Noch bevor der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 offiziell endet, rückt im Vormonat April die französische Armee von Westen her am Hochrhein vor und erreicht am 25. April auch Murg und Laufenburg. Es 9.15 Uhr morgens, als sich Säckingen kampflos ergibt. Wenig später erreicht die französische Vorhut Murg. Überall weiße Fahnen. Um 9.40 Uhr kommen die Franzosen vor Rhina an der Laufenburger Stadtgrenze an und treffen dort auf den städtischen Amtsdiener Karl Booz. Auch er schwenkt eine weiße Fahne.

In jenen Apriltagen herrscht große Ungewissheit. Keiner weiß, was die nächsten Stunden und Tage bringen. Und immer ist da die Frage: Soll wirklich weitergekämpft werden? Seit Oktober 1944 mobilisiert Adolf Hitler im Volkssturm sein letztes Aufgebot zur Verteidigung der Dörfer und Städte.

Alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren müssen ran. In Murg werden auch Frauen und Mädchen dazu verpflichtet, Panzersperren an den Ortseinfahrten gegen Säckingen und Rhina und in der Murgtalstraße zu errichten. In der Hauptstraße werden Schützengräben ausgehoben.

Soldaten und Zivilisten heben im März oder April 1945 bei Rhina den Berg hinauf Schützengräben und Unterstände aus, die als ...
Soldaten und Zivilisten heben im März oder April 1945 bei Rhina den Berg hinauf Schützengräben und Unterstände aus, die als Verteidigungsstellungen gegen die herannahenden französischen Truppen dienen sollen. | Bild: Archiv Egon Gerteis

In Laufenburg hilft eine Pionierkompanie mit 30 Mann dem Volkssturm Verteidigungslinien im Westen und Osten mit 38 Befestigungsanlagen zu ziehen. Denn die Stadt ist von Seiten des Militärs als Hauptstützpunkt eingestuft, der zu halten ist.

Kraftwerk soll zerstört werden

Dann ist da dieser „Nero-Befehl“ des Führers, der besagt, dass Anlagen, die dem Feind zur Fortsetzung seines Kampfes nutzbar sein könnten, zu zerstören sind. Das betrifft auch das Kraftwerk Laufenburg. Pioniere machen in der Nacht vom 24. auf den 25. April das bereits verminte Stauwehr sprengbereit. Auch die Rheinbrücke ist vermint, und Stacheldrahtgestelle versperren den Weg. Der Volkssturm ist zur Verteidigung bereit.

Undatierte Luftaufnahme von Laufenburg, vermutlich aus der Zeit Anfang der 1940er bis Anfang der 1950er Jahre. Im Hintergrund das ...
Undatierte Luftaufnahme von Laufenburg, vermutlich aus der Zeit Anfang der 1940er bis Anfang der 1950er Jahre. Im Hintergrund das Rheinkraftwerk, links davon das noch gänzlich unbebaute Kaister Feld. | Bild: Archiv Energiedienst Holding

Dass jene letzten Kriegstage schließlich nicht noch mehr Menschenleben fordert, ist Bürgern mit Zivilcourage und realistischer Einschätzung der Lage zu verdanken. In Murg haben neun Männer (Robert Kehrer, Hermann Knochel, Leonhard Küpfer, Karl Peter, Emil Rufle, Karl Schickel, Adolf Widmann, Karl Wiesler und August Zundler ) nur ein Ziel: Weitere Kämpfe zu verhindern. Sie beginnen bereits am Vorabend des 25. April damit, die Verantwortlichen von einer Verteidigung des Ortes abzubringen.

In der Mitte Bürgermeister Theodor Graß.
In der Mitte Bürgermeister Theodor Graß. | Bild: Archiv Gemeinde Murg/Ernst Weiß

Bürgermeister Theodor Graß unterstützt das Vorhaben. Der Volkssturmführer weigert sich. Aber noch in der Nacht übernehmen die neun Männer die Polizeiverwaltung. Sie stellen den Bürgermeister unter ihren Schutz und lassen den Volkssturmführer bewachen. Es gelingt sogar, durchziehende Soldaten zu entwaffnen und den Volkssturm umzustimmen. Als die französischen Truppen am nächsten Morgen in Murg eintreffen, sind die weißen Fahnen gehisst.

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Karl Booz, der am Morgen des 25. April mit weißer Fahne in Rhina unterwegs ist, gehört zu einer Widerstandsgruppe, zu der auch Obstbauer Josef Matt aus Stadenhausen, der Sozialdemokrat Franz Wildner und der spätere Bürgermeister Rudolf Zachmann gehören. Gemeinsam sind sie am selben Morgen im Rathaus beim Ortsgruppenleiter der NSDAP und Bürgermeister Bertold Bohnert und erreichen, dass Laufenburg kampflos übergeben werden soll.

Die untere Hauptstraße im April 1945: Aus den Fenstern hängen zum Zeichen der kampflosen Übergabe der Stadt weiße Flaggen. Am Mittleren ...
Die untere Hauptstraße im April 1945: Aus den Fenstern hängen zum Zeichen der kampflosen Übergabe der Stadt weiße Flaggen. Am Mittleren Brunnen sind Sandsackstellungen und an der Laufenbrücke eine Panzersperre zu erkennen. | Bild: Archiv Egon Gerteis

Während der Bürgermeister im heutigen Gasthaus „Bückle“ noch schnell ein Viertele trinken muss, trifft Booz auf die Franzosen. Weil Booz nicht der Bürgermeister ist, akzeptiert der französische Offizier die Übergabe zunächst nicht. Erst als die französischen Truppen wenig später auf den Bürgermeister treffen, wird die Stadt Laufenburg offiziell übergeben.

Robert Voegele löst den Volkssturm auf

Auch dem Ortskommandanten des Volkssturms, Robert Voegele, ist längst klar, dass militärischer Widerstand völlig sinnlos ist. Am 25. April um 7 Uhr morgens ruft Voegele seine Männer zusammen und erklärt den Volkssturm für aufgelöst. Die weiße Fahne wird entrollt, die restlichen Waffen werden im Rhein versenkt. Die Pioniere, die vergebens versuchen, in die Schweiz zu fliehen, ziehen Richtung Waldshut ab. Allerdings ohne ihren Auftrag, das Kraftwerk Laufenburg zu sprengen, ausgeführt zu haben.

Die Überraschung muss groß gewesen sein, als die Pioniere am frühen Morgen des 25. April beim Stauwehr eintreffen und feststellen, dass die Sprengladungen nicht mehr vorhanden sind. Denn um 2 Uhr in der Nacht hatte sich der stellvertretende Postenchef der deutschen Seite des Kraftwerks, ein Hamburger namens Zelewski, mit dem Schweizer Postenchef auf dem Wehr getroffen und ihm die Schlüssel für die Sprengkammern übergeben. In der Dunkelheit bauen Mitarbeiter des Kraftwerks und des Schweizer Grenzschutzes die Sprengladungen aus. Gegen 4.30 Uhr sind alle Sprengkammern leer.

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