Salem – Nicht die herrliche Aussicht von oben auf das Salemer Tal treibt Sabine Wissen auf den Turm der Schlosskirche. Sie ist vielmehr beeindruckt von der funktionellen Schlichtheit des Dachgebälks. Betritt man die gotische Schlosskirche auf dem Gelände der ehemals mächtigen Abtei der Zisterzienser, ist man überrascht von ihrer prächtigen, barocken Ausstattung. Doch einmal nicht um diese vielbesuchte Kirche, sondern um ihr Dachgebälk, welches die Glocke beherbergt, geht es Sabine Wissen. Sie lebt und arbeitet seit fast 14 Jahren im Schlossbezirk. Die Goldschmiedin erinnert sich: "Als ich im November 2003 zum ersten Mal von Oberhausen nach Salem kam, um die Goldschmiede zu übernehmen, stand ich am Stockacher Tor und habe gedacht 'Wow', was für eine Weite und Ruhe strahlt dieser ganz besondere Ort aus."

Diese sprichwörtliche Magie findet sie auch, wenn nach dem Eintritt durch eine unscheinbare Pforte in der Kirche und nach dem Anstieg über 160 Stufen der Dachstuhl erreicht ist, das Dämmerlicht warme Schatten über die Balken zaubert und die Welt den Atem anzuhalten scheint. Staub tänzelt in der Luft, Lichtstrahlen fallen durch die kleinen Fenster, die Balken wechseln die Farbe von honiggelb ins astgrau – und Sabine Wissen ist restlos begeistert: "Der Gedanke daran wie alt das hier alles ist und die enorme Leistung der Baumeister des Mittelalters faszinieren mich", so die Goldschmiedemeisterin. Sie spricht von Ehrfurcht über die Erhabenheit dieser über 700 Jahre alten Baukunst, die in dieser Weise nur gebaut wurde, um die Glocke zu läuten. Und dann läutet die Glocke.

Sabine Wissen steht auf dem großzügigen Dachboden ganz in der Nähe und erklärt, sie habe sich viele Reportagen über den Glockenguss angesehen. "Wie viel Arbeit da dahintersteckt und die Unsicherheit über das Ergebnis, das hat mich schon immer interessiert und ist meiner Arbeit ja nicht ganz fremd, wenn auch in viel, viel kleineren Dimensionen", lacht die Goldschmiedin. Sie selbst bevorzuge in ihrer Arbeit ebenfalls ein schlichtes Design, es wäre doch damit viel schwieriger zu beeindrucken als mit Prunk, erklärt die Handwerksmeisterin und zieht die Parallele von der Kirche ins Dachgebälk.

Die ganz besondere Stimmung des um circa 1290 errichteten Dachstuhls der Salemer Schlosskirche, den man richtig weitläufig begehen kann, die Funktionalität der Konstruktion der Balken und des Glocken-Apparats, aber auch die erhabene Ruhe über dem Schloss-Geschehen, empfindet Sabine Wissen als einmalig. Auch nur einmal in den vergangenen fast 14 Jahren hatte sie Gelegenheit, dort oben zu sein, und freut sich ganz besonders, als Birgit Rückert, die stellvertretende Schlossleitung, zu diesem Aufstieg das kleine Türchen rechts in der Kirche geöffnet hat.

Normalerweise steht dieses Erlebnis nicht auf dem Programm der zahlreichen Touristen, die kommen, um sich Schloss und Kirche anzusehen. Ein besonderer Höhepunkt sind deshalb die beiden Führungen am 27. August und 4. September auf das Dachgestühl und den Turm der Schlosskirche.

Wie lebt und arbeitet es sich im Schloss Salem, mit der dementsprechenden Adresse "Schlossbezirk" und was sind die besonderen Erlebnisse? Fragen, auf die Sabine Wissen die letzten Jahre Revue passieren lässt: "Es ist ja insgesamt im Schloss immer ruhiger, als beispielsweise auf der Überlinger Promenade. Ich bin mir meinem besonderen, historischem Wohnort durchaus bewusst und werde hier auch gerne von Freunden besucht", sagt sie. Die Frage, ob sie denn schon einmal als Fürstin oder Gräfin angesprochen wurde, verneint sie lachend. Vom Schulbetrieb des Internats kriege sie fast gar nichts mit, gibt sie überraschenderweise zu, natürlich nennt sie verschiedene Veranstaltungen, die sie im Laufe der Zeit erlebt hat. Besonders gefallen haben der Künstlerin die Duckomenta im Jahr 2004, der zweijährlich im Wechsel stattfindende Künstleraustausch "Salem to Salem" zwischen New York und Salem, aber auch das Konzert von Rolando Villazon in diesem Sommer.

Etwas abseits des Schlosshofs und außerhalb des Schlossbezirks liegt die Alte Säge. Hier her gelangt man über den Wanderweg, die Gebäude liegen an der Aach. "Entzückend", findet Sabine Wissen das alte Holzhaus am Wasser. Ein Kleinod, das sich in nur zehn Gehminuten erreichen lässt. Sie empfiehlt den Besuchern des Schlosses, ruhig mal etwas umherzuschweifen. "Das lohnt sich, denn es gibt außer dem Glockenturm noch einiges zu entdecken", verabschiedet sich die Goldschmiedin mit dem Hang zur Stille.

Das Salemer Münster

  • Exklusive Führungen auf den Glockenturm des Salemer Münsters finden statt am 27. August und 4. September, jeweils um 14.30 Uhr. Treffpunkt ist am Eingangspavillion des Schlosses. Es ist keine Voranmeldung notwendig.
  • Das älteste Zisterzienserkloster und die reichste Abtei am Bodensee: Bei Salem fällt es schwer, nicht in Superlativen zu denken. Das beeindruckende Ensemble von mittelalterlicher Kirche und barocken Klostergebäuden gehört zu den herausragenden Kulturdenkmalen des Landes. Salem bietet ein anschauliches Bild von dem großen Reichtum, den die Zisterzienser durch eigene Arbeit und höchsten Schutz des Kaisers erwerben konnten.
  • Das Münster, vom späten 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert entstanden, gehört zu den letzten großen gotischen Bauten der Zisterzienser. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Klostergebäude, die vielen Schlössern in nichts nachstehen, im barocken Stil neu erbaut. Berühmte Künstler arbeiteten ein Jahrhundert lang an der Ausgestaltung der Räume.
Ein Video aus dem Glockenturm des Salemer Münsters sehen Sie hier: