Drei Gründe nannte Mezger für den Alleingang der Rebellen des Viererbunds, den es seit 1952 und in der heutigen Konstellation seit 1963 gibt: Es habe zu viele Narrentreffen gegeben, zu viele neue Zünfte und später die Angst vor einem Zusammenschluss mit dem BdK, dem Bund Deutscher Karneval, der im Oktober 1953 in Mainz als Dachverband der Deutschen Karnevals- und Fastnachtsvereine gegründet wurde.

Im Grunde seien die Narrentreffen ab 1928 eine „bahnbrechende Erfindung der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte“. Die Fastnacht sei zwar immer am schönsten am eigenen Ort. „Doch es ist ja auch mal interessant zu sehen, was die anderen so machen.“ Der Viererbund pflege dies auch, „doch in Maßen, in begrenzten Dimensionen und im gebührenden zeitlichen Abstand“. Die Zahl anderer Treffen habe exorbitant zugenommen. Inzwischen gebe es über zehn Verbände und über 1000 örtliche Narrenzünfte.

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Streitpunkt Historizität

Ein Streitpunkt zwischen den Rebellenzünften und der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) sei auch die Historizität gewesen. Das müsse man heute etwas differenzierter sehen. „Richtig ist, dass man das Alte bewahren muss“, betonte Mezger: „Richtig ist aber auch, dass es Neues geben muss und darf.“ Bräuche seien immer ambivalent, sie hätten „etwas Statisches und etwas Dynamisches“. Darin stecke Beharrung und Wandel, Tradition und Fortschritt.

Drei Fragen an Werner Mezger

„Wenn die Kräfte der Beharrung dominieren, dann wird der Brauch fossilisierte Vergangenheit und ist tot“, erklärte der Kulturwissenschaftler: „Wenn die Kräfte des Wandels dominieren, dann wird der Brauch beliebig und dann löst er sich auf.“ Das Alte zu bewahren und das Neue nicht von vornherein zu verbannen, nur diese gute Mitte erhalte die Bräuche am Leben.

Fastnachtsfiguren ähneln sich

Sein europäisches Beispiel hätte kaum passender sein können. „Sachsenheim hat Fastnachtsfiguren, die waren zuhause in Siebenbürgen, 1000 Kilometer von hier entfernt“, erläuterte Mezger. Erst durch Flucht und Vertreibung seien sie ins Ländle gekommen. „Wenn man sie anguckt und sich nicht genau auskennt, sehen sie einem Überlinger Hänsele zum Verwechseln ähnlich“, sagte Mezger.

Bild 1: Bräuche zwischen Bewahrung und Erneuerung: Teil 2 der Vortragsreihe zu 1250 Jahre Überlingen beschäftigt sich mit Viererbund und Fastnacht
Bild: Narrenzunft Überlingen

Die kurzstielige Peitsche heiße dort „Gorbatsch“. Auch der Begriff Karbatsche habe slawische Wurzeln. Für Weltoffenheit stehe auch die Geschichte des aus Friaul stammenden Franz-Xaver Marmon, der Mitte des 18. Jahrhunderts Wirt des „Roten Ochsen“ und später Narrenmeister geworden sei. „Stellen wir uns vor, der heutige Rottweiler Narrenmeister Christoph Bechtold hieße Cristofero Bectoldo und hätte eine Pizzeria. Dann wäre er heute nicht Narrenmeister.“ Europa sei also schon mal „europäischer gewesen als heute“.

Fastnacht und Karneval: Gegensätze?

„Falsch ist es, wenn man sich wertend gegen den Karneval abgrenzt“, sagte Mezger: „Das ist fast ein bisschen provinziell. Es gibt keine richtige und es gibt keine falsche Art, die närrischen Tage zu feiern.“ Es gebe nicht den Gegensatz „oberflächlich-seicht und traditionslos“, was man den Rheinländern gerne unterstelle, und „tiefgründig-bedeutsam und traditionsreich“, was man hier gerne für sich in Anspruch nehme.

Was man laut Mezger von den Kölnern lernen kann

„Rheinischer Karneval ist kein Irrtum und schon gar nicht in Köln“, betonte Mezger. „An manchen Stellen könnten wir noch etwas von Köln lernen. Vor allem, wenn es um den Bezug Karneval und Kirche geht.“ Dort sei es selbstverständlich, dass am Aschermittwoch das Festkomitee im Dom erscheine. „Da hätten wir noch Optimierungsbedarf.“