Die Situation in den Notaufnahmen der Krankenhäuser bleibt weiter angespannt. Dies teilt der Chefarzt der zentralen Notaufnahme am Klinikum Hochrhein in Waldshut, Dr. Stefan Kortüm, auf Anfrage unserer Zeitung mit.
„Zwar sind die Atemwegserkrankungen tendenziell leicht rückläufig – zu einer echten Entspannung hat dies allerdings nicht geführt“, so Kortüm. „Phasenweise waren und sind daher keine Monitorplätze verfügbar und es kommt zu Flurbetten. Der ambulante Sektor scheint aus unserer Perspektive jedoch genauso überlastet.“
Zur Erinnerung: Horst Schwarz, Leiter des Bad Säckinger DRK-Rettungsdiensts, sprach im Dezember von der „schwierigsten Situation, die ich bis jetzt erlebt habe.“ Nach einer Welle von schweren Atemwegsinfektionen sowie quarantänepflichtige Corona-Fällen, hatten sich immer häufiger auch Notaufnahmen aus dem akuten Rettungswesen abgemeldet.

Die Folge: Rettungssanitäter mussten bei mittelschweren Notfällen erst lange Telefonate führen, bevor sie ein Spital finden, dass bereit war, den Patienten aufzunehmen.
Hotline ist überlastet
Peter Hofmeister, Säckinger DRK-Kreisvorsitzender, sieht außerdem ein Problem in chronisch überlasteten Hotline 116117 des ärztlichen Bereitschaftsdiensts, die viele Patienten fälschlicherweise auf den Rettungsdienst ausweichen ließen.

„Die Hotline 116117 funktioniert überhaupt nicht“, stimmt nun Chefarzt Stefan Kortüm zu. Und das bekommen nun Kliniken und Rettungsdienst zu spüren: „Patienten werden unreflektiert und frei von Kenntnis in die Notaufnahme verwiesen, auch mit Erkrankungen, für die wir die richtige Fachrichtung gar nicht vorhalten (Haut, Augen, HNO, Kinder).“
Patienten berichten darüber hinaus von Wartezeiten in der 116117 Hotline von 30 bis 45 Minuten. „Diese Defizite der Hotline belasten die Kliniken und den Rettungsdienst“, so Kortüm.
„Viele Fälle, die eigentlich zum Hausarzt gehören, landen heute beim Rettungsdienst“, sagt Riccardo Lardino, Notfallsanitäter und Vorstandsmitglied des landesweit tätigen Vereins Inside-Team, der sich als „Verein zur Förderung des Rettungswesens und seiner Schnittstellen“ sieht. Ähnlich formuliert es Hans-Peter Schlaudt, Geschäftsführer des Klinikums Hochrhein: ‚Die Ressourcen der Zentralen Notaufnahme werden durch Patienten gebunden, die keiner Krankenhausbehandlung bedürfen und in einer Arztpraxis gut zu versorgen wären.“
„Nur weil Spitäler und Rettungsdienstverantwortliche etwas behaupten, bedeutet das noch lange nicht, dass es stimmt“, sagt Kai Sonntag, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KV-BW), und reagiert damit auf Kritik von DRK und verschiedenen Spitälern an der schlechten Hausarztversorgung, die aus deren Sicht auch zu einer Überlastung der Notfallversorgung geführt habe.
KV-BW sieht keinen Zusammenhang zwischen ärztlichen Bereitschaftsdienst und Notfallversorgung
Bringt die mangelhafte Hausarztversorgung am Hochrhein also letztlich auch das Rettungswesen an seine Grenzen? Dies sieht Kai Sonntag von der KV-BW nicht so. Er unterscheidet grundsätzlich zwischen einer Notfallversorgung und dem ärztlichen Bereitschaftsdienst.
„Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist nicht für medizinische Notfälle gedacht. Der Bereitschaftsdienst soll außerhalb der Sprechstunden eine ärztliche Versorgung gewährleisten, die nicht bis zum Werktag warten kann. Medizinische Notfälle sind Aufgabe der Rettungsdienste und der Krankenhäuser“, so der Pressesprecher.
„Wenn die Krankenhäuser sich für die Notfallversorgung abmelden und die Rettungsdienste ihre Patientinnen und Patienten nicht ‚loswerden‘, dann kommen die Krankenhäuser ihrer Aufgabe nicht mehr nach. Damit ist kein Vorwurf verbunden. Aber es hat nichts mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst und der Hotline 116117 zu tun“, meint der Sprecher der Ärztevereinigung. Eine Unterscheidung, die nach Auffassung der Rettungsdienste viele Patienten aber eben nicht nachvollziehen können.
Einige Probleme werden eingeräumt
Gleichwohl räumt der KV-BW-Sprecher Probleme bei der Erreichbarkeit der Hotline ein: „Seit der Pandemie ist die Inanspruchnahme durch die Patientinnen und Patienten stark angewachsen.“ Dies gelte für alle Gesundheitseinrichtungen: „Das betrifft den Rettungsdienst, das betrifft die 112, das betrifft die Notaufnahmen der Krankenhäuser, das betrifft die Betten in den Krankenhäusern, das betrifft die Arztpraxen. Und das betrifft natürlich auch die Hotline 116117.“
Allerdings: „Patientinnen und Patienten warten stundenlang in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. Hier demnach die 116117 separat zu betrachten, geht an den Anforderungen an die Situation vorbei“, meint Sonntag.
Es gibt einen Vorschlag des Rettungsdienst-Vereins Inside-Team, die Hotline der KVBW in die Leitstelle des Rettungsdienstes zu integrieren, die mehr Kompetenz erhalten sollte, um über die geeignete Einsatzmaßnahme zu entscheiden.
Davon hält Sonntag jedoch nichts: Es „scheint nicht plausibel, warum ein Mitarbeiter der Rettungsleitstelle mehr Anrufe abarbeiten kann, als einer bei der 116117. Nach allem, was wir hören, haben die Rettungsleitstellen schon heute das Problem, nur die Anrufe entgegenzunehmen, die bei der 112 landen. Wie also noch die vielen Tausend Anrufe der 116117 zeitnah bearbeitet werden könnten, ist völlig unklar. Zu glauben, dass eine ‚Reintegration‘ der 116117 in die Rettungsleitstellen irgendeine Verbesserung bei der Erreichbarkeit zur Folge haben könnte, ist unrealistisch.“
Was sagt die Politik?
Nachdem die Situation im Rettungswesen und den Notaufnahmen am Hochrhein schon seit mehreren Wochen extrem angespannt ist, hat unsere Zeitung bei den Landtagsabgeordneten der Wahlkreis Waldshut und Lörrach nachgefragt, welche Lösungsmöglichkeiten sie sehen.
Niklas Nüssle (Grüne) stellt klar: „Eine gute medizinische Versorgung ist für eine lebenswerte Region elementar. Dazu gehören Hausärztinnen und Hausärzte ebenso wie die Notfallversorgung. Nur im abgestimmten Zusammenspiel dieser kann ein stabiles und krisenfestes Gesundheitssystem entstehen. Die weiten Wege im ländlichen Raum, die Grenze zur Schweiz und die aktuelle Belastung mit Atemwegserkrankungen setzen die medizinische Versorgung in der Region immer wieder unter Druck. Ich setze mich auf allen politischen Ebenen dafür ein, die vielen Ehren- und Hauptamtlichen in der Notfallversorgung, in den Krankenhäusern und in den Hausarztpraxen zu unterstützen.“
Sabine Hartmann-Müller (CDU) sieht aktuell strukturelle Mängel, die zu einer Überlastung der Notaufnahmen führen. Das Rettungswesen in der Region sei – nicht zuletzt aufgrund der starken ehrenamtlichen Unterstützung – zwar grundsätzlich gut aufgestellt. „Hochproblematisch ist dagegen die mangelnde Aufnahmekapazität in den Notaufnahmen. Dass es hier teilweise zu Aufnahmestopps kommt und Patienten in Lebensgefahr in ein anderes Klinikum gebracht werden müssen, ist aus meiner Sicht ein unhaltbarer Zustand“, so Hartmann-Müller.
Die wichtigste Stellschraube sei die Entlastung der Notaufnahmen. „Gerade in den Abendstunden kommen hier viele Patienten an, die sich tagsüber an ihre Hausarztpraxis gewendet hätten.“ Hier könnten sogenannte Primärversorgungszentren (PVZ) wirksam Abhilfe schaffen. „PVZ sollen die medizinische Versorgung im Ländlichen Raum stärken und auch in den Randzeiten eine wohnortnahe Versorgung bei gesundheitlichen Problemen ermöglichen. Ich habe mich in diesem Jahr erfolgreich für drei PVZ-Modellprojekte in Bad Säckingen, Jestetten und Stühlingen eingesetzt. Mein Ziel: Wenn sich Patienten mit weniger ernsten Problemen in PVZ behandeln lassen, legt das in den Kliniken mehr Kapazitäten für Notfälle frei.“
Auch der Lörracher Landtagsabgeordnete der Grünen, Josha Frey mahnt eine Verbesserung bei der Notfallversorgung an. „Dass Personen aufgrund einer fehlenden hausärztlichen Ansprechperson in unserer Region zusätzlich die Notfallstationen belasten, zeigt, dass auch bei der ärztlichen Versorgung vielfältige Verbesserungen notwendig sind. Ich bin froh, dass die Landesregierung zusätzliche Medizinstudienplätze geschaffen hat und bereits im Studium der Fokus auf die Arbeit als Landärztin oder Landarzt gelenkt wird. Dies ist wichtig, um den Fachkräftemangel auch in diesem Bereich grundsätzlich anzugehen“, so Frey.
Ein wichtiges Element sei aber auch eine Anpassung der Bedarfsplanung, welche vom Gemeinsamen Ausschuss in Berlin festgelegt wird und in Baden-Württemberg von der Kassenärztlichen Vereinigung umgesetzt wird. „Diese muss den realen Bedarf vor Ort widerspiegeln. Hierzu war ich und werde ich weiterhin mit den Beteiligten ins Gespräch gehen.“
Jonas Hoffmann, SPD-Landtagsabgeordneter im Kreis Lörrach, kritisiert das Spardiktat, dem das Gesundheitssystem in den letzten etwa 20 Jahren unterworfen wurde. „Das rächt sich nun Tag für Tag mehr“, so Hoffmann. Besorgniserregende Mängel gebe es beispielsweise in der Digitalisierung. „Noch immer ist das Faxgerät das Standardkommunikationsmittel. Eine gute und transparente Erfassung über Krankenhaus-, Hausarzt- und Rettungskapazitäten gibt es kaum, oder nur sehr oberflächlich und regional kleinteilig. Die 116117 wurde leider von den dezentralen Leitstellen in ein zentrales Callcenter überführt. So ist die Qualität zusammengebrochen“, meint der Sozialdemokrat.
„Auch muss die Krankenhausfinanzierung grundsätzlich reformiert werden. Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser pleitegehen, Unmengen an OPs durchgeführt werden, die medizinisch nicht sinnvoll sind, und auf der anderen Seite wichtige Behandlungen über Monate nicht durchgeführt werden. Und dass überall Notaufnahmen geschlossen werden und chronisch unterbesetzt sind.“