Am 18. Mai 1995 endete eine jahrzehntelange Dauerbelastung für die Seegemeinden Sipplingen und Ludwigshafen: Der damalige baden-württembergische Verkehrsminister Hermann Schaufler gab den Straßenabschnitt der B 31-neu zwischen Stockach und Überlingen-Hohenlinden für den Verkehr frei.

Seit 1985 hatte sich Tag für Tag die immer weiter anschwellende Blechlawine entlang des Seeufers durch die beiden Ortschaften gequält. Ihr Ziel: die Autobahn 98, die damals abrupt bei Stockach endete. Bis zu 20.000 Fahrzeuge, nachts vor allem Lastwagen, schoben sich durch die beiden kleinen Ortschaften und raubten den Anwohnern den Schlaf.

Clemens Beirer: „Die Leute konnten am Hotel Krone einfach nicht in die Straße einbiegen und versuchten daher irgendwann, eine ...
Clemens Beirer: „Die Leute konnten am Hotel Krone einfach nicht in die Straße einbiegen und versuchten daher irgendwann, eine Lücke zu erwischen. Und manchmal hat es dann eben gekracht.“ | Bild: Holger Kleinstück

Erste-Hilfe-Station im Postgebäude für Unfälle

Clemens Beirer, heutiger Fraktionssprecher der CDU im Sipplinger Gemeinderat, erinnert sich: „Es gab Rückstaus von Ludwigshafen bis zur langen Strecke auf der Seestraße. Und es gab jede Menge Unfälle.“ Einmal, in einem Mai, hätten sich in einem Monat acht teils schwere Unfälle an der Einmündung der Rathausstraße in die Seestraße ereignet. Clemens Beirer war damals noch ein junger Mann. Er erinnert sich: „Wir hatten bei uns im Postgebäude eine Erste-Hilfe-Station. Die Leute konnten am Hotel Krone einfach nicht in die Straße einbiegen und versuchten daher irgendwann, eine Lücke zu erwischen. Und manchmal hat es dann eben gekracht.“

Am 18. Mai 1995 wurde das Teilstück der B 31-neu feierlich eröffnet. Auch der damalige baden-württembergische Verkehrsminister Hermann ...
Am 18. Mai 1995 wurde das Teilstück der B 31-neu feierlich eröffnet. Auch der damalige baden-württembergische Verkehrsminister Hermann Schaufler nahm an diesem Ereignis teil. | Bild: Archiv

Dies sei auch der Grund gewesen, dass an der Rathausstraße und an der Einbiegung Im Breitenweingarten Ampeln und Anforderungsstreifen installiert worden seien. Bis heute schalten diese nach einer gewissen Wartedauer die Zufahrt für Fahrzeuge frei, die aus den beiden Straßen auf die B 31-alt abbiegen wollen.

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Weiterführung der Autobahn scheitert am Protest Überlingens

Das im Jahr 1995 eingeweihte Teilstück der B 31-neu verläuft auf der alten, ursprünglich für die Weiterführung der Autobahn 98 festgelegten Trasse. Der Weiterbau dieser Autobahn, die 1984 bis nach Stockach gebaut worden war, sei damals am Widerstand der Überlinger gescheitert, sagt Beirer. „Die Überlinger fürchteten bei der ursprünglich für die A 98 geplanten Streckenführung über Salem und Markdorf zur Anbindung an die A 7, dass die Leute an der Stadt vorbeifahren würden. Wenn die A 98 damals wie vorgesehen gebaut worden wäre, hätten wir heute viele Probleme nicht“, glaubt er.

Mit Postkarten, die auch an Autofahrer im Stau verteilt wurden, wehrten sich die Sipplinger schon 1979 gegen die nicht enden wollenden ...
Mit Postkarten, die auch an Autofahrer im Stau verteilt wurden, wehrten sich die Sipplinger schon 1979 gegen die nicht enden wollenden Staus auf der B 31 in Sipplingen und Ludwigshafen. Erst mit der Eröffnung der B 31-neu im Jahr 1995 änderte sich das Bild. | Bild: Michael Schnurr

Aus Protest bremsten die Anwohner mit Traktoren den Verkehr

Die Sipplinger und Ludwigshafener protestierten über viele Jahre gegen die Blechlawine auf ihren Straßen. Es wurden Petitionen verfasst und Proteste auf dem Parkplatz zwischen Sipplingen und Ludwigshafen organisiert. „Auf der Bundesstraße durften wir nicht protestieren“, erzählt Beirer. Aber man sei mit Traktoren auf der Strecke unterwegs gewesen, um den Verkehr künstlich zu bremsen. „Wir haben Protestkarten gedruckt, die wir den Autofahrern, die im Stau standen, durch das Fenster gereicht und sie aufgefordert haben, diese ans Ministerium zu schicken.“

Autofreier Sonntag einmal anders: Joachim Scholz organisierte seinerzeit eine Pferdekutsche, mit der er an dem Ereignis teilnahm.
Autofreier Sonntag einmal anders: Joachim Scholz organisierte seinerzeit eine Pferdekutsche, mit der er an dem Ereignis teilnahm. | Bild: Joachim Scholz

Zur Eröffnung erster autofreier Sonntag auf der alten Route

Schließlich waren die andauernd vorgetragenen Proteste von Erfolg gekrönt und am 18. Mai 1995 wurde die B 31-neu für den Verkehr freigegeben. Die Sipplinger und Ludwigshafener feierten dies mit einer besonderen Aktion. Der Ludwigshafener Andreas Eppler erinnert sich in seinem Internet-Blog seeen.de: „1995 wurde zum ersten Mal der autofreie Sonntag ‚Natürlich Mobil‘ gefeiert. Die B 31-alt wurde von Ludwigshafen nach Überlingen in der Zeit von 10 bis 18 Uhr komplett für motorisierte Fahrzeuge gesperrt. Die Straße füllte sich mit Fußgängern, Radfahrern und Inline-Skatern. Entlang der gesamten Strecke bauten die örtlichen Vereine Stände auf, um dem Tag den ihm gebührenden Festcharakter zu verleihen.“

2022 hat sich die Verkehrslage in Sipplingen deutlich entspannt. Lediglich bei Sperrung der B 31-neu fließt noch ein endloser Strom von ...
2022 hat sich die Verkehrslage in Sipplingen deutlich entspannt. Lediglich bei Sperrung der B 31-neu fließt noch ein endloser Strom von Autos durch das Dorf. | Bild: Michael Schnurr

Die Aktion war den autofreien Sonntage nachempfunden, die 1977 wegen der damaligen Ölkrise verordnet worden waren. Eine Idee, die 1995 wieder aufgegriffen wurde. So erfolgreich, dass noch bis zum Ende der 90er Jahre mehrere „autofreien Sonntage“ im Bodenseekreis organisiert wurden. Clemens Beirer erinnert sich: „Da war viel los, die Vereine haben gewirtet und die Menschen auf der Seestraße Fußball gespielt. Die Stände fanden allerdings damals nicht so große Beachtung“, sagt Beirer schmunzelnd. „Die Leute waren lieber mobil auf dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs.“

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