Wenn im Sommer der Schnabelgierewalzer ertönt, dann ist im Städtle getreu des Liedtextes was los: Dann erfüllen die vermeintlichen Delinquenten ihre vom Hexengericht verhängten Strafen. Martina Mattes und Hubert Möhrle waren am Rosenmontag die Verurteilten und verrichteten einen Teil ihrer närrischen Auflagen nun gemeinsam.

Martina Mattes wurde Anfang März unter anderem verurteilt, weil sie weder beim Allerlei noch beim Gugelhupf mitgemacht habe. Außerdem soll sie, aufgebrezelt im Leopardendress, im Deggenhausertal gefeiert haben. Dafür wurde sie vom Hexengericht verpflichtet, im Obertor das Märchen Rapunzel aufzuführen.

Mit Schorle und Pizza im Turm

Mit viel Wortwitz und einigen Spitzen sowie sozialkritischen Anmerkungen kam Mattes ihrer Aufgabe nach. Zusammen mit Andrea Matkovic als rettendem Ritter führte sie im Treppenaufgang des Obertors eine moderne Version des Märchens auf.

Im Treppenaufgang des Obertors wettert Rapunzel alias Martina Mattes über die rückständigen Hexen, die sie aufgrund ihres Modegeschmacks ...
Im Treppenaufgang des Obertors wettert Rapunzel alias Martina Mattes über die rückständigen Hexen, die sie aufgrund ihres Modegeschmacks bestraften. | Bild: Von Lorna Komm

Klaudia Raschke, bekannt als Ansagerin beim Allerlei, führte die zahlreichen Besucher in die Geschichte ein. „Das völlig zu Unrecht verurteilte Justizopfer ist durch die Hexen in den Turm verbannt“, sagte Raschke. Der einzige Schlüssel sei zerstört, doch die Gefangene werde mithilfe eines hochziehbaren Korbs versorgt. Mit Schorle und Pizza stecke darin alles, „was Frau so braucht“.

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Rapunzel Mattes – im Kleid mit Leoparden-ähnlichem Muster – erzählte in Reimform, wie es wegen ihres T-Shirts mit Leo-Print zur Verurteilung kam. „Zu wild! Zu frech! Das ziemt sich nicht, sagten sie mir beim Hexengericht.“ Und dies von einer Hexe, die seit 30 Jahren dasselbe Häs trage, sich als Mann im Frauengewand hinter einer Maske verstecke, frotzelte Mattes weiter; und obwohl inzwischen jeder Leo trage.

Rapunzel befreit sich selbst

In ihrem Zwiegespräch mit Ritter Matkovic bekamen auch Zunftmeister Alex Wurster, Hexenvater Uwe Raschke sowie Ehemann und Glonkepapa Boris Mattes ihr närrisches Fett ab. Da keiner sie befreien konnte und sie „als Frau alles allein entscheiden kann“, befreite sie sich selbst.

„Ich komme zurück, mit dem Haupt erhoben, nicht um zu dienen, nicht um zu loben, nicht zart, nicht leise, nicht dekorativ, sondern laut, lebendig und progressiv“, proklamierte Mattes. Im Anschluss verkündete sie, dass ein Drittel der Spenden an den Verein Frauen und Kinder in Not gehen solle, „da keine Frau es verdient, eingesperrt zu werden“.

Im direkten Anschluss ging es auf dem Marktplatz weiter, wo Klaus-Peter Pfau und Dirk Bühler schon mit ihren Alphörnern warteten. Nach einem Musikstück trat Hubert Möhrle vor das Publikum. In einem Frack-ähnlichen Gewand mit Totenkopf auf dem Rücken und mit Zylinder auf dem Kopf stellte er sich seiner Strafeinlösung.

Möhrle wurde verurteilt, weil er ein gar zu strenger Klarinettenlehrer sei, dessen Schüler nichts zu lachen haben – wenngleich sie hinterher gut ausgebildet seien. Seine Strafe bestand darin, ein gemeinsames Konzert mit mindestens 50 Musikern von allen Musikkörpern der Stadt aufzuführen.

Hubert Möhrle (rechts), hier mit dem kurzerhand getauften „Bodensee Alphorn Duo“, bestehend aus Klaus-Peter Pfau (links) und Dirk ...
Hubert Möhrle (rechts), hier mit dem kurzerhand getauften „Bodensee Alphorn Duo“, bestehend aus Klaus-Peter Pfau (links) und Dirk Bühler, begrüßt die Gäste vor seinem Part. | Bild: Von Lorna Komm

Auch Möhrle begrüßte die Zuschauer humorvoll zur „alltäglichen Abendveranstaltung“ in der Stadt. „Lassen Sie sich überraschen, wo die Musik überall herkommt“, kündigte er den folgenden Sternenmarsch an. Zeitversetzt kam durch das Obertor der Fanfarenzug, die Kirchstraße hinunter marschierte die Stadtkapelle, die Knabenmusik kämpfte sich die Steigstraße empor und durch die Kunkelgasse zogen die Musiker der Narrenmusik mit Verstärkung durch die Bierdeckelpfeifer und des Musikvereins Daisendorf/Stetten ein.

Rund 100 Musiker spielen im Reithof ein gemeinsames Konzert
Rund 100 Musiker spielen im Reithof ein gemeinsames Konzert | Bild: Von Lorna Komm

In einem gemeinsamen Umzug ging es dann auf den Reithof, wo alle Musiker zusammen das abendliche Serenadenkonzert begannen. Gemeinsam spielten die rund 100 Musiker den Fehrbelliner Reitermarsch. Nach Abtritt des Fanfarenzugs spielten die Bläser Märsche sowie „Die Fischerin vom Bodensee“.

Strafe als Ehrenschuld

Zwischendurch verteidigte sich auch Möhrle als zu Unrecht verurteilt: „Von wegen, dass ich mit meinem Register zu hart umgehe. Schaut doch mal, wer alles da ist von meinen Schülern, das bezeugt meine Unschuld“, wandte er sich an die Hexen. Doch auch ohne Klageschrift und Einräumung von Rechtsmitteln sei die Strafe eine Ehrenschuld. „Man kommt seiner Verpflichtung selbstverständlich nach“, betonte Möhrle.

Hunderte Meersburger verfolgen die Strafeinlösung, wie hier im Reithof bei dem Serenaden-Konzert aller städtischen Klangkörper.
Hunderte Meersburger verfolgen die Strafeinlösung, wie hier im Reithof bei dem Serenaden-Konzert aller städtischen Klangkörper. | Bild: Von Lorna Komm

Zum Abschluss vor der Zugabe erklang der Schnabelgierewalzer und die mehreren hundert Zuschauer schunkelten einträchtig singend: „So schön sollt‘s immer sein“. Bei Bratwurst und Kaltgetränken ging es zu Musik der einzelnen Orchester noch gemütlich weiter. Speis und Trank gab es gegen Spenden. Die Erlöse werden aufgeteilt und gehen an die Frauenhilfe, die Knabenmusik und die Lebensmittelausgabe Meersburg.