Beethoven persönlich begrüßt die Museumsbesucher, die zum feierlichen Neustart des Stadtjubiläums ins Reichlin-von-Meldegg-Palais kommen. In Gestalt einer farbenfrohen Statue, ein Exemplar seiner „Missa solemnis“, seiner feierlichen Messe in Händen, steht der große Komponist vor dem Eingang. Er weist auf eine Ausstellung zu seinen Ehren hin, die mit der Beethoven-Sammlung der Stadt Überlingen bestückt ist und bis zum 17. Dezember parallel zur Jubiläumsausstellung läuft. Diese widmet sich „Rätseln der Geschichte“ und ist „ein Ritt durch 3000 Jahre“, wie Kulturreferent Michael Brunner bei deren Eröffnung im Rahmen des Museumsfests verspricht.

Zum Beginn der zweiten Etappe des Stadtjubiläums, das Überlingen von 2020 bis 2023 begeht, steht der runde Geburtstag der städtischen Sammlungen im Mittelpunkt. Denn vor 150 Jahren gründete man in Überlingen das „Kulturhistorische und Naturalien-Kabinett“, das eines der ersten Museen der Bodenseeregion war.
OB weckt Lust auf Stadtchronik
„Jetzt dürfen wir wieder feiern und dann machen wir das auch“, sagt OB Jan Zeitler in Anspielung auf die Corona-Pandemie, die auch das Programm des Stadtjubiläums durcheinandergebracht hatte. Der jetzt offiziell eröffnete zweite Teil mit über 100 Veranstaltungen dauert anderthalb Jahre, bis Ende 2023. Die Stadtgeschichte bilde dabei thematisch den roten Faden, betont Zeitler. Die bisherigen Vorträge hätten jeweils bis zu 300 Besucher angelockt. Für das Finale Ende nächsten Jahres kündigt der OB zwei große Veranstaltungen an: „eine spektakuläre Lichterschau“ mit Orgelbegleitung im Münster und die Buchtaufe der großen Stadtchronik, an der 19 Autoren mitwirken und die unter Federführung von Stadtarchivar Walter Liehner entsteht, dem profundesten Kenner der Stadtgeschichte.

Überlingen sei aus kulturhistorischer Sicht sowohl eine Stadt der Innovationen als auch der Altersrekorde, unterstreicht Kulturreferent Brunner. Seine Beispiele reichen von den ältesten Malereien im Bodenseeraum, die in der Goldbacher Kapelle um 840 entstanden über die älteste öffentliche Bücherei Badens, die 1832 eröffnete Leopold-Sophien-Bibliothek, bis hin zur ersten Ausstellung moderner Kunst, die in Nachkriegsdeutschland, bereits 1945 in Überlingen, stattfand.

Brunner macht Appetit auf die in der Jubiläumsausstellung thematisierten Rätsel der Geschichte, über die er noch viel mehr zu sagen hätte. Aus Zeitgründen beschränkt er sich dann aber auf einige Beispiele, so die abenteuerliche Lebensgeschichte der Titelfigur. „Sein Name: Mader. Franz Mader“, beginnt Brunner in James-Bond-Manier. Tatsächlich könnte der 1665 in Überlingen geborene Mader mit dem englischen Superagenten locker mithalten. Mader war zeitweilig Geheimsekretär und in diplomatischen Diensten, reiste bis nach Konstantinopel, Jerusalem und Kairo und brachte von dort eine Ägyptensammlung mit, die er bereits 1709 der Stadt stiftete. Darunter befand sich auch ein Mumienschädel, der tatsächlich, so wie von Mader einst geschätzt, fast 3000 Jahre alt ist, wie das Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum herausfand. Außerdem findet man in der Ausstellung auch einen „der umstrittensten Päpste der letzten 500 Jahre“ oder die Geschichte um die angebliche Päpstin Johanna und lernt Erstaunliches über die Engel am Bildrand von Raffaels „Sixtinischer Madonna“. Sie sind laut Brunner nämlich dem Müßiggang verfallen. Ganz anders als die Ausstellungsmacher, denen Zeitler ausdrücklich dankt: Brunner, seiner Mitarbeiterin Beatrice Tylla, dem Museumsteam Peter und Bozena Graubach, Stadtarchivar Walter Liehner und Claudia Vogel, Leiterin der Leopold-Sophien-Bibliothek. Außerdem bedankt sich Zeitler bei der Stiftung Hebsacker, ohne die die Ausstellung nicht hätte „in dieser Qualität realisiert werden können.“
Freudig verkündet Zeitler außerdem zwei Neuerungen für die Dauerausstellung des Museums, die durch Fördergelder ermöglicht wurden: Erstens, topmoderne Audioguides, die auf Deutsch und Englisch und in einer kindgerechten Variante durchs Museum führen und deren Inhalte man auch aufs Handy herunterladen kann. Zweitens, einen neuen Animationsfilm über historische Weinproduktion, der beim Museumsfest erstmals gezeigt wird.
Letzteres wird auch musikalisch hochkarätig begleitet: von der Konzertharfenistin Ekaterina Afanasieva, dem Klarinettisten Lajos Dudas, dem Pianisten Thomas Blaser (alle aus Überlingen) und dem Owinger Duo Dorle Ferber und Kolja Legde.
Das vollständige Programm zum Stadtjubiläum, das kontinuierlich aktualisiert wird, gibt es hier.
Komponisten-Briefe entdeckt
- Brahms: Bisher unbekannte Briefe der Komponisten Johannes Brahms und Albert Lortzing (er war auch noch Schauspieler, Sänger und Dirigent) sind die jüngsten Schätze, die man in der Überlinger Leopold-Sophien-Bibliothek entdeckte, die immer wieder für Überraschungen gut ist. So stieß man dort 2006 auf ein bis dato unbekanntes Notenblatt von Robert Schumann mit einer Widmung von seiner Frau Clara. Die jüngsten Funde habe man im Zuge der Sichtung aller losen Autographen der Handschriftensammlung zutage gefördert, so Kulturreferent Michael Brunner. Doch deren Erfassung sei nun abgeschlossen, sagte er auf die Frage, ob noch mit weiteren Entdeckungen zu rechnen sei. Die Briefe, über die man auch bereits die entsprechenden Komponistenarchive informiert habe, sind noch bis 17. Dezember im Rahmen der Beethoven-Ausstellung im Städtischen Museum zu besichtigen. Die Brahms-Autographen kamen über Leo Geyer in die Bibliothek. Er war der Bruder des Überlinger Gelehrten Julius Geyer, mit dem Brahms und Clara Schumann befreundet waren. Brahms dankt Leo Geyer in seinem Brief von 1872 für „ausgezeichnete Photografien“. Bereits 1856 war er mit Clara Schumann und Anhang nach Überlingen gereist, um Julius Geyer zu besuchen. Der damals 23-jährige Brahms beschäftigte sich in der Leopold-Sophien-Bibliothek mit deren Musikaliensammlung. Für ihn kopierte man etwa 200 Melodien aus historischen Gesangsbüchern, um als potenzielle Inspirationsquellen zu dienen. Das zweite von Brahms verfasste Schriftstück enthält eine Auflistung von musikalischen Werken von Bach bis Beethoven. Sein Zweck ist unbekannt.
- Lortzing: Er beschwert sich in seinem Brief vom 11. November 1846 an Dr. Otto Bachmann in Leipzig über den Wiener Kulturbetrieb.