Mit einem Freispruch endete vor dem Amtsgericht Überlingen die Verhandlung gegen einen 37-Jährigen wegen Körperverletzung. Der Beschuldigte soll laut Anklage im Dezember 2023 vor einer Tankstelle an der Lippertsreuter Straße einem 29-Jährigen mit einem Faustschlag ins Gesicht den Kiefer gebrochen haben. Nicht zuletzt die widersprüchlichen Angaben des Opfers führten dazu, dass das Gericht dem Antrag der Verteidigung folgte.
Stress schon in den Tagen zuvor
Was genau am frühen Morgen jenes Donnerstags gegen 1.30 Uhr vor der Tankstelle geschehen ist, blieb trotz gut drei Stunden Verhandlung und sechs Zeugenaussagen im Dunkeln. Der Angeklagte war Teil einer Gruppe alkoholisierter Männer, die die Tankstelle aufsuchten, um Bier und Zigaretten zu kaufen.
Auf dem Tankstellengelände trafen sie den 29-Jährigen, ebenfalls angetrunken, der mit einem Mitglied dieser Gruppe schon in den Tagen zuvor in eine Auseinandersetzung verwickelt gewesen war. Gegenseitige Anfeindungen schaukelten sich hoch. Es kam zu einem Gerangel, einer „Schubserei“, wie der Angeklagte einräumte. Diese „Schubserei“ eskalierte.
Operation am gebrochenen Kiefer
Der herbeigerufenen Polizei präsentierte sich das 29-jährige Opfer wenig später mit blutender Lippe, wackelnden Zähnen und, wie sich im Überlinger Krankenhaus herausstellte, doppelt gebrochenem Unterkiefer. Nach einer Operation in Konstanz habe er 14 Wochen lang nicht essen können, erklärte er jetzt im Gericht. Ernährt habe er sich vor allem von Brühe.
Wer ihm den Faustschlag versetzt hat, weiß er nicht. Der Schlag sei von hinten gekommen, ihm sei schwarz vor Augen geworden. Dritte hätten ihm berichtet, es sei der Angeklagte gewesen. Das Opfer erzählte dem Gericht von einem weiteren Faustschlag und überdies vom gescheiterten Versuch, ihm nahe der Tankstelle mit einem Fahrradschloss einen Schwinger zu versetzen. Auffällig: Im Lauf des 14-monatigen Verfahrens war bis dahin nie von einem Schlag mit einem Fahrradschloss die Rede gewesen.
Verschiedene Versionen vor Gericht präsentiert
Die nächtlichen Begleiter des Angeklagten hatten als Zeugen vor Gericht wenig Erhellendes beizutragen. Das Gericht hörte verschiedene Versionen des Geschehens, aber keine Hinweise darauf, wer geschlagen hat, wie oft und womit. Den Geschädigten stellten die Zeugen als stadtbekannt und notorisch aggressiv dar.
Auch die Videoüberwachung der Tankstelle war keine Hilfe. Nach der Zeugenaussage des Polizisten, der in jener Nacht vor Ort war, hat nur der Mitarbeiter der Tankstelle die Aufnahmen vom Geschehen gesehen. Nach dessen Einschätzung sei darauf nichts Relevantes zu erkennen gewesen. Die Polizei hat keinen Zugriff auf die Bilder, da sie wegen eines „technischen Problems“ nicht aufgezeichnet worden seien.
Die Staatsanwältin sah trotzdem einen klaren Fall. Das Opfer habe den Hergang der Tat „glaubwürdig und detailreich“ beschrieben. Aus den Beschreibungen von Opfer und Zeugen, leitete sie ab, dass der Beschuldigte der Täter sein muss. Sie hielt dessen Schuld für nachgewiesen – und forderte eine Strafe von 150 Tagessätzen zu 50 Euro für den strafrechtlich nicht unbescholtenen Angeklagten.
Im Zweifel für den Angeklagten
Verteidiger Franz Dichgans plädierte auf Freispruch. Das Gericht habe „verschiedenste Geschichten“ gehört und ein „buntes Bild“ gezeichnet bekommen. Anhaltspunkte, dass sein Mandant dem Geschädigten einen Faustschlag versetzt hat, habe die Verhandlung nicht erbracht.
Dem schloss sich Richter Alexander von Kennel an. Sicher ist nach seiner Einschätzung nur, dass es mindestens einen Faustschlag gegeben hat. „Massive Ungereimtheiten“ hätten die Aussage des Opfers entwertet. Aufgrund „erheblicher Zweifel“ an der Schuld des Angeklagten entschied er sich für den Freispruch.