Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben: Da stehen Menschen in einer nicht enden wollenden Schlange, um ein Tütchen mit Samen von Tomatenpflanzen, bestimmten Bohnen oder Gurken zu bekommen. Die Saatgutbörse, die 2014 mit 50 Neugierigen begann, ist längst zu einem Magneten für die Region geworden. Auf weit über tausend Besucher schätzten die Veranstalter um Maria Schlegel von der Initiative Saatgut-Bildung die Kulturpflanzenfreunde, die ins Prinz Max nach Neufrach gekommen waren.

Ein Teil davon auch wegen des Vortrags von Bernhard Markgraf von Baden, den dieser unter den Titel „Vielfalt statt Einfalt – die Zukunft der Landwirtschaft“ gestellt hatte. „Das ist ein Novum für unsere Veranstaltung“, sagte Maria Schlegel zur Begrüßung und bat um Verständnis, dass in dem Raum Stühle wie für ein Auditorium aufgestellt waren. Anschließend räumte man flugs um, um die Tische für die Saatgut-Sammlungen aufzubauen.
Markgraf will neue Weichen stellen
Bernhard Markgraf von Baden schlug den Bogen weit von der Sesshaftwerdung des Menschen als „neolithische Revolution“ über die Entstehung der heutigen Kulturlandschaft mit der Landwirtschaft alter Schule bis zur Erfindung der Ammoniak-Synthese und des chemischen Düngers, der den Nutzpflanzenanbau revolutionierte. „Mit dem synthetischen Dünger spielte die Qualität der Böden keine Rolle mehr“, erklärte er. Hinzu seien die Pflanzenschutzmittel als „Medikamente“ gekommen. „Wir manipulieren die Pflanzen scheinbar erfolgreich mit chemischen Wirkstoffen.“ Die Kehrseite zeigte der Markgraf mit der Degeneration der Böden und den Verlust der Humusschicht auf, die durch eine Rückkehr zur biologischen Bewirtschaftung wiederbelebt werden müssten. Dies sei die entscheidende Grundlage für eine neue Weichenstellung.
Dass ihm selbst Ernst dabei ist, hatte Bernhard Markgraf von Baden vor einigen Jahren mit der Umstellung des eigenen landwirtschaftlichen Betriebs auf ökologische Bewirtschaftung bewiesen. Einen weiteren Impuls hatte er im April 2024 mit einem Experten-Forum zum Thema „Regenerative Land-, Forst- und Wasserwirtschaft“ gegeben. Daran knüpfte er nun mit einem Appell zum Umdenken an. „Wir müssen einfach anfangen“, erklärte er und verwies auf den Erfolg des Sielmann Biotopverbunds Bodensee.

Eine reine Schwarz-Weiß-Darstellung?
Die Schwarz-Weiß-Darstellung wollte dem Salemer Landwirt Hubert Einholz nicht recht gefallen. „Wir machen auch in der konventionellen Landwirtschaft schon vieles anders“, erklärte Einholz und nannte als Beispiel seine sechsgliedrige Fruchtfolge. Natürlich sei es illusorisch, den Hebel auf einmal umzulegen, räumte der Markgraf im anschließenden Gespräch ein. „Jeder Bauer muss für sich selbst entscheiden, welche Richtung er einschlägt und in welchem Tempo er dies tun kann.“ Allerdings sei kaum eine Region so berufen wie der Bodenseeraum, das Umdenken voranzubringen und als Vorbild zu wirken. Auch andere Kollegen, konventionelle Landwirte, lauschten dem Vortrag. Darunter der Ostracher Georg Rauch, langjähriger Vorsitzender des Badisch-Landwirtschaftlichen Hauptverbands in der Region. „Ich bin nicht unbedingt seiner Meinung“, sagte Rauch anschließend: „Aber man muss sich alles einmal anhören. Und ich werde mich mit ihm gern einmal unter vier Augen austauschen.“

Im Sortengarten der Initiative gezogen
Unterdessen hatten sich schon die ersten Schlangen an den Ausgaben für Samentütchen gebildet. Sie wurden mit einem Teelöffel nachgezüchteter Saat gefüllt, vor allem für Nutzpflanzen. Dabei handelte es sich um 76 katalogisierte, vorwiegend lokale Sorten, die im Mimmenhausener Sortengarten der Initiative seit vielen Jahren nachgezogen und vermehrt werden. Allein 26 Bohnen- und 20 Tomatensorten waren darunter. Von der Schwabenbohne über die Mahlspürer Bohne bis zur Salemer Gartensorte. Von exotischer Herkunft sind manche Tomaten, die inzwischen am Bodensee kultiviert werden: die kirgisische Fleischtomate, die rumänische Landsorte oder das Sannumer Herz, das aus dem Iran stammt.
Viele Besucher waren zum ersten Mal bei der Börse. Andrea Roggon ist aus Stuttgart nach Taisersdorf gezogen. „Dort war es im Garten viel zu warm“, sagte sie. Jetzt hofft sie, dass der Bunte Mangold, den sie gern hätte, auf ihrem Balkon gut gedeiht. Jagd auf eine Gartengurke machte Martha Löffler aus Herdwangen, die die Börse schon kannte. „Ich hoffe, dass die Sorte keinen Mehltau bekommt“, sagte sie. Neuling ist dagegen auch Berthold Grundler aus Überlingen, der sich die Burbanks-Tomate und die Stella-Bulga für seinen sonnigen Garten ausgesucht hat.

Auch wer Blühendes für eine Blumenwiese suchte, wurde am Tisch des Bunds für Umwelt- und Naturschutz (BUND) aus Pfullendorf fündig – mit Akelei, Cosmeen oder gleich einer bunten Mischung. Während die Saatgut-Initiative nur definierte und bereits gut beschriebene Nachzuchten aus dem eigenen Sortengarten verteilte, stand im Zentrum ein großer Tisch, an dem privates Saatgut und Samen getauscht werden konnten. Auch hier drängte sich schnell ein dichter Pulk, und die Pflanzenfreunde tauschten sich über ihrer Erfahrungen aus.