Mit dem Gasthaus und Hotel Adler in Sipplingen wurde in den vergangenen 16 Jahren nicht gut verfahren. Alle Versuche scheiterten, das denkmalgeschützte Haus aus dem 17. Jahrhundert nach dem plötzlichen Tod des damaligen Eigentümers als gastronomischen Betrieb weiterzuführen. Auch Pläne des Landratsamtes, dort ab 2015 Flüchtlinge unterzubringen, lösten sich schnell in Luft auf. Der Umbau des historischen Gebäudes wäre viel zu teuer geworden. Nun droht das nächste Ungemach für das ehrenwerte Gemäuer. Gegenüber des Adlers soll ein modernes dreigeschossiges Wohnhaus mit vorgelagerten Flachdach-Garagen entstehen. Zum Ensemble am Rande des historischen Ortskerns und vor allem zum Adler selbst dürfte das Bauvorhaben wohl nicht passen.
Bauausschuss formulierte im Sommer nichtöffentlich Änderungswünsche
Das sahen auch die Gemeinderäte so, die sich in nichtöffentlicher Sitzung des Bauausschusses am 10. Juni mit dem Bauvorhaben befassten. Sie formulierten Änderungsvorschläge, ihnen sagten dem Vernehmen nach weder die Form noch die Höhe des geplanten Gebäudes zu. Allerdings wurde nie öffentlich über das Bauvorhaben im Gemeinderat beraten. Dies ist im Paragrafen 35 der Gemeindeordnung so vorgesehen.
Verwaltung versäumt, Bauvorhaben im Gemeinderat vorzulegen
Die Verwaltung versäumte es jedoch, das Bauvorhaben auf die Tagesordnung einer der beiden folgenden öffentlichen Ratssitzungen zu setzen. Dies räumte sie auch gegenüber der kommunalen Aufsichtsbehörde ein, bei der das Ehepaar Fallier, das direkt neben dem Baugrundstück wohnt, Beschwerde eingelegt hatte.
„Keine Gründe für ein Versagen des baurechtlichen Einvernehmens“
Auf Nachfrage des SÜDKURIER erklärt die Verwaltung dieses Vorgehen damit, dass „noch Abstimmungsbedarf mit der Bauherrschaft/dem Architekten, dem Baurechtsamt in Überlingen sowie unserer Rechtsberatung“ bestanden habe. Weiter merkt die Pressestelle der Gemeinde an: „Darauf hinweisen möchten wir an dieser Stelle, dass auch der Gemeinderat lediglich auf Grundlage des Paragrafen 34 Baugesetzbuch das Einvernehmen gemäß Paragraf 36 Absatz 2 Satz 1 Baugesetzbuch versagen könnte. Da auf sachlicher Ebene jedoch keine Gründe nach Paragraf 34 Baugesetzbuch für die Versagung des Einvernehmens hinsichtlich des Bauvorhabens erkennbar sind, hätte die Baurechtsbehörde in Überlingen das Einvernehmen aller Voraussicht nach ersetzt, sofern es von Seiten des Gemeinderates versagt worden wäre. Die Baurechtsbehörde hatte uns bereits in den Abstimmungen mitgeteilt, dass keine Gründe für ein Versagen des baurechtlichen Einvernehmens auch aus Sicht des Baurechtsamtes ersichtlich sind.“
Seit Jahren kein Bebauungsplan für Karrischengarten
Für dieses Baugebiet, den Karrischengarten, besteht kein Bebauungsplan. Er war zwar in Arbeit, um den Einfluss des Gemeinderates auf das Baugebiet zu sichern, wurde aber über Jahre nicht abschließend beraten und verabschiedet. Als die Verwaltung den Bebauungsplan jetzt wieder auf die Tagesordnung setzte, lehnte der Gemeinderat seine Fortführung ab, da sprichwörtlich das Kind längst in den Brunnen gefallen war.
Trotz Mahnung und Fristverlängerung liefert Gemeinde keine Stellungnahme
Denn nachdem beim Baurechtsamt trotz Mahnung und Fristverlängerung keine Stellungnahme aus Sipplingen zum Bauvorhaben eingetroffen war, erteilte die Behörde am 9. September die Baugenehmigung. Ohne Bebauungsplan gilt in dem Bereich, in dem das Bauvorhaben geplant ist, Paragraf 34 des Baugesetzbuchs. Damit hat die Gemeinde nur eine eingeschränkte Möglichkeit, das geplante Bauvorhaben zu beeinflussen.
Rat verweigert sanierungsrechtliche Genehmigung und erzwingt so zeitweiligen Baustopp
Allerdings knüpfte die Baurechtsbehörde ihre Baugenehmigung an eine sanierungsrechtliche Genehmigung der Gemeinde. Diese Genehmigung verweigerte der Gemeinderat in seiner Sitzung am 18. November. Ein Beschluss, der die Baugenehmigung zwar nicht aufhebt, aber zumindest einen zeitweiligen Baustopp zur Folge hat. Die Entscheidung, ob die sanierungsrechtlichen Einwände aus Sipplingen zu berücksichtigen sind, trifft allerdings auch hier das Überlinger Baurechtsamt.
Geodaten von Regierungspräsidium und Gemeinde stimmen nicht überein
In diesem Zusammenhang kommt ein Kuriosum ins Spiel: Die beiden Grundstücke, Flurstück 35 und 38, auf denen gebaut werden soll, liegen im Sanierungsgebiet Ortskern. Die Satzung für dieses Sanierungsgebiet läuft zum Jahresende aus. Eines der Grundstücke unterliegt zudem teilweise den Bestimmungen nach Paragraf 19 Denkmalschutzgesetz. Dieser regelt, dass Gemeinden in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege Gesamtanlagen unter Denkmalschutz stellen können. Veränderungen in dieser Gesamtanlage müssen dann von der unteren Denkmalschutzbehörde genehmigt werden. Allerdings stimmen die Geodaten des Regierungspräsidiums Tübingen vom September 2016 nicht mit den Satzungsplänen der Gemeinde aus dem Jahr 1987 überein. Während in diesen Satzungsplänen das Flurstück 35 teilweise innerhalb des betroffenen Gebietes liegt, eine Genehmigung durch die untere Denkmalschutzbehörde also nötig wäre, ist es in den Plänen des Regierungspräsidiums dort ausgenommen. Das bestätigt auch die Gemeinde gegenüber dem SÜDKURIER und schreibt: „Hier befinden wir uns gerade in der Abklärung, da wir hinsichtlich des Hintergrundes der minimalen Abweichungen bislang auch keine Kenntnis haben.“

Nachbarn mussten für Haussanierung mehr Geld zahlen
Das Ehepaar Oliver und Susanne Fallier ist über die Situation verärgert. Sie sind Anrainer der Grundstücke, auf denen gebaut werden soll. Selbst hatten sie zwischen 2010 und 2012 auf Grundlage der denkmalschutzrechtlichen Vorgaben ihr Haus in der Schulstraße 5 gekauft und kernsaniert. Dabei hatten sie tiefer in die Tasche greifen müssen, um die Fassade ihres Gebäudes in Absprache mit dem Amt für Denkmalschutz in die vorhandene Dorfstruktur einzupassen und dabei Rücksicht auf das gegenüberliegende Gebäude, den Adler, zu nehmen.
Ehepaar sauer: Neubau nimmt keine Rücksicht auf Denkmalschutz
Nun soll dies plötzlich keine Gültigkeit mehr haben, denn das geplante Gebäude in der Nachbarschaft nimmt in Form und Gestalt keine Rücksicht auf den Denkmalschutz. Die Eheleute Fallier betonen im SÜDKURIER-Gespräch: „Uns geht es einfach um die Gleichbehandlung, nicht um die teils verbaute Aussicht, die müssen wir hinnehmen.“ Tatsächlich wird das geplante mehrgeschossige Gebäude den Eheleuten zum Teil den Blick nach Osten und Süden nehmen. Die Eheleute haben zunächst durch ihren Anwalt Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegen lassen und wollen nichts unversucht lassen, das Bauvorhaben in seiner jetzigen Form abzuwenden. „Unserer Meinung nach fügt sich das Gebäude in Größe und Ausgestaltung nicht in den historischen Ortskern ein und nimmt dem gegenüberliegenden Gasthaus Adler ein Stück seiner Ausstrahlung.“