Die Besucher des zweiten Abschlusskonzertes des Görwihler Kultursommers haben einen Hörgenuss erlebt, wie es ihn auf dem Wald zuvor wohl noch nie gegeben hat. Nicht nur, dass allein das Vorhaben, alle Violin-Solosonaten und -partiten von Johann Sebastian Bach in einem Konzert aufzuführen, als spektakulär gelten kann. Nicht nur, dass der Solist, Geiger Mark Johnston, die in Gruppen zu je drei mal zwei mit zwei Zwischenpausen geteilten Werke auswendig spielte. Diese Interpretationen wären eines namhaften Konzertsaales und eines entsprechend gewaltigen Publikums würdig gewesen.
Mark Johnston hat den Sonaten und Partiten Bachs Leben eingehaucht, er spielte sie mit einer Konzentration, Perfektion und Subtilität, die ihresgleichen sucht. Johnston bezeichnete die Werkgruppe als „das Alte Testament auf der Geige“, dem er als das Neue Testament die Capricen Paganinis gegenüberstellen würde.
Johnston verlieh jedem Werk eine eigene Persönlichkeit, obwohl der Aufbau der Sonaten und das Grundschema der Partiten gleich ist. Mit behutsam eingesetzten Freiheiten im Tempo machte er die ersten, langsamen Sätze der Sonaten zu musikalischen Kostbarkeiten, sodass deren feingliedrige Akkordbrechungen Raum zur Entfaltung erhielten, zwischen denen die verbindenden Läufe luftig geschwungene Brücken bildeten. Vor allem in der Sonate C-Dur, BWV 1005, intensivierte er zugleich in Wellenbewegungen fortschreitend den Bogenstrich, um als perfekte Schlusswirkung den Satz plötzlich wie im Nichts verschwinden zu lassen.
Den komplexen polyphonen Strukturen der Fugen gab Johnston mit dem ersten Themeneinsatz eine federnde Leichtigkeit, dass man vergaß, dass die Geige als Melodieinstrument zur Darstellung einer solchen Komplexität enormer technischer Finesse bedarf. Den dritten Sätzen verlieh Johnston einen fast meditativen Charakter und verstärkte so den Kontrast zu den schnellen vierten Sätzen, die er in einem furiosen Tempo und mit äußerster Präzision wiedergab, wobei er etwa bei der zweiten Sonate ganz nebenbei noch aparte Echowirkungen einbezog.
Die Partiten, im Grunde aus den vier Tanzsätzen Allemande, Courante, Sarabande und Gigue aufgebaut, hat Bach selbst schon jeweils mit einer Besonderheit versehen. So beginnt er die Partita E-Dur, BWV 1006, mit einem virtuosen Preludio und setzt an vorletzter Stelle eine Bourée. In der Partita in d-Moll, BWV 1004 hat er den üblichen vier Sätzen eine Chaconne hinzugefügt, und gerade in dieser Chaconne scheint der gesamte Geigenkosmos vereinigt zu sein. Hatte Johnston die sequenzierenden Motivfolgen aus deren Allemande mit zart gehauchtem Bogenstrich gespielt und im Kontrast dazu die folgende Courante mit Akzenten und hüpfenden Staccati ausgestattet, so wirkte die Sarabande mit ihren langgezogenen, lastenden, im Pianissimo verlöschenden Klängen wie mit Feinschliff behandelt. Wieselflink, mit einer immer wieder aufblitzenden fröhlichen Melodie, die virtuos weitergesponnen wird, kam die Gigue daher. Die Chaconne aber mit ihren markanten, akkordgesättigten Abstrichen und der immensen Spannweite von meditativ bis aufbrausend ließ dies alles vollkommen vergessen.
Tosender Applaus und stehende Ovationen der Konzertbesucher in der gut gefüllten Görwihler Pfarrkirche lösten diesen letzten Programmpunkt ab. Auch nach gut zwei Stunden hatten die Zuhörer noch nicht genug. So gewährte ihnen Mark Johnston noch eine kurze Zugabe – diesmal auf dem Klavier.