Es sei eine Jagd durch die Wohnung gewesen, während der eine 58-jährige Frau versucht habe zu flüchten – dafür sprächen die Blutspuren an der Türklinke: „Ihm war klar, was er tut, konnte sich aber nicht steuern.“ So fasste Oberstaatsanwalt Christian Lorenz nach dem eineinhalbstündigen Vortrag des psychologischen Sachverständigen vor der dritten großen Strafkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Todtnauer Tötungsdelikt das Verhalten des Angeklagten während der Tat zusammen. Der Psychologe bestätigte.
Wie ein Psychologe die Tat erklärt
Noch bevor der Experte dem Landgericht eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nahelegte, stellte er die Frage: „Warum ist es zur Tat gekommen?“ Der 48-jährige Angeklagte leide seiner Einschätzung zufolge seit Jahren an einer paranoiden Psychose. Daran angeschlossen sei ein Wahnsystem, in dem Frauen ein Teil des Systems seien, von dem er sich beeinflusst fühle. „Die Psychose besteht schon sehr lange und wurde nie behandelt“, so der Sachverständige.
Das Tatgeschehen sei durch eine Störung der Impulskontrolle infolge einer adulten Aufmerksamkeitsdefizitstörung zu erklären: „Es kam zu einem Streitgespräch, in dem das Opfer den Angeklagten offenbar provozierte, während dieser mit Verärgerung, Wut und Rache darauf reagierte.“ Der Alkoholkonsum des Angeklagten habe dabei lediglich eine sekundäre Bedeutung gehabt.
Angeklagter pflegt kaum soziale Kontakte
Nur eine Erkenntnis aus dem Vortrag des psychologischen Sachverständigen vor Gericht: Die Tat hätte durch eine unglückliche Verkettung an Zufällen auch jeder beliebigen anderen vorherigen Bekannten des Angeklagten widerfahren können. Nach Einschätzung des Sachverständigen gehöre der 48-Jährige in psychiatrische Behandlung, für die Einweisung in eine solche Klinik würden allerdings juristische Voraussetzungen fehlen.
Der Experte sprach sich deshalb für eine Therapie sowie eine Ausbildung im Vollzug aus. Bisher sei keine Behandlung erfolgt, auch nicht im Zentrum für Psychiatrie Reichenau, in dem sich der 48-Jährige zurzeit befinde: „An Angeboten der Gruppentherapie nimmt er nicht teil und hat auch sonst kaum soziale Kontakte.“
Gefahr der „tickenden Zeitbombe“
Da laut der Einschätzung des Experten allerdings ein Rückfallrisiko bestehe, sprach Oberstaatsanwalt Christian Lorenz die Gefahr der „tickenden Zeitbombe“ offen an. Sollte sich der Angeklagte auch in Haft nicht behandeln lassen, könne es passieren, dass der 48-Jährige nach einer möglichen Haftstrafe in die Freiheit entlassen werde, trotzdem er weiterhin eine Gefahr darstellen könnte. Ein Urteil im Todtnauer Tötungsdelikt wird am Donnerstag, 27. März, erwartet. Am Mittwoch, 26. März, stehen zunächst die Plädoyers der Verfahrensbeteiligten aus.
Noch vor dem Sachverständigen sagten vor der dritten großen Strafkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen am Morgen des vierten Verhandlungstages weitere Zeugen und der mit dem Fall vertraute Rechtsmediziner aus. Während der Aussagen des Rechtsmediziners hielt der Angeklagte die gesamte Zeit seinen gesenkten Kopf in den Händen. Auch die Schwester und gleichzeitig Nebenklägerin im Verfahren schaute weg, als Fotos zur Auffindesituation des Opfers im Gerichtssaal auf die Bildschirme geworfen wurden. Die Angaben des Angeklagten in dessen Einlassung passten laut Aussagen des Rechtsmediziners weitestgehend zu den Befunden.