Für Chöre bedeutete das Coronavirus eine wochenlange Gesangspause. Denn Chorproben hatten sich in einigen Fällen als wahrscheinlicher Hotspot für die Verbreitung des Virus herausgestellt.

Deshalb war und ist höchste Vorsicht geboten und das gemeinsame Singen war lange Zeit von den Lockerungen ausgenommen. Seit Anfang Juli ist es unter strengen Hygiene- und Abstandregeln zwar theoretisch wieder möglich, doch die Auflagen stellen die Chöre in der Praxis vor fast unlösbare Aufgaben.
Problem: Proberäume sind zu klein oder nicht nutzbar
Es scheitert an der Größe des Proberaumes oder dass dieser für die Nutzung noch nicht freigeben ist. Der Chor der Musikfreunde Markdorf probt normalerweise im Theaterstudio im Bildungszentrum. „Wir dürfen aber nicht ins BZM“, sagt die Vorsitzende Eva Grafmüller.
Die letzte Probe sei im März gewesen, seitdem haben sich die Mitglieder in einer größeren Gruppe nicht mehr getroffen. Chorsingen ist mehr als nur Musik. Es bedeutet auch Zusammenkommen, eine Gemeinschaft finden. „Es ist schon eine traurige Situation. Ich sehe aber nicht, wie sich das ändern sollte“, so Grafmüller, die nicht die einzige ist, die die Gemeinschaft und das Singen vermisst.
Dirigent spricht von „Katastrophe“
Hans-Jörg Walter spricht gar von einer „Katastrophe“. Der langjährige frühere Orchesterleiter der Musikfreunde und derzeitige Dirigent des Markdorfer Gospelchores sagt: „Chor ist eine Gemeinschaft. Das ist derzeit nicht möglich, es ist ausgehöhlt.“

Walter gehört altersbedingt zur Risikogruppe und ist deshalb besonders vorsichtig. Der Chor hat eine Lösung gefunden, wie im Freien geprobt werden kann – im Hof der Firma Ziegler in Ahausen.
Vorne eine Gebäudewand, links ein Parkplatz, rechts Paletten und im Hintergrund ein grüner Hügel: Inmitten einer solchen Kulisse hat der Gospelchor noch nie geprobt. Die Infrastruktur ist ideal und alle waren froh, dass Sängerin Ulrike Ziegler den Platz angeboten hatte.

Chorleiter Walter mit Open-Air-Premiere nicht zufrieden
Die Open-Air-Probe-Premiere gefiel Chorleiter Hans-Jörg Walter allerdings nicht: Beim ersten Mal sangen die Frauen und Männer gegen den Hügel, da ging die Akustik flöten. Nun wurde das Ganze umgedreht und das Firmengebäude ist Schallmauer.
„Don´t fear“, singen die 24, die sich dort eingefunden hatten. In der Tat fürchten sie sich nicht, etwas Neues auszuprobieren und sich im wahrsten Wortsinn wieder einzustimmen: „Wir haben drei Monate pausiert, das merkt man“, sagt Vorsitzende Elisabeth Eckert-von Landenberg, die von den Vorschriften mit Desinfektion und Registrierung berichtet.
Einschränkungen bei der Akustik
Einschränkungen müssen sie auch bei der Akustik hinnehmen: „Es ist anstrengend, draußen zu singen; wir haben uns gegenseitig nicht so gut gehört und wir sind bedeutend weniger Sänger als sonst“, sagt die Vorsitzende. Der Chor besteht aus 60 bis 65 Mitgliedern. Manche sind krank, andere gehören zur Risikogruppe und scheuen noch die Gemeinschaft.
Singen im Freien für Mitglieder „gewöhnungbedürftig“
„Das Singen im Freien ist gewöhnungsbedürftig, man hört sich schlechter, aber es funktioniert“, sagt Chormitglied Wolfgang Scheller. Hinzu komme, dass sich der neue Pianist und die Sänger auch erst aufeinander einstimmen müssen.
Für Tobias Walter sind auch viele Lieder neu. „Trotz Einschränkungen macht es aber sehr viel Spaß“, sagt Scheller und Sonja Heger nickt beipflichtend. Viele wollten unbedingt wieder singen und vom Platz her gesehen könnte der gesamte Chor kommen.

Schon jetzt macht man sich Gedanken über den Winter: Vielleicht könnte man in einem Raum mit maximal 20 Leuten abwechselnd proben.
Übrigens wurde die nicht vorhandene gemeinsame Zeit auf originelle Weise überbrückt: Die Mitglieder nahmen ihren Gesang mit dem Handy auf, schickten es Wolfgang Scheller per Mail und dieser bastelte in seinem Tonstudio die Einzelaufnahmen zum Chor zusammen.
Frauenchor „Ton in Ton“ probt in einer Garage
Auch der Frauenchor „Ton in Ton“ probt wieder – in der Garage der Vorsitzenden Silke Wietmann. Zwei Meter Abstand zwischen den Sängerinnen und die Einhaltung eines vom Ordnungsamt genehmigten Hygienekonzept sind Voraussetzungen dafür.

„Da unser Proberaum für die Einhaltung dieser Voraussetzungen zu klein ist, mussten wir kreativ werden“, berichtet Silke Wietmann, die in Bergheim im alten Schulhaus lebt.
Die Garage ist groß genug und so fand am 1. Juli die erste Probe seit fast vier Monaten in einer Garage statt. „Nicht 100 Prozent ideal, aber von der Akustik gut. Und das einzige was im Moment zählt ist, dass wir endlich wieder zusammen singen können“, so Wietmann.
„Jubiläumskonzert“ ist abgesagt
Auch wenn die Frauen wieder proben, nicht immer in der Vollbesetzung, sondern auch in kleineren Gruppen, müssen sie das für den 27. September angekündigte „Jubiläumskonzert“ zum zehnjährigen Bestehen absagen.
Die Auflagen für die Durchführung einer solchen Veranstaltung seien zu hoch und die Risiken aktuell nicht abschätzbar. „Wir hoffen, dass wir zu unserem Weihnachtskonzert am 4. Dezember in der Pfarrkirche Besucher begrüßen dürfen“, so Wietmann.

Markdorfer Musikfreunde hoffen auf Start nach den Sommerferien
Eva Grafmüller hofft, dass die Musikfreunde nach den Sommerferien wieder gemeinsam proben können. Dafür muss sich die Situation aber ändern. „Schließlich sind wir in unserem Chor auch nicht mehr die Jüngsten“, so die Vorsitzende. Eigentlich wäre für 2021 die Aufführung von „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn geplant gewesen. Diese mache aber momentan „keinen Sinn“.