Die Freude ist groß, als Margit Wobbe den früheren Bauamtstrakt des alten Rathauses in Neufrach betritt. Familie Haiosh erwartet ihre Unterstützerin des Salemer Helferkreises samt Pressebegleitung. Etwas schüchtern, aber sehr zuvorkommend empfängt die ukrainische Familie ihre Gäste in dem Raum, der gleichzeitig den Eltern als Schlafzimmer dient.

Zu neunt bewohnen Haioshs drei Räume in der Gemeinschaftsunterkunft. Mit Decken und Teppichen haben sie der zweckdienlichen Einrichtung eine persönliche Note verpasst. Im September 2022 kam die Familie an den Bodensee, seit Juli dieses Jahres lebt sie im alten Rathaus in Salem.

Seit Juli wohnt Familie Haiosh in der Flüchtlingsunterkunft im alten Rathaus in Salem.
Seit Juli wohnt Familie Haiosh in der Flüchtlingsunterkunft im alten Rathaus in Salem. | Bild: Altmann, Miriam

Angst vor Krieg und Zwangsrekrutierung

„Wir sind einfach losgefahren“, erinnert sich Elisabetha Demeter-Haiosh. Die sechsfache Mutter berichtet, dass ihr Heimatort in der Ukraine in unmittelbarer Nähe zum Kriegsgebiet gelegen habe. Doch nicht nur deshalb war die Familie in Angst.

Schwiegersohn Josep erzählt, dass er nicht mehr im Freien arbeiten konnte: „Es war unsicher für Männer, weil sie ohne großartiges Einverständnis von der Straße eingezogen wurden“, erklärt der junge Vater. Bevor also die Familie ohne Unterstützung gewesen wäre, machten sie sich auf den Weg nach Westen.

Drei Tage lang waren die Haioshs mit dem Zug unterwegs. Eigentlich wäre Ungarn ein näheres und logischeres Ziel gewesen – denn Ungarisch ist die Muttersprache der Familie. Josep weiß jedoch zu berichten, dass sie im Nachbarland keine Unterstützung bekommen hätten.

„Ich habe gehört, dass wir hier vielleicht besser aufgenommen werden“, sagt der junge Mann ehrlich. Margit Wobbe erklärt dazu: „Als ukrainische Geflüchtete bekommen sie Bürgergeld.“ Damit kann die Familie ihren Lebensunterhalt bestreiten, doch für Kleidung oder Schulsachen reicht es nicht.

Margit Wobbe unterstützt die neunköpfige Familie

Dass der 14-jährige Ervin und die zehnjährige Valeria für den Schulstart im September ausgestattet waren, ist Margit Wobbe zu verdanken. Helferkreis-Sprecher Jürgen Jung habe sie als neues Mitglied gefragt, ob sie sich darum kümmern könne – für die erfahrene Schulsekretärin kein Problem.

Seitdem trifft sich Margit Wobbe etwa einmal die Woche mit den Haioshs und unterstützt sie auch in anderen Belangen. „Ich habe schon immer gern Menschen geholfen“, erklärt die Ehrenamtliche, die auch bei der Markdorfer Tafel aktiv ist. Für den Salemer Helferkreis fülle sie zum Beispiel stapelweise Formulare aus oder begleite Familie Haiosh zum Kleiderladen des Roten Kreuzes. „Das tut mir auch gut“, sagt sie über ihr Ehrenamt.

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Fehlende Sprachkenntnisse erschweren Jobsuche

Aktuell ist Margit Wobbe mit den Haioshs darum bemüht, Jobs für Vater Soltan und die 18-jährige Diana zu finden. „Sie würden gern arbeiten, aber sie können kein Deutsch und kaum lesen und schreiben“, schildert die Helferin das Dilemma. Schwiegersohn Josep habe eine Stelle bei einem Landschaftsgärtner gefunden. Dort habe er sich schon ein wenig der deutschen Sprache angeeignet.

Für einen fundierten Deutschkurs fehlt ihm durch die Arbeit jedoch die Zeit. Mutter Elisabetha hätte zwar Zeit, benötige aber einen Alphabetisierungskurs – und die sind rar gesät. „Ich bin dankbar für die Möglichkeit, dass die Kinder in die Schule gehen dürfen. Mein Mann und ich hatten das nicht“, bekennt die 39-Jährige.

Erste Fortschritte in der Vorbereitungsklasse

Ervin und Valeria besuchen gemeinsam eine Vorbereitungsklasse der Gemeinschaftsschule Salem, wo sie vor allem in der deutschen Sprache unterrichtet werden. „Es sind auch ukrainische Kinder in der Klasse“, erzählt der 14-jährige Ervin von ersten Kontakten. Mit dem Lernstoff komme er gut klar, besonders der Sportunterricht gefalle ihm gut.

Seine Schwester Valeria berichtet von Koch- und Backaktionen und einem geplanten Kuchenverkauf, auf den sie sich freut. Mit deutschen Kindern hätten beide jedoch noch nicht so viele Berührungspunkte gehabt. „Das dauert“, meint Margit Wobbe aus Erfahrung.

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Mit Unterkunft zufrieden, aber Sorgen um die Töchter

Elisabetha Demeter-Haiosh betont, dass die Menschen im Ort freundlich zu ihnen sind: „Das ist ein gutes Gefühl.“ Mit den anderen Bewohnern gebe es keine Konflikte, man komme gut miteinander aus. Auch mit ihrer Unterbringung im alten Rathaus sei sie im Großen und Ganzen zufrieden – wenn man von typischen Problemen absehe, die das Zusammenleben mit vielen Menschen eben mit sich bringe.

Mit meist vollen Waschmaschinen und verschiedenen Hygienevorstellungen habe sich die 39-Jährige arrangiert. Doch sie äußert auch ihre Sorgen um die drei jüngeren Töchter, wenn sie abends die Waschräume im Hauptgebäude aufsuchen müssen. „Es sind viele alleinstehende junge Männer hier“, begründet die Mutter. Doch Margit Wobbe beruhigt: „Es sind ja immer Sicherheitsleute da.“

Blick in einen Toilettenraum in der Flüchtlingsunterkunft im alten Rathaus.
Blick in einen Toilettenraum in der Flüchtlingsunterkunft im alten Rathaus. | Bild: Altmann, Miriam

Zukunft liegt im Ungewissen

Was ihre Zukunft angeht, sieht sich die Familie noch im Ungewissen. „Wir haben gedacht, dass wir zurückgehen, wenn der Krieg vorbei ist“, sagt Elisabetha Demeter-Haiosh. „Momentan sieht es aber nicht so aus, es ist schlimmer geworden.“ Daher wünscht sie sich, eine Mietwohnung zu finden. Doch das sei schwierig.

„Wir würden gern hier in der Nähe bleiben, da es gut in der Schule klappt“, erklärt die Mutter. Und ihr bleibt die Hoffnung auf einen Job, beispielsweise gärtnern oder putzen – ein Job, bei dem sie sich die Sprachkenntnisse im Alltag aneignen könnte. Zusätzlich sucht Margit Wobbe weiter nach einem Sprachkurs für die 39-Jährige. „Margit hilft uns viel, wir sind sehr dankbar“, sagt die ganze Familie Haiosh.