Bonndorf – Noch ein paar Minuten sind es bis 14 Uhr 11, hier wird sich gleich etwas Großes bewegen. Das bestätigt mir sogleich Hubert Rendler, Urgestein der Pflumeschlucker-Zunft. „Sie haben das Privileg, über den höchsten Feiertag in Bonndorf berichten zu dürfen“, klopft er mir auf die Schulter. Wir stehen in gespannter Erwartung am alten Bahnhof in Bonndorf, wo sich schon Hunderte Hästräger versammelt haben. Hubert Rendler hat heute eine besondere Aufgabe: Er gibt für den Reporter den Fremdenführer bei allen Fragen rund um die Fasnet. Einen besseren Berater hätte ich kaum finden können. Rendler gehört schon seit 1979 zu den Pflumeschluckern.
Er ist außerdem zuständig für die Sicherheit des Stammen. Für einen Neuling wie mich ist das ein schlichter Baumstamm auf Rädern, gezogen von zwei Pferden. Auf ihm sitzt rittlings der elfköpfige Narrenrat, der so zum Rathaus gebracht wird. Dort sollen die Narren dem Bürgermeister die Macht entreißen. Wenn alles gut geht. 22 Meter misst der Stammen, hat mir Narrenvater Clemens Podeswa vorher verraten, „so hat man früher Holz aus dem Wald geholt“. Damit das Gefährt um die Ecken kommt, hat es eine Hinterradlenkung, die gern mit einem Pflug verwechselt wird. Um diese hintere Deichsel, Schwicker genannt, kümmert sich Robert Peter, der den verantwortungsvollen und gar nicht so ungefährlichen Job schon seit 15 Jahren übernimmt.
Der Stammen rollt ganz am Ende des Zugs, vorn aber spielt die Narrenmusik. Dahinter hüpfen Hästräger. Das heißt: „Die hüpfen nicht, ‚gumpen‘ nennen wir das“, verbessert mich Hubert Rendler. Pardon. Die Hästräger beherrschen ihren Schritt perfekt und gumpen synchron. Heute sei jeder auf der Straße, der ein Häs besitzt, hat mir zuvor schon der Narrenvater berichtet. Das sind offensichtlich Hunderte. Mindestens noch einmal die gleiche Zahl Menschen säumt die Straßen, viele bunt verkleidet. Narri, rufen die Narrenräte vom Stammen, Narro, rufen die Gäste zurück, unter ihnen auch Vertreterinnen der Bonndorfer Schlosshexen. Stimmung prächtig, auch das Wetter spielt mit, nachdem der völlig verregnete Vormittag wahrscheinlich jeden Spaß am Narrensprung verdorben hätte.
Weit sind wir noch nicht gelaufen, da stoppt der Zug wieder. Das ehemalige Gasthaus „Germania“, erläutert mir Hubert Rendler, seit jeher die erste Station auf dem Zug, an der die Machtübernahme der Narren verkündet wird. Das übernimmt Narrenrat Norbert Maier, und ich bin überrascht, dass ich jedes Wort seiner Ansage verstehe: „Das Narrenrecht hat begonnen“, verkündet Maier, „wir haben die Herrschaft übernommen“. Hubert Rendler erläutert: „Vor einigen Jahren haben wir von Alemannisch auf Hochdeutsch ungestellt. Es kommen immer so viele Gäste von auswärts, die würden sonst ja kein Wort verstehen“, zwinkert er mir zu. So bekomme selbst ich mit, dass ich am Abend mein Hemd richten sollte – „für den Hemdglunker-Umzug“, ergänzt Hubert Rendler. Die gleiche Ansage folgt noch zwei weitere Male, bevor der Zug am Rathaus ankommt – zunächst am Seniorenheim, wo Marco Johner verkündet, dass nunmehr die Narren zuständig seien für Notschlachtungen und Streitigkeiten. Ein dritter Stopp erfolgt am „‘s Käle Eck“, da weiß selbst Urgestein Rendler nicht mehr, was der Name bedeutet.
Am Rathaus angekommen, stürmen die Narren das Tor. Auf dem Balkon steht schon Bürgermeister Marlon Jost in roter Uniform und winkt, während auf einem Balkon gegenüber das Bonndorfer Hansele befestigt wird. Kaum widerwillig übergibt Marlon Jost auf dem Rathausbalkon die Macht in Form eines Schlüssels an Clemens Podeswa. „Jetzt ist euer Bürgermeister nur noch ein Narr“, verkündet der Narrenvater der jubelnden Menge. Alles gut gegangen. Mir bleibt nur noch, mich bei Hubert Rendler zu bedanken. Nächstes Jahr weiß ich gut Bescheid über das närrische Treiben in Bonndorf.