„Die können uns 50 Millionen bieten, wir verkaufen nicht!“ Tilo Schnekenburger steht am Ufer und ringt um Fassung. Seit Jahrzehnten bilden seine 2000 Quadratmeter Land das Herzstück einer lebendigen Wassersportgemeinschaft, dem Windsurfclub Überlingen (WSCÜ). Doch nun könnte ein Brief vom Finanzamt den Verein fundamental verändern. Denn künftig soll er fast 18.000 Euro Grundsteuer jährlich zahlen – das Zwanzigfache des bisherigen Betrags.
Der Schock kommt per Post
Ende August flatterte der Grundsteuerbescheid ins Haus. „Es war totales Entsetzen“, erinnert sich Verena Schnekenburger bei einem Vor-Ort-Besuch des SÜDKURIER. Das Grundstück gehört ihr und ihrem Mann Tilo, genutzt wird es vom Verein. Bislang bezahlte dieser lediglich 860 Euro jährlich, finanziert aus Mitgliedsbeiträgen.
Die Situation des Vereinsgeländes steht exemplarisch für zahlreiche Grundstücke am See, deren Wert sich durch die Grundsteuerreform vervielfacht hat. Die Reform wurde notwendig, nachdem das Bundesverfassungsgericht die alte Berechnungsmethode für verfassungswidrig erklärte. Diese beruhte auf veralteten Werten und führte zu Ungerechtigkeiten. Nun soll eine fairere Bewertung erfolgen. Doch besonders Eigentümer in teuren Lagen trifft sie hart. So auch die Schnekenburgers – und das, obwohl das Grundstück einem gemeinnützigen Zweck dient.
Grund am See damals unattraktiv
Rückblick ins Jahr 1973: Eine kleine Gruppe von Surf-Pionieren gründet den WSCÜ, Tilo Schnekenburger ist einer von ihnen. Er vermittelt auch das Vereinsgelände – die 2000 Quadratmeter zwischen Nussbach und Strandbad Nußdorf, die der Verein von seiner Schwiegermutter pachten konnte.
Das Grundstück war schon Jahrzehnte zuvor in Familienbesitz. Die Großmutter von Verena Schnekenburger hatte das Fleckchen Land im Winter 1931/32 für wenig Geld erworben. Zu einer Zeit, als Grundstücke am See wenig gefragt waren. „Das war Malariagebiet“, erinnert Tilo Schnekenburger. Auch wegen der Überschwemmungsgefahr, feuchtem Klima und mangelndem landwirtschaftlichen Nutzen galt das Land am Wasser damals als unattraktiv. 1996 ging das Gelände schließlich an Tilo und Verena Schnekenburger.

Verein mit langer Tradition
Heute hat der Windsurfclub über 300 Mitglieder und das Grundstück stellt nicht nur ein Zentrum für Wassersport, sondern auch eine soziale Institution. „Wir sind ein Verein, der Generationen verbindet“, sagt Verena Schnekenburger. Die Mitglieder können für erschwingliche Beiträge fast jede Art von Brettsport ausüben, die mit Wind zu tun hat – vom klassischen Windsurfen über Stand-up-Paddling bis hin zu Foil-Surfen. Kinder lernen dort schwimmen, Familien kommen zusammen, und selbst Tretboote stehen zur Verfügung.
Über die Jahrzehnte hat der WSCÜ zahlreiche Regatten und Wettkämpfe organisiert. Deutsche Meisterschaften wurden hier mehrfach ausgetragen und viele erfolgreiche Sportler stammen aus den Reihen des Vereins. Einer von ihnen, Matthias Bornhäuser, nahm 1996 an den Olympischen Spielen teil und schaffte es bis ins Goldene Buch der Stadt.

Der Boden wird zu Gold
„Uns war immer wichtig, dass unser Angebot niedrigschwellig ist“, betont Tilo Schnekenburger. Die jährlichen Mitgliedsbeiträge liegen bei 80 Euro für Einzelpersonen und 120 Euro für Familien. „Wir wollten nie elitär sein. Alle sollen den See erleben können“, so der 73-Jährige.
Genau dieser soziale Gedanke könnte jetzt in Gefahr geraten. Denn der Boden, auf dem sommers Kinder spielen und Surfbretter trocknen, ist über Nacht zu Gold geworden. Mit 2800 Euro pro Quadratmeter wurde das Land im Zuge der Reform mit einem der höchsten Bodenrichtwerte am See ausgewiesen. Daraus berechnet sich ein Gesamtwert von 9,4 Millionen Euro. „Wir sind unverhofft zu Multimillionären geworden“, sagt Schnekenburger.
Doch statt Freude über das plötzliche Vermögen überwiegt die Sorge. Denn für die Vereinsmitglieder bedeute die Steuererhebung „mindestens eine Verdopplung der Beiträge“, schätzt Marek Niemann, langjähriges Mitglied und Vorstand des WSCÜ. Ein Beitrag, der nicht für alle bezahlbar wäre. „So würden wir unseren niederschwelligen Charakter verlieren“, fürchtet der 46-Jährige.
Für die Schnekenburgers, die keine eigenen Kinder haben, ist der Verein ein Lebenswerk. „Das ist unsere Gemeinschaft, unser Traum“, erklärt Tilo Schnekenburger. Die Idee, das Grundstück zu verkaufen, schließt er kategorisch aus. „Die können uns 50 Millionen bieten, wir verkaufen nicht.“

Anwältin sieht Chancen
Doch es besteht auch Hoffnung. Frauke Förster, Fachanwältin für Steuerrecht und Familienrecht, hat den Fall auf SÜDKURIER-Nachfrage eingeordnet. „Ich verstehe die Dramatik“, so die Juristin, macht jedoch klar, dass sie ohne eine genaue Prüfung keine endgültige Empfehlung geben kann.
Andere Fälle hätten gezeigt, sagt Förster, dass eine Steuersenkung in bestimmten Fällen erreichbar sein kann. Daher rät sie den Schnekenburgers, den Bodenrichtwert durch den städtischen Gutachterausschuss überprüfen zu lassen. Für eine Gebühr von 400 Euro erstelle dieser ein individuelles Gutachten, das Details wie den Bebauungsplan einbezieht und die Bewertung des Grundstücks potenziell anpasst.
Auch eine Steuerbefreiung wegen einer Nutzung für gemeinnützige Zwecke könne der Verein prüfen. „Das Problem ist, dass dafür laut Finanzverwaltung und Rechtsprechung ein privater Eigentümer und Nutzer des Grundstücks die gleiche Person sein müssen“, sagt die Anwältin. Eine andere rechtliche Einordnung könne nur über den Rechtsweg erreicht werden, dessen Ausgang jedoch unsicher wäre.
Gutachten soll Erleichterung bringen
Damit steht für Tilo Schnekenburger und sein Team der nächste Schritt fest: Sie wollen noch in diesem Jahr den städtischen Gutachter-Ausschuss bestellen. Was sie antreibt, ist die Hoffnung auf eine Steuererleichterung. Verena Schnekenburger bringt es auf den Punkt: „Wir wollen mit dem WSCÜ hier bleiben bis zum Sankt Nimmerleinstag.“