Guter Rat ist oft teuer. Überlingen bekommt ihn demnächst gratis, wenn Experten auf Kosten des Landes mit der Verwaltung und den Bürgern die Verkehrswege von Fußgängern in der Stadt unter die Lupe nehmen. Auf die Suche nach Defiziten und möglichen Verbesserungen dürfen sich 15 Städte und Gemeinden machen, die Verkehrsminister Winfried Hermann am Mittwoch bekannt gab.

Überlingen setzt sich auf Anhieb mit seiner Bewerbung durch

59 Kommunen hatten sich beworben, manche schon zum wiederholten Mal – wie Sigmaringen, das jetzt im fünften Anlauf zum Zuge kam. Überlingen schaffte es schneller und wurde auf Anhieb für den Fußgängercheck ausgewählt. Unter anderem aufgrund der besonderen Situation durch die mittelalterliche Altstadt. Von den hier gefundenen Lösungen und Verbesserungen erhoffe man sich auch eine gewisse Strahlkraft für andere Kommunen mit ähnlichen Problemen, sagte Staatssekretärin Elke Zimmer. Friedrichshafen und Konstanz haben diesen Check schon hinter sich.

Ziel: Fairness und gerechte Verteilung der Flächen

Zu Fuß gehen sei im Grunde die erste Fortbewegungsart des Menschen, erklärte Verkehrsminister Winfried Hermann in seiner Begrüßung zur Online-Pressekonferenz. Das Defizit bei Fußwegen sei unabhängig von der Größe einer Stadt: „Je kleiner die Gemeinde, desto weniger wird oft zu Fuß gegangen.“ Den Fußverkehr gezielt in den Fokus zu nehmen, nannte der Minister einen Paradigmenwechsel. „Das ist nicht gegen das Auto gerichtet. Es geht lediglich um Fairness und eine gerechte Verteilung der Flächen.“

Bürger sollen partnerschaftlich am Prozess beteiligt werden

Ganz wichtig sei ihm eine partnerschaftliche Beteiligung der Bürger, gab der Verkehrsminister den Kommunen mit auf den Weg. „Damit am Ende auch etwas rauskommt.“

In Überlingen gibt es viel zu tun und zu verbessern, was die Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer hier angeht. Beteiligungsprozesse gab es bereits einige. An deren Aufwand und Dauer gemessen, war das Ergebnis bis jetzt eher bescheiden.

Überlingen lädt in seine Fußgängerzone ein. Das Verkehrsministerium gab den Kommunen mit auf den Weg, dass die Bürger partnerschaftlich ...
Überlingen lädt in seine Fußgängerzone ein. Das Verkehrsministerium gab den Kommunen mit auf den Weg, dass die Bürger partnerschaftlich in den Prozess des Fußverkehr-Checks eingebunden werden sollen. | Bild: Hanspeter Walter

Größte Konkurrenz zwischen Fußgängern und Radfahrern

Nutzungskonflikte gebe es zuhauf, erklärte Moderator Michael Frehn von der Planersocietät für integrierte Stadtentwicklung und Verkehrskonzepte, die den Prozess begleiten wird. Bisweilen seien es parkende Autos, bisweilen Bäume auf dem Gehweg oder Parkscheinautomaten, die Fußgängern den Platz streitig machten. Die größten Gegner der Fußgänger seien inzwischen oft die Fahrradfahrer, da beide im Grunde ähnlich tickten und miteinander konkurrierten. In erster Linie gehe es um eine allgemeine Sensibilisierung für die Belange der Fußgänger, um eine Bewusstseinsbildung für den Fußverkehr bei Politik, Verwaltung und Bürgern und um die Entwicklung einer „Geh-Kultur“. Ziel sei es, am Ende attraktive und zugleich sichere Fußwege zu erhalten.

Überlingen will bessere Aufenthaltsqualität und Barrierefreiheit

Mit dem Wunsch nach Verbesserung von Aufenthaltsqualität und Barrierefreiheit habe sich Überlingen beworben, sagte Staatssekretärin Elke Zimmer. Insbesondere die Fokussierung auf die Altstadt habe die Jury überzeugt, von wo sich möglicherweise Lösungen auf andere Städte übertragen ließen.

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Baubürgermeister nennt Topografie und viele Treppen ein „schweres Pfund“

Einen „sonnigen Gruß“ schickte Bürgermeister Matthias Längin bei der Pressekonferenz ins Ländle und lud gleich mal alle zur Landesgartenschau ein. An einer Luftaufnahme zeigte Längin die Problematik Überlingens mit einer „heterogenen Topografie“ mit vielen fußläufige Verbindungen, die oft als Treppen ausgebildet seien. Hinsichtlich der Barrierefreiheit nannte er dies ein “schweres Pfund“. Gerade dafür erhoffe er sich einen Input, wie man damit umgehen könne. Als Alleinstellungsmerkmal nannte Matthias Längin den Stadtgraben, der für Fußgänger schon jetzt eine konfliktfreie Nutzung biete und auf kurzen Wegen zu vielen innerstädtischen Zielen führe. Der Planersocietät versprach Längin: „Das wird erfahrungsgemäß ein spannender Prozess mit unseren Bürgern.“

Parkende Autos, Verkehrsschilder und Werbeaufsteller: Die Behinderungen für Fußgänger haben viele Gesichter. Wie soll hier ein ...
Parkende Autos, Verkehrsschilder und Werbeaufsteller: Die Behinderungen für Fußgänger haben viele Gesichter. Wie soll hier ein Kinderwagen oder Rollstuhl durchkommen? | Bild: Hanspeter Walter

Workshops, Begehungen und konkrete Vorschläge zur Umsetzung

Zum standardisierten Ablauf gehören ein Auftaktworkshop, zwei Begehungen der Stadt, ein Abschlussworkshop und eine Vorstellung des Ergebnisses in den Gremien. Hinzu kommen speziell auf die jeweilige Kommune abgestimmte Inhalte wie besondere Handlungsfelder, konkrete Untersuchungsgebiete und Zielgruppen.

Abgeordneter Martin Hahn wünscht versteckten Gässchen eine breitere Nutzung

„Überlingen kann das gut gebrauchen“, findet auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Hahn. „Als Kurort und Mekka der Erholung für Touristen und Einheimische ist das möglichst ungehinderte Laufen zu Fuß hier von immenser Bedeutung.“ Das Besondere an Überlingen sei, sagt der ehemalige Stadtrat, dass „es viele versteckte Gässchen für die Fußgänger gibt, denen ich eine breitere Nutzung wünsche. Deshalb freue ich mich sehr über diese Auswahl!“