So wild sehen sie gar nicht aus: Rundum blickt man in freundliche Gesichter, die Wikingerkluft ist an diesem Morgen im Schrank geblieben. Um den großen Tisch in den Proberäumen im Prinz Max haben sich zwei Generationen an Wikingern versammelt. „Wir sind in Altersteilzeit“, scherzt Elmar Notheis, der einstige langjährige musikalische Leiter der Neufracher Lumpenkapelle.
Neben ihm sitzt Andreas Kretz, ebenfalls Gründungsmitglied und ehemaliger Wikinger, und erinnert sich schmunzelnd an die Anfänge der jungen Wilden vor 40 Jahren. „Die Idee stammt von Fridolin Matt“, sagt Kretz über die charakteristische Fellkleidung. Zunächst habe die Gruppe an Guggenmusikern aus dem Musikverein Neufrach für die Fasnet Spitzkutten gestellt bekommen. „Aber die haben uns keinen Spaß gemacht und waren schnell verratzt.“
Voller Einsatz für das Kostüm mit Hörnern
So habe man sich Hasenfelle und Flokatis zusammengesucht und die ersten 30 Helme gemacht. „Die Hörner hab‘ ich aus einer Metzgerei in Überlingen“, erinnert sich Kretz an eine besondere Herausforderung. In der Mittagspause habe er die Hörner den abgetrennten Rinderköpfen auf dem Hackstock wegschlagen müssen. Mit der Zeit ist das alles etwas einfacher geworden. „Ich habe geschnitzte Holzhörner“, berichtet Martin Stehle, der 2002 die musikalische Leitung von Notheis übernahm. „Die kann man inzwischen im Internet kaufen.“

Für Stehle ist die 30. Fasnet als Wikinger angebrochen. Somit ist der musikalische Leiter gleichzeitig auch der dienstälteste Wikinger, denn von damals sei keiner mehr aktiv dabei. „In der Fasnet ist jedes Wochenende was“, erklärt er. Bei sechs bis sieben Wochenenden mit durchschnittlich zwei Auftritten komme schon etwas zusammen, manchmal spiele man auf mehreren Festen hintereinander. „Aber einmal im Jahr nehmen wir alle mit“, sagt Stehle mit Blick auf die alten Hasen am Tisch. Beim Salemer Umzug seien neben der Standardbesetzung von knapp 60 Personen auch stets zehn bis 20 Ehemalige dabei.
Die ganze Familie ist mit im Boot
Zu den alten Hasen gehört auch Verena Stötzle. Die ehemalige Terminchefin der Wikinger ist in der Neufracher Hardtwieble-Zunft aktiv und dadurch an der Fasnet gut beschäftigt. „Als dann die Kinder gekommen sind, ist es am Wochenende irgendwann etwas viel geworden“, offenbart sie lachend. Kinder seien aber prinzipiell kein Hindernis, um bei den Wikingern mitzumachen, betonen alle. Im Gegenteil: Dass man früh die Familien eingebunden habe, sei vermutlich ein Grund für die Langlebigkeit und Beständigkeit der Lumpenkapelle gewesen, mutmaßt Andreas Kretz. „Als die frisch Verheirateten dann samstagabends gefehlt haben, haben wir die Frauen dazu genommen und später auch die Kinder.“
Aus einem geschenkten Segelboot habe man gemeinsam ein Wikingerschiff mit Drachenkopf gebaut, in dem der Wikingernachwuchs seitdem stilecht die Umzugsstrecken entlanggezogen wird. „Einmal haben wir das Boot in Immenstaad gewassert“, verrät Kretz und grinst. „Es ging nicht so weit, aber tief.“
Erlebnisse schweißen zusammen
Weitere Erinnerungen werden wach, als sich Alt und Jung am Tisch austauschen. Das Mitwirken an der Fernsehsendung „Spaß auf der Gass‘“ im Jahr 1996 ist allen noch präsent, als Salem gegen andere Gemeinden aus dem Südwesten antrat. „Da sind wir richtig in der Öffentlichkeit gestanden“, blickt Kretz zurück. Verena Stötzle sind vor allem die Fahrten zu den Musberger Hexen in Leinfelden-Echterdingen im Kopf geblieben: „Einmal haben wir abends auf dem Ball gespielt, mehr oder weniger übernachtet und am nächsten Morgen auf der Narrenmesse gespielt.“
Martin Stehle ergänzt, dass die Wikinger spontan eingesprungen seien, weil eine andere Gruppe aufgrund von Eisregen nicht anreisen konnte. „Wir haben kurz geguckt, ob wir eine spielfähige Mannschaft zusammenbekommen“, meint er augenzwinkernd. Elmar Notheis dazu lapidar: „Wir haben gut gespielt.“
Disziplin und Können sind gefragt
Neben zusammenschweißenden Erlebnissen und der gewachsenen Kameradschaft ist der Truppe aber auch Disziplin wichtig. Nach dem Auftritt stoße man zwar gern mal an, doch Betrunkene nehme man nicht zu Auftritten oder Umzügen mit. Und das auswendige Spiel sei neben der Beherrschung des Instruments ebenfalls Voraussetzung für jeden Wikinger. Patrick Hummel vom Orga-Team weist darauf hin, dass man Stücke im Repertoire habe, die „fordernder“ geschrieben seien. So spiele man nicht nur Fastnachtsschlager und traditionelle Straßenmusik, sondern habe für die Hallen auch Anspruchsvolleres von Rock bis Pop. „Es ist nicht mehr nur ‚Rucki Zucki‘ und ‚Eisgekühlte Coca-Cola‘“, betont Martin Stehle, der die Arrangements selbst schreibt.
Fortbestand im Wandel der Zeit
Mit der Nachwuchsgewinnung laufe es dennoch oder gerade deswegen sehr gut. „Für viele ist es Motivation, im Musikverein zu sein, damit man später zu den Wikingern kann“, weiß Notheis, was Stötzle bestätigt. Gleichzeitig merken auch die Wikinger einen Wandel in der Gesellschaft: „Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung“, beobachtet Kretz. „In meiner Generation gab es den Musik- und den Sportverein. Die einen sind im Winter Ski fahren gegangen, die anderen haben Musik gemacht.“ Stötzle ergänzt, dass sich viele heute nicht mehr festlegen wollen. Daher ist Stehle stolz darauf, dass die Wikinger seit 40 Jahren bestehen und immer noch gut ankommen: „Es sind nicht viele, die das geschafft haben.“