Wie passt das zusammen? Ein von Nachbarn und Freunden als friedfertig und liebevoll bezeichneter Vater, der seine sechs Wochen alte Tochter am Arm durch die Luft geschleudert haben soll, sodass diese später im Krankenhaus verstarb?
Diese Frage schwebte am ersten Verhandlungstag wegen Totschlags eines Säuglings durch den Sitzungssaal des Landgerichts Waldshut-Tiengen. Verantworten muss sich ein 32-jähriger Angeklagter vor der dritten Strafkammer. Seit dem 7. Juni befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Als er mit Fußschellen in den Gerichtssaal geführt wurde, hatte er ein Familienfoto bei sich, das er später während der Verhandlung öfter in der Hand hielt.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft
Der Beschuldigte soll sich am 31. Mai im Zeitraum zwischen 16 und 16.30 Uhr mit seiner sechs Wochen alten Tochter in seiner Wohnung in Bad Säckingen befunden haben, als er das Kind am linken Arm gehoben und weggeschleudert haben soll, heißt es in der Anklageschrift, die Oberstaatsanwalt Christian Lorenz zum Prozessauftakt verlas. Einen Grund oder ein Motiv dafür habe es nach bisherigem Kenntnisstand nicht gegeben. Das Kind sei auf einem weichen Untergrund, wie etwa einem Kissen oder dem Sofa aufgekommen.
Dabei brach das Genick des Kindes. Außerdem erlitt es einige weitere schwere Verletzungen, unter anderem einen Spiralbruch und eine Schlüsselbeinfraktur.

Im Anschluss seien die Eltern in ein Spital nach Rheinfelden (CH) gefahren, wo das Kind reanimiert und intubiert worden sei. Noch am selben Tag verlegte man es für die weitere Behandlung in das Kinderspital nach Basel. Etwa einen Monat später hätten die Ärzte, ohne Mitsprache der Eltern, dort nach mehreren ethischen Konzilen mit dem Jugendamt dann die künstlichen Lebenserhaltungsmaßnahmen eingestellt.
Verteidiger lässt Zweifel durchschimmern
Der Angeklagte äußerte sich nicht zum Tathergang. Doch seinem Verteidiger, Jens Janssen, war wichtig anzumerken: „Der Tod eines Kindes ist immer ein tragisches Geschehen.“ Die Aussagen, die in den insgesamt fünf Verhandlungstagen fallen werden, würden für alle Anwesenden quälend sein.
Janssen stellte während seines umfangreichen Eröffnungsplädoyers zudem drei Fragen in den Raum, die es aus seiner Sicht insbesondere zu klären gebe: Ist sein Mandant tatsächlich derjenige, der für den tragischen Tod des sechs Wochen alten Kindes verantwortlich ist? Wenn ja, was sollten die Motive und Beweggründe sein? Und stelle der spätere Tod des Säuglings die Tatvollendung dar?
Das Verhalten seines Mandanten spreche allerdings gegen die Tat – zumindest aber gegen die Darstellung der Staatsanwaltschaft. Hätte nicht auch ein Stolpern zu der Tragödie führen können? Zwar habe der 32-Jährige seine Tochter aus Panik geschüttelt, als diese während des Fütterns mit der Flasche keine Luft mehr bekommen habe, allerdings habe das nach Auffassung des Verteidigers nicht zum Tod des Kindes geführt.
Vielmehr habe es sich bei der Tochter um ein Wunschkind gehandelt, deren Leben auf eine schöne Perspektive zugeschnitten gewesen sei. Auch der Vermieter der Wohnung des Ehepaares sprach als Zeuge vor Gericht von liebevollen Eltern. Einen Streit habe er nie mitbekommen: „Es war ein gewünschtes Kind.“
Eine aufstrebende junge Familie
Während Jens Janssen Angaben zur Person des 32-jährigen Angeklagten verlas, zeichnete sich der Lebenslauf eines jungen Mannes mit guten Perspektiven. Im Jahr 2021 habe er seine Frau kennengelernt und wenig später beschlossen, mit ihr eine Familie zu gründen. Auch beruflich habe sich alles sehr vorteilhaft für ihn entwickelt. Im Februar, kurz vor der Geburt der Tochter, hätten sich die beiden das Ja-Wort gegeben.
Kirchlich hätten sie erst später heiraten wollen, „wir haben immer davon geträumt, dass unser Kind uns die Ringe bringt“, schilderte der Angeklagte. Während dieser Darstellung, wackelten seine Füße, wobei die Fußfesseln klapperten. Die Ausführungen über seine Tochter wurden von Seufzern des schmächtigen Mannes begleitet.
Beschuldigter zeigt sich kooperativ
„Die Wohnung des Angeklagten war unauffällig und aufgeräumt. Wir haben ein paar Gegenstände beschlagnahmt, die wir für wichtig hielten“, schilderte der mit dem Fall beauftragte Kriminaloberkommissar die Eindrücke der Wohnungsdurchsuchung Anfang Juni während seiner Aussage vor Gericht.
Wenige Tage später, am 6. Juni, habe die Polizei den 32-Jährigen dann festnehmen wollen. „Allerdings trafen wir ihn an seiner Anschrift nicht an.“ Per Telefon bat der Kriminaloberkommissar den Angeklagten dann, zur Wache zu kommen. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass er auftaucht.“ Doch gegen 19 Uhr stellte er sich. Am 7. Juni wurde er dem Haftrichter vorgeführt.
Unklar blieb bis zuletzt, ob der Angeklagte und seine Ehefrau am Tattag tatsächlich alleine waren. Es gebe Hinweise dafür, dass sich die Mutter und der Bruder des Angeklagten zu der Zeit in der Region aufgehalten hätten. Das Landgericht Waldshut-Tiengen wird während der kommenden vier Verhandlungstage noch einige Fragen klären müssen.