Die Tour de Lauro ist vorbei. 1400 Kilometer mit dem Rennrad von Überlingen nach Lauro bei Neapel liegen hinter den Siebtklässlern der Freien Waldorfschule – einschließlich einer Alpenüberquerung. Nun sind sie zurück im Schulalltag. Nach so viel Belastung, Erlebnissen und zweieinhalb Wochen Alltag zwischen Fahrrad, Hitze und Zelt beschreibt der 13-jährige Bruno Speer seine erste Woche zurück an der Schule rundheraus als „langweilig“. Das kommt nicht von ungefähr.
Körperliche und emotionale Erfahrung
Organisator und Betreuer Silvio Markewitz fasst die Tour im Gespräch mit dem SÜDKURIER so zusammen: „Es ist nicht nur eine körperliche Erfahrung, es ist auch eine emotionale Erfahrung.“ Die zweieinhalb Wochen vergehen ihm zufolge wie in einer Parallelwelt: „Man ist währenddessen wie in einer Blase, man weiß nicht, welcher Wochentag ist“, schildert er. „Die große Vorfreude, endlich dort anzukommen, begleitet alle“, sagt Markewitz. Er hat die Fahrt nun viermal absolviert. „Ohne Ziel wäre es nicht möglich, so eine Tour zu machen.“

Das bestätigen die Schüler. Das Ziel treibt sie an. Speer beschreibt die Ankunft im Rückblick: „Es fällt eine große Anspannung von einem ab. Es ist krass: In zwei Wochen bin ich mit dem Fahrrad über die Alpen nach Lauro gefahren.“ Bis dahin wollen sie sich keine Blöße geben, wollen die ganze Tour fahren.
Wegen eines Neurodermitis-Schubs fuhr Bruno Speer beispielsweise eine Etappe mit dem Auto, erzählt er. Weil er seine Haut kühlen musste, konnte er nicht Fahrrad fahren. Auf die Autofahrt hätte er gern verzichtet. Seine Mitschülerin Henriette Krumm erklärt: „Du willst die ganze Tour schaffen und nicht 100 Kilometer im Auto sitzen.“ Gut gelaunt ergänzt Speer: „Doof ist erst ab zwei Etappen im Auto.“

Weinend in der Wiese
Bei elf Etappen und einer Fahrt quer über die Alpen und durch Italien kommt es natürlich auch vor, dass die Schüler ihre Belastungsgrenze erreichen. Bruno Speer berichtet zum Beispiel: „Ich habe mich einfach nur ins Gras gelegt und geweint.“ Er spricht hier von Tränen der Erleichterung.
Die hunderten Kilometer vorher saßen ihm in den Knochen und in den Muskeln. Dazu meldet sich sein Asthma. „Ich habe keine Luft mehr bekommen und konnte nicht mehr“, erzählt der Siebtklässler. Doch um dem gemeinsamen Ziel Lauro näherzukommen, wollte er noch diesen Berg überwinden, diesen Berg irgendwo in der Toskana, während ihm und den anderen 60 Schülern die Sonne auf den Rücken brannte. Das Begleitauto war keine Option.

Auf ihrem Weg von Überlingen nach Süditalien setzt den Schülern und ihren Betreuern vor allem die Hitze zu. Folgt man ihren Erzählungen, müssen Schatten und Brunnen Lebensgeistern geglichen haben. An einer Ampel anzuhalten, das bedeutete immer sich ballende Hitze, beschreibt etwa Henriette Krumm. Ein Abschnitt ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: „Es ging bergab, doch wegen der Hitze und des Windes hatten wir das Gefühl, es ginge bergauf.“
Kolonnen wechseln durch
Damit im Sozialgefüge ebenfalls immer ein frischer Wind weht, wechseln die Kolonnenkonstellationen durch, erklärt Begleiter Silvio Markewitz: „Sie sollen in den Austausch gehen, dass sie sich kennenlernen und über den Tellerrand hinausschauen und nicht nur mit ihren engsten Freunden zusammenfahren.“ Jedes Mal aufs Neue ist er beeindruckt von den Leistungen der Siebtklässler: „Jedes Kind hat Mut gezeigt, eine große Ausdauer. Jeden Tag aufs Neue, nicht nur beim Fahren, auch beim Camp-Aufbau, beim Spülen, beim Küchendienst.“ Und auch nach mehrmaliger Teilnahme hält er fest: „Routine entwickelt sich nicht, Erfahrung vielleicht.“ Doch mit immer anderen Schülern verlaufe auch jede Tour immer anders.
Endlich am Ziel
Schließlich kam sie, die große Erleichterung: Unter dem Klang der Kirchenglocken radeln die Schüler über den Dorfplatz von Lauro. „Tour de Lauro“ rufen sie, Tränen fließen, die Schüler liegen sich in den Armen, glückliche Gesichter. So schildert es Silvio Markewitz.

Eine staubedingt 18-stündige Rückfahrt trennt die Schüler nach einem letzten Ruhetag von ihrer Heimkehr. In Frickingen setzten sie sich ein letztes Mal aufs Fahrrad. Die kurze Etappe spüren sie kaum, berichten die Schüler. So radeln sie am Busrondell ihrer Schule ein, wo sie gestartet sind. Wo ihre Eltern sie damals verabschiedeten, nehmen sie sie diesmal in Empfang.

Tage später strahlen die Schüler immer noch, wenn sie von ihrer Rückkehr berichten. Als Bruno Speer nach 17 Tagen auf Reisen und ohne Kontakt nach Hause mit den anderen zurückkehrt, habe seine Mutter geweint, erzählt er. Henriette Krumm sagt: „Meine Mama hat auch geweint“, ihre Freundin Livia Santana bestätigt lächelnd: „Ich habe sie gehört.“ Überhaupt flossen viele Tränen bei der Rückkehr, schildern die Schüler. Freude über die Rückkehr, gepaart mit Stolz und Erleichterung. Bei Speer habe es sogar noch eine kleine Feier zur Rückkehr des Sprösslings gegeben. Nicht unbedingt zu seiner Freude, wie er berichtet: „Ich wollte eigentlich nur schlafen.“
Über sich selbst hinauswachsen
Henriette Krumm sagt nach der Tour: „Man lernt viel daraus, wie weit man es im Leben bringen kann.“ Denn darum geht es bei der Tour de Lauro, sagt Silvio Markewitz, über sich selbst hinauszuwachsen. Und eben das nimmt die 13-Jährige auch aus der zurückliegenden Tour mit. Im September will sie am Bodenseeradmarathon teilnehmen. Wenn sie heute mit dem Fahrrad zur Schule fährt, falle es ihr leicht wie noch nie, erzählt sie.