Stefan Hilser und Martin Deck

Jugendliche müssen an Themen einer Gemeinde oder einer Stadt, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligt werden. Das steht in der seit 2016 gültigen Fassung der Gemeindeordnung. Jugendliche aus Überlingen sind derzeit aktiv dabei, genau das umzusetzen. Sie fordern die Gründung eines Jugendgemeinderats und sie stoßen damit bei Oberbürgermeister Jan Zeitler auf offene Ohren.

Am Mittwoch überbrachte eine Delegation von Schülern der Überlinger Schulen dem Stadtoberhaupt im Sitzungssaal des Rathauses den Wunsch, dass sich der Gemeinderat mit der Gründung eines Jugendgemeinderats befassen möge. Stimmen die Stadträte zu, werden im nächsten Schritt die Details festgezurrt: Wie wird der Jugendgemeinderat gebildet, damit er möglichst einen Querschnitt der Jugendlichen repräsentiert? Welches Mitspracherecht hat der Jugendgemeinderat und wie kann er Einfluss auf die Stadtpolitik nehmen? Dürfen sich auch Bewohner umliegender Gemeinden beteiligen, die in Überlingen zur Schule gehen? 

Für die jungen Leute steht zunächst fest, dass ihnen ein Jugendgemeinderat mehr bringt als offenere Beteiligungsformen, die es bisher gab, beispielsweise das Jugendforum. Ihre Gewissheit und ihr Mandat beziehen die Schüler aus einem solchen Jugendforum, das vor zwei Wochen stattgefundenen hat. 64 Schüler beteiligten sich daran. Diese 64, allesamt gewählte Klassensprecher, sind von ihren Schulen zum Forum entsandt worden. Wie der Zwölftklässler Paul Harms, Schüler an der Waldorfschule, im Gespräch mit OB Jan Zeitler sagte, haben sich 85 bis 90 Prozent der am Jugendforum beteiligten Schüler für einen Jugendgemeinderat ausgesprochen.

Für Zeitler ist das Auftrag und Wunsch genug, dem Gemeinderat in seiner Klausursitzung am kommenden Wochenende mit Nachdruck darzulegen, dass er die Gründung unterstützt.

Wenn es nach dem Wunsch der Schüler geht, soll die Wahl ihrer Parlamentsvertretung noch im laufenden Schuljahr stattfinden. Am besten bis zu den Pfingstferien, wie Paul Harms sagte. Denn die jetzt bestehende Anfangsmotivation solle nicht ungenutzt bleiben.

Paul Harms und Sarah Büchele trugen dem OB den Wunsch vor, dass der Jugendgemeinderat Gewicht bekommen möge und sie innerhalb der Stadtverwaltung einen festen Ansprechpartner finden. Zeitler sagte zu, dass das Gremium im Falle seiner Gründung ein eigenes Budget verwalten dürfen. Er stelle sich weit reichende Befugnisse vor, nicht im Status eines klassischen Gemeinderats, aber ein Rede- und Antragsrecht sollten sie im Gemeinderat nach seiner Auffassung schon erhalten. Zeitler: "Ich möchte auch, dass Sie an nichtöffentlichen Sitzungen teilnehmen können." Zwar dürften sie nicht direkt am Ratstisch sitzen, das gebe die Gemeindeordnung nicht her, aber wie analog zu den Ortsvorstehern könnten auch sie sich jederzeit in die Debatte im Ratssaal einklinken. Gerade auch dann, wenn der Gemeinderat bei einem Thema gar nicht daran gedacht hatte, dass von seiner Entscheidung die Jugend direkt oder indirekt berührt ist.

Die Entscheidung, ob es einen Jugendgemeinderat geben wird oder nicht, fällt der Gemeinderat zu einem späteren Zeitpunkt in einer noch anzuberaumenden öffentlichen Sitzung. Wie Zeitler den Jugendlichen mitteilte, stehe das Thema am kommenden Wochenende auf der Agenda der gemeinderätlichen Klausursitzung, "um es taufrisch mit dem Gemeinderat zu diskutieren". Er wolle sich vom Gemeinderat "ein Stimmungsbild abholen". Paul Harms sagte auf Nachfrage des SÜDKURIER und im Beisein von Zeitler, dass er es schade findet, keinen Einfluss auf den Gemeinderat in seiner Klausursitzung nehmen zu können. Er wisse sich durch OB Zeitler aber gut vertreten. "Herr Zeitler ist uns wohlgesonnen gegenüber und wird für unser Anliegen werben". Dieser bestätigte: "Ich werde das Thema mit einer gewissen Begeisterung vortragen und werde dem Gemeinderat sagen, wie ich weiter vorgehen möchte. Die Öffentlichkeit kann dann noch ausreichend an der Diskussion teilhaben."

Vorbild Weingarten

Der erste Jugendgemeinderat (JGR) Deutschlands wurde 1985 in Weingarten bei Ravensburg gegründet. Jedes Jahr wählen die Achtklässler aller Schulen die Mitglieder, die drei bis sechs Jahre im JGR sitzen. Aktuell sind es 46 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 21 Jahren. In diesem Jahr hat das Gremium fünf Mal getagt, Sitzungsgeld bekommen die Jugendlichen nicht. "Diese Option wäre möglich gewesen, jedoch hat sich der Jugendgemeinderat geschlossen gegen eine Aufwandsentschädigung ausgesprochen", teilt die Stadt Weingarten mit. Aktuell sind im städtischen Haushalt 3000 Euro für die Arbeit des JGR vorgesehen. Die gewählten Vertreter des JGR haben ein Anhörungsrecht bei der Beratung im Gemeinderat. Zudem haben die Fraktionen einen Ansprechpartner für die Jugendlichen, um deren Anliegen in den Gemeinderat zu transportieren. Zuletzt wurden unter anderem Projekte wie ein Skatepark oder die Neugestaltung einer Unterführung durch das Jugendgremium vorangetrieben.