Der Viererbund, der sich an diesem Wochenende vom 25. und 26. Januar 2020 nach 14 Jahren Pause wieder zum Narrentag in Überlingen trifft, gilt als idealtypischer Querschnitt durch die schwäbisch-alemannische Fasnet. 

Besonderen Anteil daran, dass die Rebellenzünfte, die sich in den 1950-er Jahren von der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte (VSAN) lossagten, eine derartige Vielfalt auf die Straße bringen können, hat Rottweil. Keine andere Stadt im südwestdeutschen Raum wartet mit mehr unterschiedlichen Figuren auf, nicht einmal die vergleichbar bedeutende Fasnet in Villingen. Die alte Zähringerstadt war einst Gründungssitz der VSAN und verabschiedete sich zusammen mit Überlingen, Rottweil und Elzach aus der VSAN, allerdings beschlossen die Oberen der Historischen Narrozunft 1584, fortan die eigenen Stadtmauern im Häs nicht mehr zu verlassen.

Volkskundeprofessor Werner Mezger, obwohl vorbelastet, weil selbst Rottweiler und aktiv im Kleidle, schreibt im „Großen Buch der schwäbisch-alemannischen Fasnet: „Die Frage, ob Villingen oder Rottweil die bedeutendste der schwäbisch-alemannischen Traditionsfasnachen habe, wird wohl nie entschieden werden können. Beide Hochburgen stehen einander an Glanz und Prachtentfaltung in nichts nach.“

Rottweiler Narrenkleider – im Barock geprägt

Rottweil ist auch ein typisches Beispiel dafür, wie die Fasnet durch die Jahrhunderte hindurch mannigfaltige Einflüsse aufnahm – bis hin zur italienischen Commedia dell‘arte und der Mode: Neben den schwäbisch-alemannischen Grundtypen tragen insbesondere Kinder gerne den Bajass, der sich vom italienischen Bajazzo ableitet.

Das Rottweiler Gschell mit seiner femininen Larve.
Das Rottweiler Gschell mit seiner femininen Larve. | Bild: Martin Baur

Die Rottweiler Narrenkleider, wie wir sie heute kennen, wurden im Barock geprägt. Als wichtigste Figuren gelten Gschell und Biß. Beides sind Weißnarren mit liebevoll handbemalten Leinenkleidern und präsentieren sich sehr ähnlich. Das Gschell ist die klassische Rottweiler Narrenfigur, er trägt eine freundlich wirkende, feminine Glattlarve. An seiner Haube sind drei Fuchsschwänze befestigt, zu ihm gehören immer sechs Glockenriemen. Beim Gschell können es bis zu acht Riemen sein. Seine Larve zeigt ein maskulines Gesicht mit bissig gefletschten Zähnen. Er trägt auf dem Kopf einen Boschen aus Hahnenfedern und nur einen Fuchsschwanz.

Der Rottweiler Biß schaut grimmig.
Der Rottweiler Biß schaut grimmig. | Bild: Holger Kleinstück

Das Fransenkleidle ist ein jüngerer Abkömmling des Gschells im Stil des Barock und Rokoko. Bis zum Zweiten Weltkrieg fast nur von Männern getragenes Kleidle, gehen seither immer mehr Frauen ins Fransenkleidle, das rundum mit vertikalen Fransen in unterschiedlichen Farben besetzt ist. Die vier Glockenriemen sind wesentlich kleiner als bei Gschell und Biß. Auf dem Kopf trägt dsa Fransenkleid eine Haube mit kleinem Dreispitz.

Ins Fransenkleid gehen gerne Rottweiler Frauen.
Ins Fransenkleid gehen gerne Rottweiler Frauen. | Bild: Martin Baur

Der von der Bewegung her spektakulärste Narr aus der Neckarstadt ist der Federahannes. Er ist die Rottweiler Spielart der Teufelsfigur, wie der Überlinger Hänsele. Er macht über seinen Stab, weite, oft beeindruckende Sprünge. Am Ende des Stabes ist ein parfümiertes Kalbsschwänzchen befestigt, mit dem der Federahannes Zuschauer neckt. Die Holzlarve ist dunkel gefasst, aus dem Unterkiefer wachsen zwei riesige Hauer.

Der Rottweiler Teufel springt hoch – dafür ist der Federahannes berühmt. Die ältesten erhaltenen Maseken des Federahannes sind ...
Der Rottweiler Teufel springt hoch – dafür ist der Federahannes berühmt. Die ältesten erhaltenen Maseken des Federahannes sind über 250 Jahre alt. | Bild: Patrick Seeger.dpa

Der Rottweiler Schantle wandelte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts vom „Schandkerl“ zum heutigen edlen Erscheinungsbild mit Gehrock oder Umhang. Seine Larve zeigt ein Männergesicht mit Falten und Warzen, er trägt Schirm und Gehstock.

Zum Schantle, der früher mal eine derbe Figur war, gehört heute ein Schirm.
Zum Schantle, der früher mal eine derbe Figur war, gehört heute ein Schirm. | Bild: Holger Kleinstück

Auch für die selteneren fasnachtlichen Tierfiguren mit Scheinreitern hält Rottweil Beispiele bereit. Einmal das Benner Rössle, von dem es neun gibt, mit seinen beiden peitschenschwingenden Treibern. Sie schlagen dem Rössle die Federn vom Kopf. Die spektakuläre Gruppe schafft bei Narrensprüngen den nötigen Platz. Ebenfalls ein Tier mit Scheinreiter ist Schiemaiers Guller, ein Einzeltypus der Rottweiler Fasnet, ebenso wie der Narrenengel, der eine Tafel trägt mit dem Leitspruch: „Niemand zu Leid, jedem zur Freud“. Er trägt die alten Reichsstadtfarben rot und weiß.

Ein Scheinreiter: Das Rottweiler Benner Rössle, hier ohne seine beiden Treiber.
Ein Scheinreiter: Das Rottweiler Benner Rössle, hier ohne seine beiden Treiber. | Bild: Martin Baur
Der Narrenengel führt in Rottweil den Narrensprung an. Später tauscht die Einzelfigur ihr Schild gegen einen Schirm.
Der Narrenengel führt in Rottweil den Narrensprung an. Später tauscht die Einzelfigur ihr Schild gegen einen Schirm. | Bild: Holger Kleinstück

Die besonders Freigiebeigen aus Oberndorf

Oberndorf, die Industriestadt am Neckar, hat eine farbenprächtige Fasnet zu bieten – mit Elementen, die sich sonst nirgendwo mehr finden. Da ist zuvorderst der Oberndorfer Hansel mit der orangefarbenen Pluderhose, dem dunkelroten Kittel, seiner Holzmaske mit Knebelbart, der Hanfperücke und dem Sonnenschirmchen. Diese im schwäbisch-alemannischen Raum einmalige Figur ist eine Verulkung der Landsknechte des 18. Jahrhunderts.

Der Oberndorfer Schantle (links) trägt Hosen und Kittel aus grobem Rupfenstoff. Der Hansel, eine Parodie auf alte Landsknechte, ist ...
Der Oberndorfer Schantle (links) trägt Hosen und Kittel aus grobem Rupfenstoff. Der Hansel, eine Parodie auf alte Landsknechte, ist einmalig im ganzen schwäbisch-alemannischen Raum. Diese Aufnahme entstand beim Narrentag 2003 in Rottweil, im Hintergrund das Schwarze Tor. | Bild: Martin Baur

Der Oberndorfer Narro soll erst nach 1786 entstanden sein und zwar nach dem Vorbild des Villinger Narro mit bunt bemalten weißen Hosen und ebensolchem Kittel aus Leinen, den Schellen und der lieblichen Holzmaske. Eine Besonderheit ist die Brezelstange, vermutlich nach dem Vorbild des „Bretzenbäck“, der damals durch die Lande zog und Brezeln, auf Stangen aufgeschichtet, verkaufte.

Einmalig ist die Brezelstange des Oberndorfer Narro.
Einmalig ist die Brezelstange des Oberndorfer Narro. | Bild: Holger Kleinstück

Der Schantle, sonst nur noch in Rottweil zu finden, entstand nach Aussage der Oberndorfer Narrenzunft um 1800. Er sei am wenigstens „verfeinert“ worden und trägt heute noch seine Hosen und seinen Kittel aus Rupfenstoff mit bunten Flecken oder Blätzle besetzt. Wie Narro und Schantle trägt auch er eine aus Lindenholz geschnitzte Maske, allerdings mit einer dominiernden Nase. Er kommt einem grinsend entgegen, grobschlächtig, und manchmal wirkt er sogar ein bisschen furchterregend. Der Schantle genießt das Privileg, zum „Aufsagen“ schon vor dem Fasnachtsdienstag auf die Straße und durch die Lokale gehen zu dürfen. Aufsagen übrigens ist das, was man am Bodensee als „Schnurre“ kennt und anderswo auch „Strähle“ heißt.

Im Korb hat der Oberndorfer Schantle seine Orangen, mit denen er die Zuschauer reichlich beschenkt.
Im Korb hat der Oberndorfer Schantle seine Orangen, mit denen er die Zuschauer reichlich beschenkt. | Bild: Holger Kleinstück

Der Polizeischantle ist eine Einzelfigur. Er trägt eine Uniform aus grobem Leinenstoff und als Zeichen der Autorität einen Säbel. Dann gibt es noch die junge Maske des Oberndorfer Bennerrössle, das nach dem Ersten Weltkrieg auftauchte. Der Scheinreiter mit ihrer Jockeybekleidung fungieren bei den Umzügen als Ordner.

Eine recht junge Maske ist das Oberndorfer Fasnetsrössle, das Bennerrössle . Ein klassische „Scheinreiter“, wie man sie aus vielen mittelalterlichen Darstellungen, etwa aus den Nürnberger Schembarthandschriften, die ab 1449 entstanden und die Fastnachtsbräuche der dortigen Metzgerszunft dokumentiert. „Schembart“ ist übrigens die Bartscheme, die uns gleich in Elzach wieder begegnet. Zurück zu den Scheinreitern, die es traditionsreich in Rottweil gibt. Auch hier , wo sie älter sind und ebenfalls Benner oder Brieler Rössle heißen, auch der Rottweiler Guller ist ein Scheinreiter. Die ersten Oberndorfer Bennerrössle nun tauchten erst nach dem Ersten Weltkrieg auf. Sie fungieren beim Narrensprung und auch bei dem Umzügen des Viererbundes als Ordnungsfiguren und halten die Zugstrecke frei. Die Rössle-Reiter sind nur zum Teil maskiert und tragen eine Jockeybekleidung.

Das Oberndorfer Bennerrössle entstand nach dem Ersten Weltkrieg. Die Scheinreitergruppe in Jockeyanzügen ordnet die Umzüge.
Das Oberndorfer Bennerrössle entstand nach dem Ersten Weltkrieg. Die Scheinreitergruppe in Jockeyanzügen ordnet die Umzüge. | Bild: Martin Baur

Die Oberndorfer Narren gelten als besonders freigiebig. Der Schantle verteilt Orangen oder Würste, der Narro Brezeln von seiner Stange und der Hansel Bonbons oder Pralinen aus seinem kleine Henkelkörbchen. Das Gabenauswerfen hat in Oberndorf gar einen eigenen Namen: „Rammeln“.

Elzach kennt zwei Figuren und sieben Maskentypen

Einer der Elzacher Narrensprüche lautet so: „Schuttig, Schuttig mit de Schäre, / mocht die alte Wieber z‘bläre. / Mocht sie wieder guet, / kauft en neie Huet.“ Und tatsächlich gelten die Narren aus dem Schwarzwaldstädtchen, die mit der Saubloter oder eben der Streckschere ihren Schabernack mit den Zuschauern treiben, oft als wilde Gesellen. Und selbst arbeiten sie bisweilen gerne an diesem Ruf. Indes dürften daran genauso die teils gespenstischen Masken ihren Anteil haben, die man in Elzach „Larven“ nennt und deren Vielfalt dort das Brauchtum stark prägt.

Der Elzacher Schuttig trägt ein unifarbenes feuerroten Zottelgewand mit grünem Halstuch. An der Elz spricht man weder seealemannisch von Häs noch schwäbisch von Kleidlespricht man weder seealemannisch von Häs noch schwäbisch von – der Schuttig trägt einen „Anzug“, weil er vorne geknüpft wird. Die Kopfbedeckung stammt aus dem Barock: Der aus Stroh kunstvoll geflochtene Dreispitz wird verkehrt herum getragen, er ist besetzt mit Schneckenhäuschen und wird gekrönt von drei roten Wollbollen. Der Namen leitet sich vom „Schauertag“ ab, mundartlich „Schurtig“. Noch im 18. Jahrhundert nannte man so den Aschermittwoch, der früher als Fasnachtstag galt. Aus „Schurtigsnarr“ verschliff sich mundartlich der „Schuttignarr“. Zum festen Attribut des Schuttig gehört die „S(a)ubloter“, die Schweinsblase am biegsamen, geflochtenen „Farrenstock“. Für Seealemannen: „Hageschwanz“. Die Streckschere sieht man seltener.

Ein roter Elzacher Schuttig, der mit Schneckenhüsli besetzte Dreizack trägt Wollbollen. Diese Larve ist vom Typ „Fratz“.
Ein roter Elzacher Schuttig, der mit Schneckenhüsli besetzte Dreizack trägt Wollbollen. Diese Larve ist vom Typ „Fratz“. | Bild: Rolf Haid,dpa

Bei der zweiten Elzacher Narrengestalt, dem Rägemolli, handelt es sich weder um einen Ur-Schuttig, noch um eine Neuerfindung, sondern um den „ärmeren Bruder“ des Schuttig – erklärt die Narrenzunft Elzach. Ebenso wie dieser trägt er Larve und Dreispitz, der allerdings mit Papierbollen besetzt ist – wie man hört, seien sie aus den alten Schulheften des Maskenträgers geschnitten. Der Leinenanzug des Rägemolli ist mit schwarzen Punkten und Symbolen bemalt: Eule, Fledermaus, Sonne und Mond. Der Rägemolli war im 19. Jahrhundert eine in Elzach noch verbreitete Narrengestalt, Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch ausgestorben. Ab den 1960-er Jahren wiederbelebt, erfreut er sich wachsender Beliebtheit. Als Attribute führt er Besen oder Fuhrmannspeitsche, „Geißle“ genannt, mit sich. Den Namen „Rägemolli“, im Dialekt für „Regenmolch“, Feuersalamander, erhielt die Figur aufgrund ihres gepunkteten Gewandes.

Früh übt sich: Ein großer Rägemolli mit Narrensamen beim Narrentag 2006 in Überlingen.
Früh übt sich: Ein großer Rägemolli mit Narrensamen beim Narrentag 2006 in Überlingen. | Bild: Hilger Kleinstück

Weil der Schuttig niemals öffentlich aufdeckt, haben die Elzacher Lokale „Schuttigzimmer“. Damit sie nicht erkannt werden, wechseln viele Schuttig mehrmals täglich ihre Larven. In Elzach werden die geschnitzten Holzlarven in sieben Hauptgruppen eingeteilt. Die Gfrießer mit Bären- und Fuchsgfrießen. Dann dir Langnasen in fahler Bemalung und die Lätsche, deren Mundpartie besonders ausgeprägt ist. Weiß oder fleischfarben bemalt sind die Mundle, die noch Anfang des 20. Jahrhunderts das Bild dominierten. Grotesk, aber meist freundlich die Gesichtszüge des in ungezählten Variationen vorhandenen Fratz. Stark vertreten sind auch die Bart- oder Wildmännerlarven, die den Wilden Mann als Sagengestalt aufgreifen. Und schließlich die Teufelslarven. Sie finden sich in den unterschiedlichsten Ausformungen – und es gibt einen pechschwarzen Teufel als Einzelfigur mit Dreizack, dem beim Tanz um die lodernde Schuttigpfanne (am Narrentag beim Nachtumzug, Samstag, 25. Januar, 19 Uhr, Hofstatt) eine besondere Funktion zukommt. Da es sich beim Rägemolli um eine alte Gestalt handelt, trägt er die erst nach der Reform von 1911 aufgekommenen Larventypen Fratz, Teufel und Bart nicht.

Eine Larve vom Typ „Gfriß“.
Eine Larve vom Typ „Gfriß“. | Bild: Martin Baur

Die geschnitzten Holzlarven werden in Elzach sieben Hauptgruppen eingeteilt. Die Gfrießer mit Bären- und Fuchsgfrießen. Dann dir Langnasen in fahler Bemalung und die Lätsche, deren Mundpartie besonders ausgeprägt ist. Weiß oder fleischfarben bemalt sind die Mundle, die noch Anfang des 20. Jahrhunderts das Bild dominierten. Grotesk, aber meist freundlich die Gesichtszüge des in ungezählten Variationen vorhandenen Fratz. Stark vertreten sind auch die „Bart- oder Wildmännerlarven“, die den Wilden Mann als Sagengestalt aufgreifen. Und schließlich die Teufelslarven. Sie finden sich in den unterschiedlichsten Ausformungen – und es gibt
es einen pechschwarzen Teufel als Einzelfigur mit Dreizack, diesem Teufelsschuttig kommt eine Leitfunktion zu.

Der Rägemolli trägt einen bemalten Leinenanzug, seinen Dreispitze schmücken Papierbollen. Dieser verbirgt sich hinter einer ...
Der Rägemolli trägt einen bemalten Leinenanzug, seinen Dreispitze schmücken Papierbollen. Dieser verbirgt sich hinter einer Langnasenlarve. Im Hintergrund links der Teufelsschuttig. | Bild: Martin Baur
Der Rägemolli vorne trägt eine Larve vom Typ „Mundle“, der Schuttig rechts dahinter ein „Gfriß“.
Der Rägemolli vorne trägt eine Larve vom Typ „Mundle“, der Schuttig rechts dahinter ein „Gfriß“. | Bild: Martin Baur

Volkskundeprofessor Werner Mezger bezeichnet den Schuttig indes insgesamt als „teufelsnahe Figur“. Somit tradieren gerade die wilden Gesellen mit den Larven des Leibhaftigen, die beim Tanz um die lodernde Schuttigpfanne tatsächlich direkt der Hölle entsprungen scheinen (am Narrentag beim Nachtumzug, Samstag, 25. Januar, 19 Uhr, Hofstatt), die Wurzeln der Fasnet.

Ein Schuttig mit Teufelsmaske.
Ein Schuttig mit Teufelsmaske. | Bild: Martin Baur
Eine Elzacher Bart- oder Wildmännerlarve.
Eine Elzacher Bart- oder Wildmännerlarve. | Bild: Martin Baur

Der Narr als Gottesleugner und der Teufel wurden im ausgehenden Mittelalter zunehmend bedeutungsgleich. Wie der Überlinger Hänsele verbinden sich im Schuttig aber nicht nur Narr und Teufel, beide stehen auch für den Tod als Lohn aller Narrheit: Aus dem Jahr 1670 wird berichtet, dass der Elzacher Schultheiß Georg Heberle „allerhand Faßnacht Spill und Dotten Däntz“ veranstaltet habe. Das findet seine Entsprechung in einer besonderen Larve, dem „Dotegfrieß“. Dieser gruselige, leichenblasse Schädel wurde in seiner jetzigen Form allerdings erst im 20. Jahrhundert geschnitzt. Übrigens: Da es sich beim Rägemolli um eine alte Gestalt handelt, trägt er die erst nach der Elzacher Fastnachtsreform von 1911 aufgekommenen Larventypen Fratz, Teufel und Bart nicht.

Die Elzacher Einzellarve „Dotegfrß“, hier in einer Ausstellung beim Narrentag 2013 in Elzach.
Die Elzacher Einzellarve „Dotegfrß“, hier in einer Ausstellung beim Narrentag 2013 in Elzach. | Bild: Martin Baur

Überlinger Hänsele, der freundlichen Teufel

Dass der Viererbund einen derartigen Querschnitt durch die schwäbisch-alemannische Fastnacht bietet, liegt auch an der räumlichen Verteilung der Städte. Da ist Rottweil am Neckar, die ehemals freie Reichsstadt mit ihrer ungewöhnlichen Kleidle- und Maskenvielfalt, vom Barock geprägt und mit Schwerpunkt auf bemalten Weißnarrenkleidern. Fastnachtsprofessor Werner Mezger, selbst Rottweiler, schreibt: „Die Frage, ob Villingen oder Rottweil die bedeutendste der schwäbisch-alemannischen Traditionsfasnachen hat, wird wohl nie entschieden werden können.“ Ebenfalls vom Neckar dann Oberndorf mit drei Kleidletypen, darunter der einmalige Hansel als Landsknechtkarikatur. Und Elzach kommt eine ganz eigene Schwarzwälder Fasnet mit einmaligen Maskenreichtum.

Mit seiner zwischen drei und fünf Meter langen geflochtenen Hanfpeitsche, der Karbatsche, weiß der Überlinger Hänsele virtuos für ...
Mit seiner zwischen drei und fünf Meter langen geflochtenen Hanfpeitsche, der Karbatsche, weiß der Überlinger Hänsele virtuos für Geräusch zu sorgen. | Bild: Dirk Diestel

Und dann der Überlinger Hänsele als klassisches Fleckleshäs aus dem seealemannischen Raum. Seine Ursprünge als Teufelsfigur füllen Bände an volkskundlicher Literatur. 1430 erstmals urkundlich erwähnt, darf er sich auf eine der ältesten Fastnachtsordnungen in ganz Süddeutschland berufen, datierbar in die Zeit zwischen 1496 und 1518. Darin ist vom „tewfel häs“ die Rede, einem Kostüm, mit dem unterm Jahr den Menschen bei kirchlichen Spielen der Leibhaftige vorgeführt wurde und das man auch an der Fastnacht trug. Und wenn der Hänsele beim Schwerttanz während des Gottesdienstes gegen die Wandlung anschnellt (beim Narrentag am Sonntag, 26. Januar, 9 Uhr), dann ist dies ein einmaliges Echo der mittelalterliche Narrenidee, die Gottesleugner, Teufel und Tod in sich vereinigt.

Heute freilich, im Selbstverständnis von Narren- und Hänselezunft, ist der Hänsele eine noble Figur, der den Zuschauern beim Umzug oder beim Schnurren im Gasthaus mit Noblesse begegnet. Seine Wurzeln als Teufel merkt man diesem freundlichen, gebenden Narr kaum noch an. Und sein Häs unterliegt strengsten Regeln: Drei Reihen schwarze Filzfransen, dann eine in der Farbfolge rot-grün-gelb-blau. Drunter weißes Hemd und schwarze Krawatte. Pailletten bringen das Häs zum Blinken. Dann die kleinen Glocken, die sich bei Umzügen hundertfach mit Karbatschenknall zu einer einmaligen Fastnachtsmusik mischt. Und eigentlich deckt er seine Kappe mit dem parfümierten Samtrüssel auch nie ab.

Die Überlinger Narreneltern Wolfgang Lechler (links) und Thomas Pross tanzen Walzer beim Narrentag 2013 in Elzach.
Die Überlinger Narreneltern Wolfgang Lechler (links) und Thomas Pross tanzen Walzer beim Narrentag 2013 in Elzach. | Bild: Baur, Martin

Als einzige Viererbundstadt kennt Überlingen die Narreneltern, die hier als Einzelfiguren an der Fasnet in der Kutsche wie auch im Verein als Vorsitzende vorangehen. Narrenvater und Narrenmutter – dargestellt von zwei Männern – kennt man vorwiegend im Bodenseeraum, sie sind quasi die Oberhäupter der närrischen Familie. Die Narrenmutter, sie parallelisiert in der verkehrten Welt die Urmutter Eva, findet sich ab dem späten Mittelalter immer wieder auf Darstellungen. Berühmt ist der „Ambraser Teller“, zu besichtigen in der Wunderkammer von Schloss Ambras bei Innsbruck, er zeigt eine Narrenutter mit sieben Söhnen. Wobei sich der Kreis zu Rottweil schließt. Dort heißt ein Narrenspruch, den man auch andernorts im schwäbisch-alemannischen Raum kennt: „Narro, siebe Sih,
siebe Sih sind Narro gsi.“