Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie spricht im Interview über Warnsignale, Therapie und Auslöser einer Depression, sowie die Besonderheiten einer Angststörung.
Depression und Angststörung: Welche Zusammenhänge zwischen diese beiden Krankheitsbildern gibt es? Zunächst muss man zwischen der Depression und der Angststörung unterscheiden, da es sich grundsätzlich um zwei verschiedene Erkrankungen handelt. Menschen mit einer klassischen Angststörung, beispielsweise vor Hunden, Menschenmengen oder Ähnlichem, können im Laufe der Erkrankung depressiv werden. Dann gibt es natürlich Ängste, die im Rahmen einer Depression auftreten. Inwieweit spielt Vererbung eine Rolle? Theoretisch kann eine psychische Erkrankung jeden treffen. Aber es ist eine Kombination aus Veranlagung und der Stärke des Problems im Zusammenspiel mit der höchst individuellen Toleranz. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass 30-60 Prozent vererbt werden. Dennoch braucht es immer eine belastende Situation als Auslöser der Erkrankung. Was das allerdings ist, ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Die Beispiele reichen von Extremsituationen wie Unfällen und Kriegen, bis hin zu beruflicher Veränderung, Ortswechseln und Einsamkeit, um nur wenige Beispiele zu nennen. Gibt es Alarmsignale, die auf eine psychische Erkrankung hinweisen? Was die Warnsignale angeht, so können sie vielfältig sein. Unter anderen gehören Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und Erschöpfung dazu. Kommen solche Befindlichkeitsstörungen an einzelnen Tagen vor, ist das völlig in Ordnung. Vorsicht ist geboten, wenn es zu einer dauerhaften Verschlechterung kommt, die über Wochen anhält. Wichtig: Bei einer psychischen Erkrankung sind die Symptome nicht durch Willensanstrengung überwindbar. Wie werden Depressionen behandelt? Im Grunde sind es zwei Säulen, auf denen die Behandlung fußt: Die Gesprächstherapie und die Unterstützung des Patienten mit Medikamenten. Gerade die Einnahme von Medikamenten kann den Heilungsprozess sehr gut unterstützen, allerdings ist hier das Ziel, durch das Erlernen von Alltagsstrategien und -lösungen die regelmäßige Einnahme Stück für Stück zu reduzieren. Der erste Schritt ist es immer, das Bewusstsein für die Erkrankung herzustellen und den Patienten von Schuldgefühlen zu entlasten. Was wird in einer Therapie gemacht? Während der Therapie wird immer von den Symptomen her rückwärts gedacht. Die Biografieaufbereitung ist dabei wichtig, aber sie ist nicht alles. Wichtig ist es, mit dem Patienten im Hier und Jetzt Strategien zu entwickeln und ihm aufzuzeigen, wie er mit der Angst umgehen und mit der Depression leben kann.Zunächst geht es darum, einen ganz individuellen Krisenplan zu entwickeln. Ich nutze dafür gerne das Ampelsystem: Die Patienten sollen unterscheiden, welche Situationen sind für sie in Ordnung. Das wäre das grüne Licht. gelb sind Situationen, die abgewogen werden sollten und wenn die Ampel auf rot schaltet, ist der Weg zum Arzt angezeigt. Entscheidend ist, dass die Chemie zwischen Patient und Therapeut stimmt. Denn es werden auch unangenehme Themen angesprochen, beispielsweise wenn im Verlauf der Behandlung müssen auch Rückschläge aufgearbeitet werden müssen. Was die Dauer angeht, so ist es schwierig, das genau zu benennen. Normalerweise geht man von 20 Stunden in einem halben Jahr aus. Die Medikamenteneinnahme ist dagegen weniger anstrengend und fördert eher nicht die aktive Bewältigung, kann aber besonders bei schweren Erkrankungen eine Psychotherapie erst möglich machen. Nicht zu unterschätzen ist die Gefahr der Abhängigkeit, insbesondere bei Beruhigungsmitteln. Was ist die Besonderheit an Angststörungen? Angst ist generell ein unangenehmer Zustand. Ist die Angst objektzentriert, wie man es von den klassischen Phobien kennt, wenn jemand beispielsweise Angst vor Hunden hat, dann wird er diesen Auslöser meiden. Das heißt, er wird zunächst die Straßenseite wechseln, wenn ein Hund entgegen kommt. Fatal wird es, wenn die Angst sich immer mehr steigert und schließlich den Auslöser übersteigt. Im genannten Beispiel könnte das bedeuten, dass jemand zunächst bestimmte Gegenden wo viele Hunde unterwegs sind, meidet und sich dann im Extremfall kaum noch aus dem Haus traut. Und wenn die Angst keinen konkreten Auslöser hat? Bei diffusen Ängsten ist es etwas schwieriger: Hier muss sehr genau geschaut werden, was dahinter steckt. Ob ein bestimmtes Gefühl, Gedanken oder eine Stimmungslage die Angst auslöst. Wird der Auslöser bewusst, können Gedanken und Befürchtungen auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft und oft widerlegt werden. Aber grundsätzlich gilt auch hier: Der Patient muss lernen, mit der Angst umzugehen, sie bestenfalls zu überwinden und den Alltag zu bewältigen. Tut er dies nicht, besteht die Gefahr, in einen Strudel der Vermeidung zu geraten. Auch Depressionen können das „Gefühl der Angst“ auslösen. Hier ist es wichtig, aktiv zu sein und entgegengesetzt zu handeln. Das Ziel ist es, dass die positiven Erfahrungen stärker werden, als die Angst. Es ist ein ganz typisches Verhalten eines Menschen mit Depression, nichts mehr zu tun. Es ist die intuitive Art des Rückzugs. Und den müssen Patienten lernen mit therapeutischer Hilfe zu überwinden. An welchen Arzt wendet man sich eigentlich, wenn man das Gefühl hat, psychische Hilfe zu brauchen? Der erste Ansprechpartner ist immer der Hausarzt. Er kennt in der Regel den Patienten und kann eines erste Einschätzung der Symptome treffen. Manchmal liegt eine körperliche Erkrankung vor, oder man wird durch einen Schicksalsschlag vorübergehend aus der Bahn geworfen. Ist das auszuschließen und eine psychische Erkrankung ist wahrscheinlich, so verfügt der Hausarzt über Kontakte zu Spezialisten und kann den Betroffenen überweisen. Liegt eine akute Gefährdungssituation vor, sind die Notfallambulanzen psychiatrischer Kliniken die richtigen Anlaufstellen.
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Zur Person Privatdozent Dr. Andreas Jähne ist seit August 2015 ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein-Jura, eine private Akutklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Bad Säckingen. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und unter anderem zertifizierter Therapeut für Kognitive Verhaltenstherapie (CBT), Schematherapie (SFT), motivierende Gesprächsführung und alkoholismusspezifische Psychotherapie (ASP). Sein Studium der Humanmedizin absolvierte er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Nach Abschluss seiner Habilitationsschrift verlieh ihm die Universität Freiburg 2018 die Lehrberechtigung für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie.