Leonoras Arm liegt in einer Schiene, sie hat sich beim Reitsport verletzt. Doch sie ist nicht etwa beim Springen über bunte Hindernisse oder eleganten Dressurvariationen vom Pferd gefallen: Die 12-Jährige und ihre 15-jährige Christabel spielen Polo. Bei diesem Mannschaftssport sind zwei Teams mit je vier Spielern zu Pferd unterwegs. Ihr Ziel ist es, einen Ball mithilfe eines Schlägers ins gegnerische Tor zu befördern. Der Platz ist so groß wie sechs Fußballfelder. Hierzulande gibt es nach Angaben des Deutschen Polo Verbandes gerade einmal 400 aktive Spieler. Wie kamen die Mädels aus Bonndorf also zu dieser Nische des Reitsports und warum ausgerechnet in Frankreich?

Eine Karriere in der Partnerstadt Chantilly

Vor gut zwei Jahren hat ihr Vater Martin Jaroch ihnen in einem Sommerreitcamp ihre erste Polostunde organisiert. „Einfach mal zum Ausprobieren“, erzählt er. Seitdem hat seine beiden Töchter der Sport nicht mehr losgelassen. Nach den ersten Stunden wollten sie in ein professionelles Training einsteigen.

Der Alltag der Schwestern und ihrer Eltern hat sich seither verändert. In der Polo-Saison zwischen Mai und September fährt die Familie fast jedes Wochenende nach Chantilly, Überlingens Partnerstadt in Frankreich. Der weite Weg lohne sich laut Martin Jaroch, weil das Angebot in Süddeutschland sehr überschaubar sei. In Frankreich hingegen gebe es zahlreiche Turniere, Spielfelder und Gemeinschaften.

Christabel (links) jagt dem Ball hinterher: Die Spieler sind mit Schutzkleidung wie einem Helm mit Gitter und Knieschonern ausgestattet.
Christabel (links) jagt dem Ball hinterher: Die Spieler sind mit Schutzkleidung wie einem Helm mit Gitter und Knieschonern ausgestattet. | Bild: Eva Jakovle

Dort haben sich die Mädchen in den Französischen Poloverband FFP integriert und trainieren oder nehmen an Turnieren teil. Dass ihr Weg sie ausgerechnet nach Chantilly geführt hat, sei purer Zufall gewesen, sagt die Familie amüsiert. Sie seien sich erst später darüber klar geworden, dass Überlingen eine Partnerstadt von Chantilly ist.

Stall ausmisten statt bummeln gehen

Die 15-jährige Christabel erzählt von ihrem Alltag nach der Schule. Zuerst machten die Schwestern ihre Hausaufgaben, wenn sie von der Schule heimkommen. „Und dann geht es in den Stall, mindestens drei oder vier Stunden“, sagt sie. Dort würden sie dann Boxen ausmisten und die Pferde bewegen. Die 12-jährige Leonora ergänzt, dass es unter diesen Umständen oft schwierig sei, sich regelmäßig mit Freunden zu treffen. Manche Freundschaften hielten dem zeitintensiven Hobby auch nicht stand, erzählen die beiden.

Christabel und Leonora bei der Pflege von zwei Polopferden.
Christabel und Leonora bei der Pflege von zwei Polopferden. | Bild: Martin Jaroch

Die Schwestern sind zufrieden

Nicht alle ihrer Klassenkameraden hätten Verständnis dafür, dass die beiden Mädchen fast jedes Wochenende unterwegs sind. Auf die Frage, ob sie das „normale“ Leben ihrer Mitschüler manchmal vermissen, grinsen sich die zwei an und antworten unter regem Kopfschütteln wie aus einem Mund „Nein!“. Sie berichten von der Gemeinschaft unter den Polo-Spielern in Frankreich: „Es ist eher wie eine Familie“, sagt die Jüngere der beiden. Dort gebe es besonders viele Argentinier, die den Sport prägen, aber auch Kinder aus diversen anderen Ländern.

Christabel galoppiert über das Polofeld. Ihr Reithelm hat ein spezielles Gitter, das die Spieler vor dem harten Ball schützt.
Christabel galoppiert über das Polofeld. Ihr Reithelm hat ein spezielles Gitter, das die Spieler vor dem harten Ball schützt. | Bild: Eva Jakovle

Ist Polo ein elitärer Sport?

Um ihrer Leidenschaft nachzugehen, nehmen die Schwestern und ihre Eltern weite Wege auf sich. Mit dem Pferdeanhänger dauert die Fahrt neun Stunden, ohne nur sechs. Chantilly liegt je nach Route rund 650 Kilometer entfernt. Die Fahrt lohne sich deshalb, weil der Polosport in Frankreich für breitere Bevölkerungsschichten bezahlbar sei, sagt ihr Papa Martin Jaroch. Für Kinder gebe es Ermäßigungen von bis zu 50 Prozent auf die Nutzungsgebühren des Platzes oder das Ausleihen der Pferde. Aufgrund der großen Anzahl an Turnieren suchten Teams zudem immer wieder Mitspieler, um ihr Team zu vervollständigen, berichtet Martin Jaroch. Im Polo gibt es meist keine festen Mannschaften, die Spieler sind in unterschiedlichen Mannschaften unterwegs.

Jaroch wehrt sich gegen das elitäre Bild, das in Deutschland über den Sport vorherrscht. Das liege daran, dass der Deutsche Polo Verband den Sport hierzulande, insbesondere für die Jugend, nicht hinreichend fördere und den „Kreis eher geschlossen halten“ wolle, so Jaroch.

Er berichtet, dass die Teilnahme an einem Turnierwochenende in Frankreich etwas um die 200 Euro koste, wohingegen es in Deutschland eher mal in den mittleren vierstelligen Bereich gehen könne. Seine Töchter teilen ihre Erfahrung dazu: „Es gibt eigentlich zwei Seiten bei den Zuschauern.

Leonora setzt zum Schlag an. Die Mähne der Polopferde wird geschnitten, damit sich während des Spiels keine Gegenstände darin verfangen ...
Leonora setzt zum Schlag an. Die Mähne der Polopferde wird geschnitten, damit sich während des Spiels keine Gegenstände darin verfangen oder die Reiter daran hängenbleiben. | Bild: Eva Jakovle

Auf der einen sieht man Champagner und Hüte, auf der anderen sind die, die wirklich spielen wollen“, erzählt Christabel. Aber Leute, mit denen man nicht klarkomme, „gibt es ja überall auf der Welt“.

Das begeistert die Mädchen am Polo

Die Schwestern zählen auf, warum sie den Sport lieben: „Die Leute sind richtig nett und man lernt viele neue kennen, auch dass es so ein Teamsport ist“, sagt Leonora, als ihre Schwester prompt hinzufügt: „Und die Pferde“. Dass die Vierbeiner das Beste an der ganzen Sache sind, darauf können sich die zwei schnell einigen. Den Polopferden gehe es nach Aussage der Schwestern zudem sehr gut. Sie seien, anders als zum Beispiel beim Springreiten, nicht so sehr in ihren Gelenken belastet und „dürfen nach dem Spiel auch einfach wieder Pferd sein“, sagt Leonora.

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Die ganze Familie ist dabei

Das Duo schwärmt aber insbesondere auch von der Lebens- und Arbeitsweise der Argentinier, die diesen Sport prägen. Sie seien dort wie in eine Familie aufgenommen worden, bestätigen die Eltern der beiden Mädels. Auch Vater Martin hat sich im Zuge der Begeisterung seiner Töchter an den Sport gewagt und spielt hier und da „zum Spaß“ Turniere, so Jaroch. Ihre Mutter Karoline ist selbst in einer Reiterfamilie aufgewachsen und kümmert sich gemeinsam mit ihren Töchtern um die vier Pferde vor Ort. Für die beiden Pferdenärrinnen herrschen also beste Voraussetzungen, um weitere Medaillen zu gewinnen.

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Jüngst fand die Familie allerdings eine deutsche Alternative, wo sie sich sehr wohlfühlen: Der Polo Club Tagmersheim bei Ingolstadt habe die Mädchen „unglaublich liebevoll“ aufgenommen. Christabel und Leonora hätten dort eine echte Alternative zu Chantilly gefunden. Die Jarochs werden in Zukunft also häufiger Zeit in Bayern verbringen. Die Fahrt dauert mit 265 Kilometern immerhin nur dreieinhalb Stunden.