Ein Mann greift einer Zwölfjährigen mit hautenger Hose an die Hüfte, hält sie fest und drückt ihren Körper nach vorn. Was auf der Straße unangebracht wäre, ist in Sportvereinen normale Hilfestellung. Dieser Umstand könnte zwielichtige Personen anlocken, um ihren sexuellen Neigungen nachzugehen. Wie können Vereine den Eltern Sicherheit bieten, dass ihren Kindern nichts geschieht? Für dieses Thema wollen Jugendämter Ehrenamtliche sensibilisieren. Jürgen Glocker, Pressesprecher des Landratsamts Waldshut, sagt: "Die Vereinsjugendarbeit ist eine zentrale Stütze der Jugendarbeit im Landkreis insgesamt. Sie genießt berechtigterweise ein hohes Vertrauen der Kinder und Jugendlichen, der Eltern und der Öffentlichkeit. Diese Vertrautheit ist jedoch auch ein Rahmen, der sexuell übergriffiges Verhalten begünstigen kann. Ein Schutzkonzept soll helfen, sich dieser Herausforderung zu stellen. Auch wenn wir allen Vereinen im Landkreis wünschen, dass sie sich niemals akut mit diesem Thema befassen müssen."

Lehrer und Erzieher müssen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen, um arbeiten zu dürfen. Das gilt auch für lizenzierte Übungsleiter einiger Sportverbände. Diese Unbedenklichkeitsbescheinigung sollen nun auch alle anderen Trainer und Jugendbetreuer in Vereinen im Landkreis Waldshut vorlegen. Dies ist die Reaktion auf eine Änderung des Bundeskinderschutzgesetzes. Jürgen Glocker berichtet: "Die Vereine wurden in sechs regionalen Informationsveranstaltungen über die Änderungen im Bundeskinderschutzgesetz informiert. Für viele Vereinsverantwortliche war dies nicht neu, da sie bereits in ihren Verbandsstrukturen über die Vorgehensweise aufgeklärt wurden."

Im Oktober biete das Jugendamt eine Schulung zur Umsetzung an. Vonseiten der Vereine habe es sowohl unterstützende als auch kritische Stimmen gegeben, aber es sei viel Verständnis gezeigt worden. Von „total unproblematisch“ bis hin zu „unmöglich“ seien die Reaktionen auf die Forderung nach der Einsicht in die erweiterten Führungszeugnisse gewesen.

Ein Baustein ist die Sensibilisierung von Trainern und Jugendbetreuern sowie von Kindern und Jugendlichen. Es soll auch bewusst gemacht werden, wo sinnvolle Hilfestellung und Berührung im Rahmen der Vereinsaktivitäten endet. Gleichzeitig sollen sich Ehrenamtliche vor falschen Anschuldigungen schützen. Dazu gehören Regeln, beispielsweise dass die Übungsleiter nicht mit Kindern und Jugendlichen duschen oder ohne zu klopfen in die Umkleidekabine hineingehen.

Im Verein wird eine Person bestimmt, die die Führungszeugnisse sichtet und dokumentiert, dass niemand einschlägig vorbestraft ist. Unter anderem die Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, sexueller Missbrauch und Exhibitionismus schließen die Arbeit mit Minderjährigen aus. Das Führungszeugnis muss alle fünf Jahre vorgezeigt werden und darf nicht älter als drei Monate sein. Der nächste Schritt ist ein Konzept, was zu tun ist im Verdachtsfall oder bei Übergriffen.

Wie funktioniert die Umsetzung? Dieter Meier ist Vorsitzender des Markgräfler-Hochrhein-Turngaus, Dachorganisation von 112 Turnvereinen in einem Verbreitungsgebiet von Weil am Rhein bis Jestetten und hinauf nach Todtnau. Meier sagt: "Das ist ein Thema, das wir verfolgen müssen. Jeder Einzelfall ist schlimm und sollte verhindert werden." Er berichtet, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen Thema eines Arbeitskreises beim Gauturntag im Januar war. Bei den Vereinen herrsche eine gewisse Hilflosigkeit, wie das Konzept mit Inhalten und Leben gefüllt werden soll. Beim nächsten Gauturntag sollen sie eine Anleitung erhalten. Dafür solle sich auch das Jugendamt gefordert fühlen. Landratsamts-Sprecher Glocker sagt: "Alle Vereine erhielten im Nachgang zu den regionalen Veranstaltungen ein Informationsschreiben mit der zu schließenden Vereinbarung und es wurde erneut die Möglichkeit der Unterstützung angeboten. In der Zwischenzeit wurden über 100 Beratungsgespräche abgehalten, und gemeinsam mit dem Kreisjugendring Waldshut sind wir aktuell dabei, die Unterstützungsschulung vorzubereiten."

Meier findet, dass die Verengung auf sexualisierte Gewalt zu kurz gefasst ist. Die körperliche Unversehrtheit der Kinder und Jugendlichen im Allgemeinen sollte das Ziel sein. Die Vereine seien sich bewusst, dass sie mit den ihnen anvertrauten Kindern richtig umgehen müssen. Ein weiterer Schritt sei, wie man es publik machen kann, dass die Eltern wissen: "Hier sind meine Kinder gut aufgehoben.

" Positiv an den Bestrebungen des Jugendamts sei auch, dass Vereine wissen, was sie mit Übungsleitern tun müssen, die auffallen: "Bisher haben die Vereine dafür kein Schema." Es gebe dann eine vertrauliche Stelle im Verein und die Ohren seien besser eingestellt auf dieses Thema. Meier relativiert aber: "Das Führungszeugnis vorzulegen, hat seinen Sinn, genügt aber sicher nicht. Es schreckt aber wenigstens diejenigen ab, die einen Eintrag haben." Eine Gefahr für das Vertrauen in Trainer sieht er nicht: "Ich glaube nicht, dass Eltern Übungsleiter unter Generalverdacht stellen."

Der erste Verein im Landkreis, der den Schutzkonzept-Vertrag mit dem Jugendamt abgeschlossen hat, war der FC 08 Bad Säckingen. Der Vorsitzende Werner Wunderle sagt: "In ein oder zwei Jahren wird es im Südbadischen Fußballbund sowieso Pflicht, dass Trainer ein Führungszeugnis vorlegen müssen, wir sind jetzt eben schon ein paar Jahre voraus. Wir haben das auf alle Jugend-, Damen- und Aktivtrainer ausgedehnt." Der Verein sichere sich ab, vor allem, wenn neue Trainer von extern kommen. Bei der ersten Sitzung mit dem Jugendamt sei er skeptisch gewesen, aber alle Trainer im Verein hätten das Anliegen positiv aufgenommen: "Alle haben weitergemacht und die Führungszeugnisse gebracht." Für Mitglieder in gemeinnützigen Vereinen ist das Dokument gratis, ansonsten kostet es 13 Euro. Die Beschaffung sei kein großer Aufwand: "Man ist zehn Minuten auf dem Rathaus und das Führungszeugnis wird dann zugeschickt.

" Es gebe Regeln, um grenzwertige Situationen zu vermeiden und die Trainer vor falschen Anschuldigungen zu schützen: "Es sollen keine Vier-Augen-Gespräche mit Jugendlichen geführt werden oder ein Trainer alleine mit einem Jugendlichen zu Auswärtsspielen fahren. Wir haben die Trainer angewiesen, nicht runterzugehen in die Kabine, wenn die Jugendlichen duschen."

Noch kein definitives Konzept hat der Turnverein Waldshut. Der Vorsitzende Daniel Kistner sagt aber, dass sich der Verein seit eineinhalb Jahren die Führungszeugnisse von neuen Übungsleitern vorzeigen lässt und noch nie etwas Auffälliges bemerkt wurde. Das geplante Schutzkonzept sei bei den neuen Übungsleitern auf viel Akzeptanz gestoßen. "Wir haben klare Dinge auf dem Schirm, die wir nicht wollen, wie das gemeinsame Duschen von Trainern und Jugendlichen nach dem Training. Das war früher noch Gang und Gäbe." Kistner hält das Konzept zwar für sehr wichtig, fragt aber, ob es nötig ist, den Übungsleitern solche Bandagen anzulegen. "Unser Ziel ist ein einfacher und guter Lösungsweg. Es darf nicht sein, dass vor lauter Bürokratie kein Übungsleiter mehr kommt." Kistner ist dennoch für eine harte Linie. Sollte ein Trainer im Verdacht stehen, würde sich der Verein von ihm trennen.

Tanja Rendler, Vorsitzende der DLRG-Ortsgruppe Bonndorf, sagt über das Schutzkonzept: "Ich kann es teilweise verstehen, aber teilweise finde ich es unzumutbar, was den Vereinen damit an Aufwand und Bürokratie aufgebürdet wird." Rendler sagt, ein Lehrer, der hauptberuflich mit Kindern arbeitet, müsse das Führungszeugnis nur einmal zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn vorlegen. Ein Verein müsse es sich alle fünf Jahre geben lassen, das sei ein Widerspruch. Darüber, dass Kinder und Jugendliche geschützt werden müssen, müsse man nicht diskutieren, aber es sei ein großer Verwaltungsaufwand. Man sei dann vielleicht auch in der Haftung.

Die Statistik

Mit dem Thema sexualisierte Gewalt im Sport befasst sich derzeit die Sporthochschule Köln in der Studie "Safe Sport". Zwischenergebnisse der noch laufenden Untersuchung wurden Ende November 2016 veröffentlicht: "Mit Hilfe einer Online-Befragung wurden Daten zu Erfahrungen sexualisierter Gewalt bei 1799 Kaderathlet/-innen in Deutschland erhoben. Die über 16-jährigen Befragten stammen aus 128 verschiedenen Sportarten in insgesamt 57 Sportverbänden. Etwa ein Drittel aller befragten Kadersportler/-innen hat schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport [...] erfahren.

Eine/-r von neun befragten Kadersportler/-innen hat schwere und/oder länger andauernde sexualisierte Gewalt im Sport erfahren." Ein trauriges und aktuelles Beispiel ist im April in die Schlagzeilen geraten: Mehrere Fechterinnen haben sexuelle Belästigung durch einen Trainer am Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim beklagt.

Definition, Vorbeugung und Reaktion

  • Die Bezeichnung sexualisierte Gewalt wird als Oberbegriff für Formen der Machtausübung mit dem Mittel der Sexualität verwendet. In der engen Definition geht es um Nötigung oder Vergewaltigung, also erzwungene sexuelle Handlungen. Wird das Feld weiter gefasst, zählen auch sexualisierende Übergriffe durch Worte, Bilder, Gesten und sonstige Handlungen mit und ohne Körperkontakt dazu. Hierunter fallen laut einer Infobroschüre der Deutschen Sportjugend sexistische Witze, anzügliche Bemerkungen, Exhibitionismus und Voyeurismus oder unerwünschte Berührungen intimer Körperbereiche.
  • Bundeskinderschutzgesetz: Am 1. Januar 2012 trat das Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Kraft. Für Vereine, die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe übernehmen, ergeben sich durch Änderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII) Auswirkungen auf die Vereins-praxis. Darunter fallen Personen, die Kinder oder Jugendliche beaufsichtigen, betreuen, erziehen, ausbilden oder einen vergleichbaren Kontakt haben. Volljährige Ehrenamtliche müssen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen.
    Minderjährige Jugendtrainer sollen eine Selbstverpflichtungserklärung einreichen. Damit können Personen ausgeschlossen werden, die rechtskräftig wegen kindeswohlgefährdenden Verhaltens verurteilt sind.
  • Ansprechpartner im Verdachtsfall: Die Beauftragten der Vereine sollten Kontakt zu externen Stellen aufnehmen. Ansprechpartner sind die Beratungsstelle Courage für Frauen und Mädchen in Waldshut-Tiengen, Telefon 07751/91 08 43, der Deutsche Kinderschutzbund, Kreisverband Waldshut, Telefon 07741/67 27 24, sowie die Opferhilfe Weißer Ring.