„Überlingen ist heute ein großes Zirkuszelt und wird nicht nur heute, sondern auch in Zukunft Flagge zeigen“, ruft der Überlinger Bürgermeister Thomas Kölschbach bei der Kundgebung zum 3. Überlinger Christophers Street Day (CSD) am Samstag. Im Hintergrund weht am Fahnenmast neben der badischen, deutschen, Schweizer und Österreicher Fahne nun auch die Regenbogenflagge. Damit spielt Kölschbach auf die Worte von Friedrich Merz an. Auf die Frage, ob zum Berliner CSD eine Regenbogenflagge am Bundestag gehisst werden sollte, meinte Merz in einem Interview in der Talkshow „Maischberger“, dass der Bundestag „kein Zirkuszelt“ sei.
Es geht um „Würde“, sagt Organisator Dennis Michels
Zum dritten Mal zogen Demonstrierende durch die Überlinger Innenstadt, um ein Zeichen für Toleranz, Vielfalt und Sichtbarkeit für die LGBTQIA+-Community zu zeigen. „Er soll uns eine Inspiration geben, weiterhin für das zu kämpfen, was jedes Lebewesen auf dieser Welt verdient: Würde“, so beschreibt Dennis Michels, einer der Organisatoren der Veranstaltung, das Ziel der Veranstaltung. Laut dem „LSVD+ – Verband Queere Vielfalt“ wird Homosexualität noch in 64 Ländern strafrechtlich verfolgt, in zwölf Ländern drohe für Schwule, Lesben und queere Menschen sogar die Todesstrafe. Mit bunter Bekleidung, Flaggen in allen verschiedenen Farben und lauter Musik marschieren die Demonstrierenden durch die Überlinger Innenstadt – dieses Jahr ohne Gegendemo.
„Noch viel Diskriminierung“
Kit Schacht, 14 Jahre, geht noch zur Schule und läuft zum ersten Mal beim CSD mit. Schacht ist nicht-binär und hält in der Hand eine gelb-weiß-lila-schwarze Flagge, die diese Identität symbolisiert. „Nicht-binär“ ist ein Begriff, der eine Geschlechtsidentität beschreibt, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich definiert. Kit läuft beim CSD mit, „weil es zu mir dazugehört und ich Teil der LGBTQIA+- Community bin“. Die Stimmung beim Überlinger CSD sei laut Schacht „genial“. Kit erzählt über seinen Schulalltag: Kits Schule zeigt unter anderem in Form von Regenbogenflaggen die Verbundenheit mit der LGBTQIA+-Community. „Für mich persönlich ist an der Schule noch aber sehr viel Diskriminierung gegenüber Teilen der Community“, schildert Schacht. Als Beispiel nennt Kit unter anderem andere Schülerinnen und Schüler, die mutwillig die aufgehängten Regenbogenflaggen zerstören oder abhängen.

Weite Anreise
Auch Anja Pein läuft am Samstag zum ersten Mal beim CSD mit. Pein arbeitet in der Behindertenhilfe und ist aus Hülben in der Schwäbischen Alb angereist, um an dem CSD teilzunehmen und um eine Freundin aus Überlingen zu besuchen. Die Hülbenerin besucht die Demonstration hauptsächlich aus politischen Gründen. „Weil ich letztendlich denke, dass jeder doch im demokratischen Freiheitsstaat leben und machen können, was er will, solange es nicht die Grenzen von anderen überschneidet“, sagt Pein. Die Behindertenhelferin will mit ihrer Teilnahme an der Demo für Inklusion in der Gesellschaft einstehen – denn auch behinderte Menschen können queer sein. „Und das ist in weiten Teilen schon auch noch ein Tabuthema“, erzählt Anja Pein.

Schulleiterin für Toleranz
Anja Neumaier ist Schulleiterin der Franz-Sales-Wocheler-Schule und läuft beim Überlinger CSD. Sie möchte mit ihrer Schule ein Zeichen für Vielfalt setzen. „Ich glaube, das steht jeder Schule in diesem Land wohl zu Gesicht“, erklärt Neumaier. Schulen haben einen demokratischen Bildungsauftrag, der alle Menschen integrieren solle, erklärt die Schulleiterin. „Deshalb darf ich dafür eintreten“, sagt Neumaier.
Vielfalt wird im Curriculum der Franz-Sales-Wocheler-Schule großgeschrieben, wie die Schulleiterin erläutert. „Es ist wichtig, dass die Kinder erfahren, dass die Demokratie ihnen erlaubt, ihre Religion und ihren Lebensstil zu leben“, sagt sie abschließend.