Die Ehrfurcht im Angesicht der Ahnengalerie ist ihnen anzumerken: Kurz nach ihrer Wahl als neue Überlinger Narreneltern betrachten Stefan Mayer und Achim Friesenhagen in der Zunftstube die Bilder ihrer Vorgänger – und sie ahnen, dass ihnen ein geschichtsträchtiges Amt bevorsteht.

Stehen vor einer Aufgabe mit großer Tradition: Stefan Mayer (links) und Achim Friesenhagen betrachten die Ahnengalerie in der Zunftstube.
Stehen vor einer Aufgabe mit großer Tradition: Stefan Mayer (links) und Achim Friesenhagen betrachten die Ahnengalerie in der Zunftstube. | Bild: Hilser, Stefan

Auf dem ältesten Bild von 1875 legt Narrenvater Alexander Lauterwasser der damaligen Narrenmutter Ludwig Stefan freundschaftlich die Hand auf die Schultern. Die Bilder wirken steif.

Das älteste Foto aus der Ahnengalerie in der Zunftstube stammt von 1875.
Das älteste Foto aus der Ahnengalerie in der Zunftstube stammt von 1875. | Bild: Hilser, Stefan

Heutzutage geht so ein Fotoshooting etwas kecker über die Bühne: Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Narreneltern – im Pressetermin mit dem SÜDKURIER – legt der neue Narrenvater der Narrenmutter die Hand auf den Bauch und fragt unter schallendem Gelächter: „Spürt man schon was?“

„Spürt man schon was?“
„Spürt man schon was?“ | Bild: Hilser, Stefan

Um im Bild zu bleiben: Mit dem Gedanken, neue Narrenmutter von Überlingen zu werden, ging Stefan Mayer lange schwanger. Nie ernsthaft, eher mit ablehnender Haltung. Doch habe er immer das Bewusstsein verspürt, dass die Überlinger Fastnacht etwas Besonderes ist.

„Wir müssen etwas machen, um das Besondere zu bewahren.“
Stefan Mayer, frisch gewählte Narrenmutter

In der Überlinger Fastnacht wuchs Stefan Mayer auf, in ihr fühlte er sich wohl mit dem, was er bisher an Aufgaben übernommen hatte. Narrenrat, Akteur beim Narrenkonzert, Schnurrand. Eigentlich nichts, was er aufgeben wollte, um größere Ämter anzusteuern. Die anderen bedrängten ihn, er müsse das machen. „Aus dem ‚ich mach‘ das auf keinen Fall, weil es mir doch so wunderbar geht‘ entstand das Bewusstsein: Wir müssen etwas machen, um das Besondere zu bewahren.“

Wurden längere Zeit als künftige Narreneltern gehandelt: Stefan Mayer (links) und Jens Fräntzki, hier beim Narrenkonzert 2018.
Wurden längere Zeit als künftige Narreneltern gehandelt: Stefan Mayer (links) und Jens Fräntzki, hier beim Narrenkonzert 2018. | Bild: Hilser, Stefan

Mayer über die Überlinger Fastnacht

„Das ist viel mehr als eine Après-Ski-Party. Mich fasziniert die über 500-jährige Geschichte, keine Fastnacht ohne Kirche.“ Stefan Mayer: „Es ist jetzt unsere Aufgabe, den Leuten beizubringen, dass wir hier kein Oktoberfest mit Lederhosen veranstalten.“ Er denke an das ganze „Spiel Drumrum“, an die Verbindung mit anderen Vereinen wie Trachten und Schwerttanzkompanie. „Das ist ein Zahnradsystem von Überlingen, bei dem eines ins andere greift.“

Designierte Narrenmutter auf Partnersuche

Fehlte noch ein passender Partner an seiner Seite. Jens Fräntzki, mit dem Mayer regelmäßig als Duo im Narrenkonzert auftrat, winkte ab. Der Sohn der früheren Narrenmutter Heinz-Peter Fräntzki will sich weiter auf seine Rolle als Leiter des Narrenkonzerts konzentrieren. Als Mayer dann im Juni 2021 quasi um die Hand von Narrenrat Achim Friesenhagen anhielt, dachten beide eher an einen Scherz. „Jaja, mach‘ mal“, habe er ihm geantwortet, so Friesenhagen. Mayer: „Ich habe ihm gesagt: Das wär‘ doch was, und aus diesem Spaß ist immer mehr geworden.“

Sie erinnern sich noch genau an Ort und Zeitpunkt ihrer ersten Annäherung: Schulstraße, Fußballspiel in einer Kneipe nebenan geschaut. „Es war das einzige Spiel bei der Fußball-EM, bei dem Deutschland gewonnen hat“, erinnert sich Friesenhagen und zeigt ein Foto auf seinem Handy, auf dem die Bierseligkeit erkennbar ist.

Auf seinem Handy verewigt: der Tag, an dem Stefan Mayer um Friesenhagens Hand als Narrenvater anhielt.
Auf seinem Handy verewigt: der Tag, an dem Stefan Mayer um Friesenhagens Hand als Narrenvater anhielt. | Bild: Hilser, Stefan

Das ganze Jahr Fastnacht

Für die Narrenchefs beginnen die Vorbereitungen auf die nächste Fastnacht schon kurz nach Aschermittwoch. „An das Boot, das wir für die nächste Küchlinfahrt zur Mainau benötigen, darf man nicht erst im Dezember denken“, nennt Friesenhagen ein Beispiel für die Fülle an Aufgaben. Sie seien zwar die Führungskräfte in einem neu gebildeten Leitungsteam, hätten die Aufgabe aber nur unter der Maßgabe übernommen, dass die Arbeiten auf viele Schultern verteilt werden, so Mayer. Der Umstand, dass ihnen die bisherigen Narreneltern Wolfgang Lechler und Thomas Pross mit Rat und Tat zur Seite stünden, habe die Entscheidung für das Amt erleichtert.

Die Narrenräte wählten Friesenhagen und Mayer am 25. April mit über 95 Prozent der Stimmen. Mayer: „Das gibt mir Kraft.“ Und mit Blick auf die Ahnengalerie sagte Achim Friesenhagen: „Jetzt müssen wir erst mal etwas schaffen, damit sie uns dann auch hier aufhängen.“

Wer sind die neuen Narreneltern?

  • Stefan Mayer ist 47 Jahre alt. Der Büchsenmacher-Werkzeugmachermeister führt ein Waffengeschäft in Überlingen, nebenberuflich ist er als Reservist in der Waffenkammer bei der Bundeswehr in Pfullendorf beschäftigt. Zwischenjahre in seiner Jugend im Überlinger Teilort Bambergen brachten ihm den Spitznamen „Kuckuck“ ein, nach der dortigen Narrenfigur. Er ist Ur-Überlinger und des Seealemannischen mächtig, er sagt aber: „Ich kenne Leute, die sind erst seit ein paar Jahren in Überlingen, aber schon so Feuer und Flamme für diese Sache und für das Städtle – andere leben seit Generationen hier und haben kein Interesse daran. Nicht die Zeit zählt, sondern ob es aus dem Herzen kommt.“
Achim Friesenhagen absolvierte große Auftritte beim Narrenkonzert und beim Dorferschoppen, hier in seiner Paraderolle als Horst Schlämmer.
Achim Friesenhagen absolvierte große Auftritte beim Narrenkonzert und beim Dorferschoppen, hier in seiner Paraderolle als Horst Schlämmer. | Bild: Hilser, Stefan
  • Achim Friesenhagen ist 36 Jahre alt. Wie Mayer wurde auch er in Überlingen geboren. Er steckte erstmals als Fünfjähriger und seither immer im Hänselehäs. Nach einem Maschinenbau-Studium wechselte Friesenhagen in die Überlinger Kanzlei Daub, in der er seit 2009 als Europäischer Patentanwalt arbeitet. Seine Mutter ist Überlingerin, sein Vater kam mit 15 Jahren aus Köln an den Bodensee. Seine Oma gab ihm eine gute Portion „Kölsche Krat“ mit ins Leben. So nennt man die Südstadt-, also Ur-Kölner. Sein Opa stand in Köln in der Bütt. Doch habe er den Karneval in seinem Leben kein einziges Mal der Überlinger Fastnacht vorgezogen. „Fastnacht ist Heimat. In der heutigen Zeit ist es vielleicht wichtiger denn je, dass man einen Ankerpunkt hat.“
Der Viererbund: Überlinger Hänsele, Rottweiler Federahannes, Elzacher Schuttig und Oberndorfer Hansel.
Der Viererbund: Überlinger Hänsele, Rottweiler Federahannes, Elzacher Schuttig und Oberndorfer Hansel. | Bild: Hilser, Stefan

Er sei „relativ Hochdeutsch“ aufgewachsen, er verstehe den Überlinger Dialekt, versuche sich aber nicht krampfhaft an ihm. „Dafür fehlt mir das Vokabular.“ Ob das ein Problem für den neuen Narrenvater sei? „Nein, dann hätten sie mich ja nicht gewählt.“ Dazu sagt die Narrenmutter: „Ein Tröpfchen Kölscher Blut trifft die geballte Macht des Überlinger Allefanz.“

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