800 Kilometer mit ernstem Hintergrund: Vier Flüchtlinge radeln von Berlin nach Überlingen und wollen damit auf Wohnungsnot aufmerksam machen
Nach 800 Kilometern und 14 Tagen auf dem Rad gab es kein Halten mehr. Eine kurze Begrüßung der Freunde auf dem Landungsplatz, dann rannten sie los und sprangen in den See. Diese Abkühlung hatten sich Carlos Göschel und die vier jungen Männer nach dieser Tour redlich verdient. Sie sind von Berlin mit einer dort erworbenen Rikscha und vier gesponserten Fahrrädern nach Überlingen geradelt.
Nach 800 Kilometern glücklich zurück am Landungsplatz: (von links) Ahmed, Amir, dahinter Betreuer Leo, Leo, Carlos Göschel sowie Stefanie Ehlich, Hilde Gebhard und Roland Berner von der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. Vorne steht Jamal mit seinem Rad.
| Bild: Sabine Busse
Sabine Busse
„Wir strampeln uns ab…“ lautete die Devise. Mit der Aktion wolle das Quintett auf die Wohnungsnot der vier Flüchtlinge Ahmed, Amir, Leo und Jamal hinweisen, die vor Jahren als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland kamen. Die meisten haben bis zur Volljährigkeit bei der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe gelebt. Wer danach keine eigene Wohnung findet oder finanzieren kann, rutscht in die Obdachlosigkeit. Drei von ihnen wohnen derzeit in den Reutehöfen.
Der zweite Grund, warum sie sich abstrampeln, ist ihre Suche nach Arbeit oder einem Ausbildungsplatz. Dass die vier jungen Männer das dafür nötige Durchhaltevermögen mitbringen, wollten sie auf diese Weise belegen. Jugendsozialarbeiter Carlos Göschel nennt als eines seiner kostbarsten Erlebnisse auf der Reise: „Die bedingungslose Solidarität in der Gruppe. Ich konnte mich immer auf sie verlassen!“
„Sie sollten sich in dem fremden Land willkommen fühlen.“
Carlos Göschel, Jugendsozialarbeiter
Dazu wollte Carlos Göschel ihnen ein neues Bild von Deutschland vermitteln. „Sie sollten sich in dem fremden Land willkommen fühlen“, sagt er. Das hat funktioniert. Alle vier sind glücklich, mitgefahren zu sein und strahlen, wenn sie von den vielen netten, hilfsbereiten Menschen unterwegs erzählen. Fast ehrfürchtig sprechen sie von den schönen Landschaften und der tollen Natur.
Jetzt sind es nur noch wenige Meter. Die Gruppe biegt auf den Landungsplatz ein.
| Bild: Sabine Busse
Beim Start der Tour standen nur die Hälfte der Übernachtungen fest. Den Rest organisierten sie unterwegs und bekamen so viele positive Rückmeldungen, dass sie nur eine Nacht auf einem Zeltplatz verbringen mussten. Aber es gab auch Hindernisse. Zum Beispiel als die Rikscha im Thüringer Wald eine Kilometer lange Steigung nicht schaffte. Einen Abschleppdienst konnten sie nicht bezahlen. Also rief Carlos Göschel bei dem 40 Kilometer entfernten Gastgeber für die kommende Nacht an. Der organisierte kurzerhand einen Kumpel und einen Anhänger und holte sie ab. Am Zielort war dann schon die Gulaschsuppe fertig. „Das war richtig schön!“, erinnert sich Leo.
Jamal war vor der Tour noch Fahrrad-Anfänger
Fast alle Jungs haben unterwegs Knieprobleme bekommen und Jamal war vor der Tour noch Fahrrad-Anfänger. Ahmed sorgte unterwegs für gute Laune und feuerte sie an: „Wir essen die Berge wie Salat!“ Zum Teil hieß das: Berg hoch radeln, zu Fuß wieder runter und helfen, die Rikscha zu schieben.
Das Gefährt mit dem roten Baldachin wird künftig in Überlingen für die mobile Jugendarbeit zum Einsatz kommen. „Wie wollen damit Menschen zusammenbringen“, sagt Carlos Göschel.
Leo (oben links), darunter Amir, Jamal (Mitte) und Ahmed.
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Die vier Teilnehmer und ihre Motivation
Abkühlung bei der Ankunft in Überlingen.
| Bild: Sabine Busse