Erzingen Seit sieben Jahrzehnten steht sie weit oben in den Erzinger Weinbergen und überblickt den Klettgau. Ihr markantes Zwiebeltürmchen ist weithin sichtbar. Besonders für viele Erzinger bedeutet sie Heimat, die für die Kriegsgeneration mit schweren Erinnerungen, mit dem Leid und der Not in den Kriegsjahren verbunden ist. Sie ist ein Mahnmal gegen den Krieg, dessen Ursprünge auf ein Gelübde zurückführen sind. Am 31. Mai 1945 dokumentierten 142 Erzinger Bürger mit ihrer Unterschrift ihren Schwur, eine Kapelle zu erbauen, wenn der Kelch der Evakuierung durch die Besatzungsmacht am Dorf vorbeigeht.

Das Nachkriegsjahr 1945 ruft bei den noch lebenden Erzingern, die diese Zeit hautnah erlebten, die schweren Besatzungsjahre in Erinnerung. In Süddeutschland, in unserer Region, rückte die französische Armee ein, die Angst über deren Rache an der Bevölkerung dürfte mehr als verständlich sein.

Erzingen wurde am 28. April 1945 von den Franzosen besetzt, die in vier Lastwagen, von Waldshut kommend, anrückten. Wenige Wochen zuvor hatten bereits französische Spähwagen das Rathaus erreicht. Dort hatte Ratsschreiber Albert Zölle die abgelieferten Waffen abzugeben. Diese erste Vorhut der Besatzungsmacht zog sich daraufhin vorerst wieder in Richtung Waldshut zurück. Mit ihrer Rückkehr nur wenige Wochen später wurden die französischen Soldaten im Schulhaus, in den beiden Gasthäusern „Löwen“ und „Hirschen“ einquartiert. Es folgten Beschlagnahmungen, Requirierungen, die Demontage von Maschinen in den hiesigen Industriebetrieben wie in der Seidenweberei Stehli oder der Maschinenfabrik Bucher; beide Fabriken gehen auf Gründungen Schweizer Unternehmer zurück, deren Einfluss noch von großer Bedeutung sein sollte.

Deren Direktoren, der Erzinger Ratsschreiber Zölle, dem viele Rückkehrer der Wehrmacht ihr Leben zu verdanken beziehungsweise durch ihn von Kriegsgefangenschaft verschont geblieben sind, sowie der Erzinger Pfarrer Deisler – sie alle sollten noch eine entscheidende Rolle während der französischen Besatzung spielen.

Von einem schweren Zwischenfall unter der französischen Besatzung berichtet der frühere Bürgermeister Hermann Stoll, der sich auf die Aufzeichnungen des Pfarrers Deisler und auf die Kirchenakten beruft. Danach soll ein Erzinger Bürger beim abendlichen Einholen der Trikolore gelacht haben und sei daraufhin von einem französischen Sergeanten erschossen worden.

Über all diesem Leid und Not kam im Mai der Befehl des Alliierten Oberkommandos zur Evakuierung der Bevölkerung in einem fünf Kilometer breiten Streifen entlang der Schweizer Grenze. Während die Einwohner des Jestetter Zipfels ihre Habseligkeiten packen und ihre Häuser am 15. Mai verlassen mussten, ging dieses Damoklesschwert an Erzingen und den Nachbardörfern vorbei. Stehli-Fabrikdirektor Suter ließ seine Beziehungen zum apostolischen Nuntius Bernardi in Bern spielen, der wiederum Nuntius Roncalli in Frankreich, den späteren Papst Johannes den XXIII., um Hilfe bat, was dazu führte, dass die Bevölkerung südlich der Wutach auf Anweisung des Generalstabs der I. Französischen Armee von der Evakuierung ausgenommen wurde.

Diese Nachricht verbreitete sich in Windeseile, die Erleichterung der Dorfbewohner dürfte schier greifbar gewesen sein. Aus Dankbarkeit legten Erzinger Familien auf den Tag genau am 31. Mai 1945 das Gelübde ab, eine Kapelle zu bauen, die an die schlimmen Zeiten des Zweiten Weltkrieges erinnern sollte. Trotz der vorherrschenden großen Not, dem großen Mangel an allem Lebensnotwendigen schafften es die Erzinger, diese kleine Kapelle zu bauen und sie zwei Jahre später an Pfingsten 1947 einzuweihen. Am Samstag, 31. Mai, 19 Uhr, gedenkt man mit in einer Maiandacht bei der Bergkapelle an diesen historischen Tag.