Am Ende der Verhandlung am Amtsgericht Konstanz wird ein ehemaliger Oberkellner wegen gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und der Rückzahlung des entstandenen Schadens verurteilt. Die Staatsanwaltschaft Konstanz wirft ihm vor, an 720 Arbeitstagen zusammengerechnet 113.469,20 Euro durch geschickte Umbuchungen veruntreut zu haben. Anstoß für die Ermittlungen sei ein Streit gewesen.
Ein Streit brachte alles ins Rollen
Dieser ereignete sich zwei Tage vor der Kündigung des Oberkellners. Laut dem Angeklagten hatten an diesem Tag zwei Kellner frei, worüber er sich beim Betriebsleiter beschwerte. Als daraufhin eine der betroffenen Kellnerinnen ins Lokal gerufen wurde, soll sie ihm im Streit vorgeworfen haben: „Du tippst doch sowieso deine Bestellungen nicht in die Kasse!“
Später soll sie auch die Thekenkraft des Betrugs beschuldigt haben, wie diese im Zeugenstand angibt. Geschockt von den Vorwürfen spricht die Thekenmitarbeiterin den Angeklagten per Kurznachrichtendienst Whatsapp darauf an. Er antwortet mit einer Sprachnachricht, die im Saal abgespielt wird: „Sag am besten nichts!“
Als auf Drängen der Kellnerin tatsächlich Unstimmigkeiten im Kassensystem gefunden werden, sei der Betriebsleiter darüber geschockt gewesen. Rückblickend meint er: „Ich konnte mir das gar nicht vorstellen, wir haben zehn Jahre zusammengearbeitet.“ Für die Auffälligkeiten soll der Oberkellner damals keine Erklärung gehabt haben. Gegen die Kündigung legte der Beschuldigte später Klage beim Arbeitsgericht Konstanz ein.
So soll der Kassenbetrug funktioniert haben
Im Zentrum der Anschuldigungen stehen die zahlreichen Umbuchungen des Angeklagten. Der ehemalige Restaurantleiter erklärt, dass solche Umbuchungen in der Gastronomie üblich seien – etwa, wenn eine Gruppe nach der Bestellung den Platz wechselt. Laut einem Experten, dessen Unternehmen das Kassensystem des Lokals betreute, habe der Angeklagte aber auffällig viele Umbuchungen vorgenommen. Genauer gesagt: Siebenmal so viele wie seine Kollegen. Das sagt er vor Gericht.
Nach der Auswertung des Kassensystems wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor, dass er mithilfe eines ausgeklügelten Umbuchungssystems abkassierte Speisen und Getränke verheimlicht haben soll. Konkret bedeutet das: Wenn ein Kunde beispielsweise ein Radler bestellt und anschließend bezahlt, habe der Kellner die Bestellung in seinem Kassensystem nicht abgeschlossen, wie das eigentlich der Fall sein sollte.
Stattdessen habe er, sobald der nächste Kunde ein Radler wollte, einfach auf die noch offene Bestellung zurückgegriffen und sie erneut abkassiert. Während das Lokal so nur von einer Bestellung und einem Radler ausging, habe der Beschuldigte mehrere Radler ausgeben und den zusätzlichen Geldbetrag in die eigene Tasche stecken können.
Oberkellner hat eine andere Erklärung
Die Krux an dem Vorwurf: Pro bestelltem Radler soll an der Bar nur ein Bon herausgekommen sein. Der Kassenexperte erläutert, dass die darüber hinaus benötigten Bestellungen deshalb per Zuruf an das Personal gegangen sein müssen, etwa mit der Aussage „Ihr habt ein Radler vergessen!“
Die ehemaligen Mitarbeiter können im Zeugenstand aber keine überdurchschnittliche Häufigkeit von Zurufen bestätigen. Die mutmaßlich vertuschten Speisen und Getränke seien auch im Lagerbestand nicht aufgefallen, wie der Geschäftsführer angibt.
Um die Vorwürfe gegen den Beschuldigten aus der Welt zu räumen, liest der Anwalt zu Beginn der Verhandlung eine vorbereitete Erklärung vor: Die Anschuldigungen gegen seinen Mandanten seien nur ein Vorwand gewesen, um ihn zu entlassen. Er habe durch langjährige Erfahrung mehr Geld als die Saisonkräfte verdient und Kenntnisse von rechtswidrigen Vorgängen des Lokals, der hauseigenen Bar und anderer Gasthäuser des Betreibers gehabt. Mit der Anzeige wolle man ihn einschüchtern.
Die vielen Umbuchungen seien laut dem Beschuldigten ein Nebenprodukt seiner effizienten Arbeitsweise gewesen, die er auch so mit dem Betriebsleiter abgesprochen habe. Der Verteidiger liest vor: „Nach dem Vorzeigen einer Zwischenrechnung verschob er Speisen auf einen anderen Tisch, um sich den Weg zurück zur Kasse zu sparen. In einer ruhigen Minute versorgte er dann die Bons, wobei keinerlei abkassierten Speisen und Getränke verloren gingen.“
Es gibt Zweifel an dieser Darstellung
Als dem Kassenexperten diese Darstellung vorgelegt wird, meint er: „Ein Knopfdruck genügt, um Bestellungen abzuschließen. So viele Umbuchungen ergeben keinen Sinn.“ Eher sei das Gegenteil der Fall: „Bei einer Kasse voller offener Tische verliert man den Überblick.“ Das Argument, sich den Weg zur Kasse zu sparen, ist laut der Staatsanwältin ebenso unsinnig, wenn die Kunden ohnehin keinen Beleg verlangten.
Der Rechtsanwalt hält dagegen, dass es die Aufgabe des Kellners gewesen sei, die Bons nach dem Druckvorgang zu versorgen. Er fügt hinzu: „Kein Zeuge konnte hier sagen, dass der Beschuldigte über Jahre hinweg nach fehlenden Speisen und Getränken gefragt hat. Es hat keine Auffälligkeiten im Lager gegeben, dabei müsste der Diebstahl bei 113 Umbuchungen pro Tag doch offenkundig sein!“
Wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in 720 Fällen fordert die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten sowie die Einziehung des entstandenen Schadens in Höhe von 113.469,20 Euro. Die Schadenssumme ergibt sich aus der Anzahl der Umbuchungen und dem durchschnittlichen Wert der veruntreuten Beträge.
Das Urteil wird angefochten
Nachdem der Anwalt des Angeklagten auf eine milde Strafe plädiert hat, bekommt dieser das letzte Wort. Konsterniert sagt er: „Ich hätte mal lieber einen Gang zurückgeschaltet, wenn ich gewusst hätte, dass das alles so endet. Ich bin unschuldig.“
Verurteilt wird der ehemalige Oberkellner zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Außerdem muss er den entstandenen Schaden bezahlen. Da nicht an jedem Tag Umbuchungen festzustellen waren, wird ihm der gewerbsmäßige Diebstahl von 576 Fällen zur Last gelegt. Der Richter meint: „Wenn man die hohe kriminelle Energie und den Gesamtschaden betrachtet, ist eine Bewährungsstrafe zu wenig.“
Sowohl die Staatsanwältin als auch der Verteidiger des Angeklagten haben inzwischen Berufung gegen das Urteil eingelegt, wie Amtsgerichtsdirektor Franz Klaiber auf Nachfrage bestätigt.