen des Geldes.“ Der junge Regisseur Ruben Michael ist in diesem Jahr schon zum dritten Mal dabei und beeindruckt alle mit seiner intensiven Vorbereitung und vielen Ideen. Das Arrangement, zugeschnitten auf ein kleines Orchester, hat zum achten Mal Vincent Andreas gemacht. Zur Sommeraufführung der Oper am See kommen die Künstler anscheinend gerne wieder.

Zum Schluss noch die Frage nach der Namensänderung. Vor einem Jahr wurde das Wort „kleine“ aus dem Namen gestrichen und auch das Logo angepasst. „Das kommt gut an“, freut sich Isabell Marquard:. „Wir haben oft gehört ‚Ihr braucht Euch nicht klein machen‘.“ Nun haben die Zuschauer wieder zwei Aufführungen lang die Gelegenheit, sich selbst davon zu überzeugen, wie aus kleinen Initiativen große Kunst werden kann.