Die Polizei geht davon aus, dass rund 1900 Menschen dem nun dritten Aufruf zu einer Samstags-Demo in Überlingen folgten. Versammlungsleiterin Ruth Meishammer überschrieb ihre Veranstaltung mit den Worten „Wir sind die rote Linie“. Start war wieder auf dem Seesportplatz.

Die Demonstration auf dem Seesportplatz

Als buntes Band durchzog der von ihr organisierte Demonstrationszug die Altstadt von Überlingen. Ihrem Aufruf folgend, wurde der Spruch „Friede, Freiheit, Demokratie“ diesmal nicht skandiert. „Einfach, weil viele das nicht verstehen, oder jeder etwas anderes darunter versteht“, begründete sie ihre Bitte. Es gebe kreativere Möglichkeiten, den Protest gegen die Coronamaßnahmen auszudrücken.

Ruth Meishammer, Versammlungsleiterin einer Demonstration gegen die Impfpflicht auf dem Seesportplatz in Überlingen.
Ruth Meishammer, Versammlungsleiterin einer Demonstration gegen die Impfpflicht auf dem Seesportplatz in Überlingen. | Bild: Hilser, Stefan

In ihrer Eröffnungsrede sagte Meishammer, dass bislang kein Vertreter der Überlinger Lokalpolitik dazu bereit sei, mit ihnen zu sprechen, „und sich unsere Anliegen zumindest anzuhören“. Sie sagte, Oberbürgermeister Jan Zeitler habe das Gespräch mit dem Argument abgelehnt, dass er die Coronapolitik des Landes nicht verantworte, und dass viele der hier Versammelten gar keine Überlinger seien.

Gegenrecherchieren ließ sich diese Aussage bislang nicht, die Stadt teilte am Freitag auf vorsorgliche Anfrage, ob sie am Samstag für eine Stellungnahme erreichbar sei, mit, dass Presseanfragen am Montag wieder gestellt werden könnten.

Meishammer wiederum sagte auf der Bühne, sie wolle Zeitler fragen, ab wie vielen Teilnehmern aus Überlingen er sich zuständig sehe. Deshalb rief sie laut ihrem Redemanuskript, das sie dem SÜDKURIER zur Verfügung stellte, die Teilnehmer aus Überlingen dazu auf, ihre Hand zu heben. Nach Schätzungen Meishammers meldeten sich drei Viertel der Besucher.

Demo am 22. Januar in Überlingen Video: Hilser, Stefan

Ein Foto von dieser Aktion liegt dem SÜDKURIER gegenwärtig nicht vor. Denn der Vertreter der Redaktion war zu diesem Zeitpunkt am Landungsplatz zugange, wo erstmals eine Gegendemo stattfand.

Die Gegendemo auf dem Landungsplatz

Nach Schätzungen von Polizei und Veranstalter versammelten sich auf dem Landungsplatz etwa 200 Personen. Eine Zahl, die von Teilnehmern der anderen Demo mittlerweile in Zweifel gezogen wurde. Diese Gegendemo wurde organisiert von einem 61-jährigen Mann aus dem Bodenseekreis, der auf Youtube einen eigenen Videokanal unter dem Pseudonym „Schlauchbootfan“ betreibt. Seinen Klarnamen gibt der 61-jährige öffentlich nicht preis, laut seiner Begründung sei er Anfeindungen und Repressalien ausgesetzt, „bis hin zu Morddrohungen“.

Der 61-jährige Veranstalter kritisierte, dass von „Coronaleugnern und -Verharmlosern“ in wissenschaftsfeindlicher Weise systematisch Verschwörungstheorien aufgebaut würden. Sie machten gezielt Stimmung gegen den Staat und gegen demokratische Strukturen.

Er nennt sich „Schlauchbootfan“ und organisierte auf dem Landungsplatz in Überlingen eine Kundgebung ggen impfkritische ...
Er nennt sich „Schlauchbootfan“ und organisierte auf dem Landungsplatz in Überlingen eine Kundgebung ggen impfkritische Demonstrationen. „Auch ich bin ein Coronakritiker“, sagte er. | Bild: Hilser, Stefan

Der Staat sei aber nun einmal dafür verantwortlich, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Hätte Deutschland als einziges Land auf der Welt keine Coronamaßnahmen ergriffen, so die Überzeugung des 61-Jährigen, würden nun die gleichen Leute gegen den Staat pöbeln und fragen, warum er nichts gemacht habe. Dass Impfungen auch Risiken bergen, bestreite niemand. Es sei aber genauso ein körperlicher Eingriff, andere anzustecken. Wer zur Impfverweigerung aufruft, stifte damit zur Gewalt an. „Das sollte unser Rechtsstaat nicht tolerieren“, sagte er. Unter dem Applaus des Publikums sagte der 61-Jährige, dass er es deplatziert, ekelerregend und verwerflich finde, wie auf den so genannten Spaziergängen permanent Bezüge zum Holocaust hergestellt würden.

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Auf die Bühne am Landungsplatz trat ein Schüler namens Jonas. Er kritisierte die Impfkritiker, die von sich behaupteten, sie seien „das Volk“. Das sei dreist angesichts des Umstands, dass mittlerweile 73 Prozent der Bevölkerung geimpft seien. Seinen Nachnamen gab Jonas nicht preis, weil gegen die, die offen ihre Meinung gegen Querdenker zum Ausdruck bringen, Morddrohungen ausgesprochen würden. Das wertete er als bedenklich im Sinne der Meinungsfreiheit, und nicht die Behauptungen auf der anderen Seite, wonach die Pressefreiheit eingeschränkt sei.

„Verdammtnochmal, lasst Euch impfen.“
Alina Pantzer, 18-Jährige Long-Covid-Patientin

Eine weitere Rede auf dem Landungsplatz hielt die 18-jährige Schülerin Alina Pantzer aus Friedrichshafen. Sie schilderte mit stockender Stimme, dass sie im Herbst 2020 mit Covid-19 infiziert wurde, infolgedessen eine Hirnhautentzündung erlitt und bis heute nicht symptomfrei sei. „Ich sehne mich danach, wieder richtig gesund zu werden“. Sei leide nicht nur an Long Covid, sondern vermisse auch ihre Oma, die vier Wochen nach ihr infiziert wurde und im Dezember 2020 an Corona verstorben sei. „Wir waren wie beste Freundinnen“. Ihre Oma sei eine von 116 000 Coronatoten bundesweit. „Das wäre nicht passiert, wenn sie sich impfen lassen hätten können.“ Sie forderte Solidarität, und sagte unter dem Applaus der Besucher: „Verdammtnochmal, lasst Euch impfen.“

Alina Pantzer aus Friedrichshafen schilderte ihre Erfahrungen mit Long Covid und rief zu Solidarität und zum Impfen auf.
Alina Pantzer aus Friedrichshafen schilderte ihre Erfahrungen mit Long Covid und rief zu Solidarität und zum Impfen auf. | Bild: Hilser, Stefan

Demozug vom Seesportplatz passiert den Landungsplatz

Als der Demonstrationszug der Coronakritiker, der von einem Polizeiauto angeführt wurde, den Landungsplatz passierte, war die Gegendemo dort bereits beendet. Die Polizei wäre für alle Fälle bereitgestanden, es kam jedoch zu keinem direkten aufeinandertreffen der beiden Lager.

Plakat auf dem Seesportplatz in Überlingen. Demonstranten nehmen die Black Lives Matter-Bewegung für sich in Anspruch, die nach ...
Plakat auf dem Seesportplatz in Überlingen. Demonstranten nehmen die Black Lives Matter-Bewegung für sich in Anspruch, die nach Gewaltexzessen gegen Schwarze gebildet wurde. | Bild: Hilser, Stefan

Zurück auf dem Seesportplatz, hielt Balduin, ein Student, der seinen Nachnamen ebenfalls nicht nennen wollte (die Begründung hierfür steht noch aus), eine Rede, in der er schilderte, wie in den Vorlesungssälen pflichtbewusst Maske getragen werde, während auf dem Campus Begegnungen ohne Maske stattfänden, worin er einen „sozialen institutionellen Zwang“ erkenne. Als „evident absurd“ bezeichnete er die Aussage von Gesundheitsminister Lauterbach, wonach auch nach einer Impfpflicht kein Zwang zur Impfung bestehe. Und er lobte den britischen Premierminister Boris Johnson für die Befreiung von der Maskenpflicht, nachdem der die Erkenntnis gewonnen habe, dass man der britischen Bevölkerung die nötige Urteilsfähigkeit zutrauen könne.

Die Philosophiestudentin Katja, auch sie nannte nur ihren Vornamen, schilderte auf der Bühne am Seesportplatz, wie sie sich bei der Wohnungssuche in Freiburg ausgegrenzt gefühlt habe, als man ihr keinen WG-Platz anbot, weil sie ungeimpft ist. Sie fühle sich umso mehr bestätigt in ihrer Studienwahl, weil sie dazu befähigt werde, „alles zu hinterfragen“.

Alles verlief friedlich: Polizisten beobachten eine Kundgebung auf dem Seesportplatz in Überlingen.
Alles verlief friedlich: Polizisten beobachten eine Kundgebung auf dem Seesportplatz in Überlingen. | Bild: Hilser, Stefan