Vor mehr als 50 Jahren wurde im Isdal in der Nähe der norwegischen Hafenstadt Bergen eine Frau tot aufgefunden. Weder die Identität der Unbekannten noch die Todesumstände konnten bis heute geklärt werden.
Aber nun ist eine bunte Postkarte aufgetaucht. Am 13. Januar 2021 wurde sie in Manchester, der größten Stadt im US-Bundesstaat New Hampshire, abgeschickt. Darauf teilt der anonyme Absender einer amerikanischen Journalistin lapidar mit: „The Isdal woman is from Meersburg Germany.“ Die mysteriöse Isdal-Frau soll aus Meersburg sein? Fake oder Fakt: der Versuch einer Spurensuche in der Stadt am Bodensee.
Auf Spurensuche an einem Sommertag in Meersburg
Zugegeben, es war eine etwas steile Idee, an einem Sommernachmittag in der Fußgängerzone unter dem Meersburger Schloss alte Damen beim Plausch zu stören, ihnen das Polizeifoto der Isdal-Frau zu zeigen und eine Reaktion zu erhoffen. Wer soll das sein? Vor 50 Jahren gestorben? „Und die soll aus Meersburg sein? Keine Ahnung. Und überhaupt: Das sind doch alte Kamellen.“ Sagt die Eine und kichert belustigt.
Also zu dem Mann, der wie wohl kein Zweiter Meersburg und die Menschen kennt: Werner Endres, Jahrgang 1937, 50 Jahre Wirt auf der berühmten Haltnau und lokalpolitisches Urgestein. Mit seiner Ehefrau Hannelore sitzt er im kleinen Garten, darüber schwebt der Zeppelin, aber bevor es mit der Story der Isdal-Frau losgeht, ein Schlückchen Weißwein.
Was geschah im November 1970?
Am Nachmittag des 29. November 1970 entdeckt ein Lehrer auf einer Wanderung mit seinen zwei Töchtern im Isdal (Eistal) bei Bergen in Norwegen eine halbverbrannte Frauenleiche. Neben der Leiche Kleiderreste und Schmuck, ein Paar Gummistiefel, eine Likörflasche, eine Schachtel mit Schlaftabletten und andere Gegenstände. Merkwürdig: Mögliche Etiketten an Flaschen und Kleidung fehlen.
Bei der Obduktion zeigte sich, dass die unbekannte Tote Schlafmittel im Blut und unzerkaute Tabletten im Mund hatte. Suizid oder Mord? Alles scheint möglich und Jahre später erinnert sich ein Mann in Bergen, er habe in der fraglichen Zeit eine Frau in Begleitung von zwei Männern in schwarzen Ledermänteln gesehen. Die Frau habe verängstigt gewirkt.
Gerüchte über eine angebliche Spionin oder Agentin
Gerüchte von der angeblichen Spionin oder Agentin geistern schon vorher durch die Medien. Denn Tage nach dem Fund der Leiche ermitteln norwegische Polizeibeamte den letzten Aufenthaltsort der Frau und finden zwei Koffer im Bahnhof Bergen. Der Inhalt: mehrere Perücken, Brillen mit Fensterglas, erotische Unterwäsche, Geldscheine in verschiedenen Währungen und auf einem Schreibblock einen verschlüsselten Code, der später von Experten geknackt wird. Demnach war die geheimnisvolle Unbekannte unter mindestens sieben Identitäten quer durch Europa unterwegs. In Norwegen hatte sie zuletzt in zwei Hotels unter unterschiedlichen Namen eingecheckt. Mal als Elizabeth Leenhouver, mal als Claudia Nielsen.
Berliner Journalistin stößt 2019 in Norwegen auf neue Erkenntnisse
Werner Endres, sonst nicht gerade auf den Mund gefallen, hört schweigend zu. Und die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende: 2019 reist die Berliner Journalistin Britta Marks nach Norwegen. Sie hat eine Produktionsfirma und greift immer wieder spektakuläre Kriminalfälle auf. Für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) stößt sie auf neue Erkenntnisse. Danach könnte die Frau zur Zeit des Zweiten Weltkriegs als Kind aus Osteuropa nach Westeuropa übersiedelt sein und muss einen Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben, möglicherweise in der deutsch-französischen Grenzregion. Britta Marks entdeckte im Zuge ihrer Recherchen auch die Postkarte: „The Isdal woman is from Meersburg Germany.“

„Also wenn die Stammgast bei uns in der Haltnau gewesen wäre, wüssten wir es!“Werner Endres, 50 Jahre Haltnau-Wirt
Und was ist jetzt mit Meersburg? Werner Endres, nie um einen Witz verlegen, meint: „Also wenn die Stammgast bei uns in der Haltnau gewesen wäre, wüssten wir es!“ Aber dann betrachten er und seine Frau Hannelore sichtlich beeindruckt die Bilder von der Postkarte aus Amerika und den Satz: „The Isdal Woman is from Meersburg Germany.“ Mehr als 50 Jahre nach dem Tod der Frau in Norwegen dieses Zeichen. Für Endres gibt es jetzt nur eine klitzekleine Möglichkeit, die berühmte Nadel im Heuhaufen zu finden: „Die einzige Chance ist, die breite Öffentlichkeit zu befragen. Vielleicht gibt es noch jemanden, der sich erinnert!“
Wer kennt möglicherweise die Isdal-Frau?
Die Berliner Journalistin Britta Marks hat folgende Fragen an die Leserinnen und Leser des SÜDKURIER:
- Vermissen Sie eine Frau, die seit 1970 verschwunden ist? Sie muss zu diesem Zeitpunkt zwischen 25 und 40 Jahre alt gewesen sein, war etwa 1,64 Meter groß und dunkelhaarig.
- Sagt Ihnen einer der Namen etwas: Claudia Nielsen, Elizabeth Leenhouwer, Genevieve Lancier, Claudia Tielt, Finella Lorch, Alexia Zarna-Mechez, Vera Schlossarek. Recherchen von Daniel Sattler vom Kulturamt Meersburg ergaben keine Übereinstimmung mit Namen aller Mädchen der Geburtsjahrgänge von 1930 bis 1945.
- Die Frau trug eine Herren-Armbanduhr der Marke SOLO, die vermutlich in Deutschland gekauft wurde.
- Die Isdal-Frau soll ein enges Verhältnis zur katholischen Kirche gehabt haben. Ist Ihnen eine solche Person in Erinnerung?
Antworten oder Hinweise zu diesen Fragen gerne per E-Mail an: ueberlingen.redaktion@suedkurier.de